Rückblick. Ich stehe in der 30. Schwangerschaftswoche am Empfangstresen in der Praxis meiner Frauenärztin. Beim Blick in meinen Mutterpass auf das heute morgen von mir ermittelte und eingetragene Gewicht, höre ich folgenden Satz: „Sie müssen sich aber noch einmal hier auf die Waage stellen, weil wir sonst nicht sicher sein können, ob das von ihnen ermittelte Gewicht stimmt und wir dann die Verantwortung nicht übernehmen können.“
Nun, natürlich ist das „Praxisgewicht“ mit Schuhen und umfangreicher Bekleidung wesentlich weniger aussagekräftig, als das zur immer gleichen Tageszeit von mir selbst ermittelte Nacktgewicht. „Winterschwangere“ wiegen immer mehr als „Sommerschwangere“, die im leichten Kleid und in Flip Flops auf die Waage hüpfen. Und die Verantwortung für mich und mein Kind kann ohnehin kein anderer übernehmen als ich selbst. Aber wie verantwortungsvoll oder -los ist diese ganze Wiegerei der Schwangeren überhaupt?
Schwangere, die um den errechneten Termin herum ein etwa drei bis vier Kilo schweres Kind zur Welt bringen, nehmen bis dahin durchschnittlich sieben bis 18 Kilogramm zu. Doch auch eine Gewichtszunahme darunter oder darüber hat erst einmal keine klinischen Konsequenzen, wenn keine anderen Parameter hinzu kommen. Das regelmäßige Wiegen wird weder eine ungesunde Ernährung verhindern noch alleine ohne Blickdiagnose erkennen lassen, dass die Schwangere eventuell deutlich zu viel Wasser eingelagert (bzw. Ödeme) hat…
Wiegen nicht generell unsinnig
Ich will damit nicht sagen, dass Wiegen generell unsinnig ist. Es ist schon bekannt, dass ein hoher Body-Mass-Index (über 25) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergeht, Probleme wie das Auftreten eines Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck oder Geburtskomplikationen zu bekommen. Doch es ist primär jenes Gewicht, mit dem eine Frau in die Schwangerschaft startet, das sich negativ auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirken kann. Sinnvollerweise müssten also schon vor der Schwangerschaft bei Bedarf Beratung und Unterstützung angeboten werden. In Deutschland sind immerhin über 30 Prozent aller Frauen zwischen 20 und 39 Jahren übergewichtig oder adipös.
Aber auch Frauen mit sehr niedrigem BMI (unter 19) haben beispielsweise ein höheres Frühgeburtsrisiko. Beide Situationen erschweren bisweilen auch den Schwangerschaftseintritt. Denn sowohl Unter- als auch Übergewicht können sich negativ auf die Produktion der Fortpflanzungshormone auswirken. Deshalb ist es am sinnvollsten, möglichst schon vor einer Schwangerschaft ein Normalgewicht anzustreben.
Trotzdem würde man stark übergewichtigen Frauen nun keine Diät in der Schwangerschaft anraten. Was aber jeder schwangeren Frau gut tut, ist eine Ernährungsberatung. Und zwar eine, die darüber hinaus geht zu sagen, dass Rohmilchkäse nicht erlaubt ist. Die einmalige Ermittlung des BMI aus Gewicht und Körpergröße zu Beginn der Schwangerschaft sowie eine ausführliche Beratung zu einer gesunden, bedarfsgerechten Ernährung wären sicherlich wesentlich sinnvoller, als ständiges Wiegen unter ungenauen Messbedingungen. Wobei ohnehin schon länger an der Aussagekraft des BMI gezweifelt wird. Das Verhältnis von Hüft- zu Taillenumfang und die Zahl, die sich ergibt, wenn man den Taillenumfang durch die Körpergröße teilt, auch WHtR (Waist to Height Ratio) genannt, scheinen aussagekräftiger zu sein, wenn man den Körperbau eines Menschen in Bezug auf gesundheitliche Risiken betrachtet.
Beratung statt Kontrolle
Das Führen eines Ernährungstagesbuchs über ein paar Tage hinweg kann zudem eine gute Beratungsgrundlage sein. Statt zu verbieten, können sinnvolle Alternativen aufgezeigt werden. Auch die Beratung zur Bewegung in der Schwangerschaft gehört mit dazu. Bewegung und Sport in mäßiger Intensität wirken sich auch positiv auf die Gesundheit von Mutter und Kind aus.
Alleiniges Wiegen und kritisches Kommentieren wirken sich dagegen eher gegenteilig aus. Auch mit dem Satz „Essen sie mal ein bisschen weniger oder mehr“ wird keiner schwangeren Frau ein Gefallen getan. So schreibt die wissenschaftlich arbeitende und forschende Hebamme Christiane Schwarz ganz klar in dem Buch „Schwangerenvorsorge durch Hebammen“ folgendes dazu:
„Gewichtskontrollen sind in der Schwangerschaft nicht erforderlich. Allerdings werden sie in der Hebammengebührenverordnung ausdrücklich als Leistung der Schwangerenvorsorge aufgeführt. Sie können aber schwangere Frauen verunsichern, ohne dabei positive Effekte zu haben.“
Es gilt wie immer zu hinterfragen, warum und mit welchem gewünschten Ergebnis ich etwas messe oder tue. Die routinemäßige Gewichtskontrolle in der Schwangerschaft ist sehr zu überdenken. Auch ich schicke die von mir betreuten Schwangeren noch immer auf die Waage. Aber sie dürfen sich selbst wiegen und es gerne auch selbst in ihrem Mutterpass dokumentieren. Denn ich vertraue darauf, dass die allermeisten Schwangeren die Verantwortung für sich und ihr Kind wesentlich besser übernehmen können, als die Hebamme oder der Gynäkologe es jemals könnten.
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