Zwischen Wachstumsschub und Entwicklungssprung

Als Hebamme bin ich auch immer wieder eine Art „Babyerklärerin“. Ich spreche mit Eltern darüber, was Babys brauchen – oder eben auch nicht. Zeige ihnen die kleinen feinen Zeichen, mit denen ihr Baby Hunger oder Müdigkeit anzeigt. Ich informiere über die Bedürfnisse, das Handling, die Entwicklung und vieles mehr, was Eltern so wissen möchten. Trotzdem bin ich keine Babyexpertin für das Kind dieser Familie, die ich da gerade am Lebensanfang begleite.

Ich darf ihr Kind etwas kennenlernen und ein kleines Stück am Lebensanfang gemeinsam mit dieser Familie gehen. Aber die Expertin für dieses Baby sind und bleiben die Eltern. Diejenigen, die diesen neuen kleinen Menschen viel länger und genauer kennen. Diejenigen, die Tag und Nacht mit ihm verbringen – und nicht nur ein paar Hausbesuchsstunden.

Oftmals können diese Eltern auch die Frage, was das Baby denn in unruhigen Zeiten haben könnte, selbst viel besser beantworten. Gerade wenn jemand die passenden Fragen stellt. Aber ich kenne aus Muttersicht auch die Hilf- und Planlosigkeit, die man fühlt, wenn sich das eigene Baby so gar nicht gut beruhigen lässt. Oder wenn es seit gefühlten Ewigkeiten nur noch dauerstillt. Die besorgten Gedanken, dass es nicht satt wird oder doch vielleicht krank ist, sie werden parallel mit der zunehmenden Müdigkeit immer größer. Und es ist wichtig, diese Gedanken und Sorgen irgendwo lassen oder zumindest einordnen zu können. Und genau dafür gibt es wahrscheinlich Wachstumsschübe und Entwicklungssprünge. 

Elterliche Kraft ist nicht verhandelbar

Wenn alle Faktoren für ein körperliches Problem oder eine Gedeihstörung ausgeschlossen sind, wenn keine Erkältung im Anflug ist und auch kein neuer Zahn kommt, wird es wahrscheinlich ein Wachstumsschub sein. Oder ein Entwicklungssprung. Oder Gebärmutterheimweh. Auch Tageseindrückeverarbeitung oder Reizüberflutung zähle ich mit zu den „Diagnosen“, die wir Hebammen stellen, wenn sich keine konkrete Ursache finden lässt. 

Die „Therapie“ sieht immer ähnlich und doch in jeder Familie etwas anders aus. Es gilt herauszufinden, was dem Baby gerade am meisten hilft und was den Eltern am meisten hilft. Mal sind es konkrete Tipps für Beruhigungsstrategien, die man dem Baby anbieten kann. Empfehlungen für die Eltern, um möglichst selbst nicht zu sehr auf das hohe Erregungslevel ihres Babys einzusteigen, die gehören mit dazu. Herauszufinden, wer oder was jetzt den Eltern hilft, mit ihren Kräften gut zu haushalten ist wichtig. Denn elterliche Kraft ist nicht verhandelbar.  

Unruhige Zeiten 

Das Zuhören und Bestätigen, dass diese Phasen normal, aber eben auch sehr herausfordernd sind, ist wahrscheinlich das, was am meisten „hilft“. Denn alle Beruhigungstipps sind ohne Erfolgsgarantie. Was bei dem einen Baby gut und verlässlich hilft, lässt ein anderes völlig unbeeindruckt.

Und ich rede hier bewusst von Phasen, weil es eben auch immer wichtig ist, wirkliche Regulationsstörungen von „unruhigen Zeiten“ oder eine unzureichende Nahrungsaufnahme vom Clusterfeeding-Tagen abzugrenzen. Sprünge und Schübe sind nämlich temporär begrenzt. Und beim nächsten oder übernächsten Hausbesuch sieht die Babywelt schon wieder anders aus. Das erste Babyjahr verläuft in vielen kleinen und großen Wellen. Entwicklung und Wachstum finden stets und ständig statt. Aber mal fordert es das Baby und seine Eltern mehr und mal weniger heraus. Und in diesen herausfordernden Phasen hilft – neben Schokolade – auch eben manchmal, dass wir dem Kind einen Namen geben können: egal ob Wachstumsschub oder Entwicklungssprung.

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