Letzte Woche zeigte mir eine Mutter die Geburtskarte, die ihr die Hebamme in der Klinik direkt nach der Geburt geschrieben hatte. Unser erstes Kind ist in der gleichen Klinik geboren und auch ich habe so eine Karte und hüte sie wie einen Schatz. Denn die lange Geburt, die dann wegen überraschender Beckenendlage nach vielen Stunden plötzlich doch von zu Hause in die Klinik verlegt werden musste, war für mich damals nicht so einfach und schnell zu „verdauen“.
In dieser Karte hatte aber die Hebamme ganz wunderbar beschrieben, wie gut letztlich mein Kind und ich das alles gemeistert haben. Das zu lesen war mir genauso wichtig, wie die vielen Gespräche mit meiner besten Hebammenfreundin, die den ganzen Geburtsmarathon mit begleitet hat. Es gab Raum für alle Fragen und die Dinge, an die ich mich zum Teil nur verschwommen erinnern konnte. Auch heute fallen uns manchmal kleine Begebenheiten ein, die an die Geburt vor über zehn Jahren erinnern. Mittlerweile sind es aber längst nicht mehr die Dinge, die schwer und belastend waren, sondern der Fokus liegt auf den schönen oder sogar lustigen Erinnerungen.
Es ist den meisten Frauen wichtig, nach der Geburt über das Erlebte zu sprechen und das ganz besonders, wenn alles viel schwieriger als erwartet verlaufen ist. Und ich merke, dass es den Frauen wichtig ist, ihre Fragen an die Menschen zu stellen, die in dieser besonderen Situation unmittelbar dabei waren. Natürlich hilft es auch, wenn ich im Wochenbett mit Müttern ihr Geburtserlebnis bespreche oder wir gemeinsam noch mal das Partogramm durchgehen, was den Geburtsverlauf skizziert. Doch fast immer bleiben Fragen offen, die auch ich nicht beantworten kann. In der außerklinischen Geburtshilfe ist es meist üblich, dass die eine Geburt begleitende Hebamme auch das Wochenbett betreut. Es ist in der Regel genug Zeit und Raum, immer wieder Aspekte der Geburt zu besprechen. Von unseren Geburten im Geburtshaus und zu Hause habe ich zudem jeweils immer einen ganz ausführlich geschriebenen Geburtsbericht von den Hebammen bekommen. Auch das half im Nachhinein zu verstehen, wie und warum es mir wann ging unter der Geburt. Aber am hilfreichsten war immer das direkte Gespräch mit den Geburtsbegleitern.
Es geht meist nicht darum, Schuldige zu suchen
In der Klinik ist diese Option leider nicht immer gegeben. Denn natürlich ist ein ausführliches Nachgespräch keine zu vergütende Position und die Zeit des Klinikpersonal ist ja häufig ohnehin schon mehr als knapp bemessen. Dabei ist es für die meisten Geburtshelfer gerade nach schwierigen Geburten ebenso wichtig und hilfreich, das Erlebte noch mal zu besprechen wie für die betroffene Mutter selbst. Doch im Klinikalltag mit vollen Kreißsäälen und Stationen sowie den durch den Dienstplan bedingten Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter ist es oft so, dass die Mütter ihre Geburtsbegleiter nicht mehr wiedersehen. Vielleicht hat man im Rahmen der ärztlichen Visite oder der Nachuntersuchung noch ein kurzes Gespräch, was aber auch meist im Mehrbettzimmer und unter Zeitdruck stattfindet. Oft ist auch der Zeitpunkt noch zu früh, wenn die Mutter vielleicht schon am zweiten Tag entlassen wird und von den vielen neuen Eindrücken nach der Geburt noch ganz überfordert ist.
Manche Frauen, die sehr mit ihrem Geburtserlebnis hadern, machen einen Termin für ein Nachgespräch in der Geburtsklinik. Manchmal wird das dort erst mal ein bisschen kritisch gesehen, denn der erste Gedanke ist, dass da Eltern gegen die Klinik klagen möchten. Doch darum geht es in den meisten Fällen gar nicht, sondern die Mütter wollen verstehen, was zu welchem Zeitpunkt warum passiert ist. Denn erst dann kann man anfangen, es zu verarbeiten und letztlich seinen Frieden mit einer Geburt machen zu können. Auch der Partner hat eine wichtige Rolle, wenn es um das Verarbeiten einer Geburt geht, nur ist gerade nach einer schweren Geburt auch meist der Vater traumatisiert und braucht genauso Zeit und Raum zu begreifen und zu verarbeiten.
Das Nachgespräch mit den Geburtbegleitern ist für viele Frauen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Heilung nach einer traumatisch erlebten Geburt. Ich glaube, manchen Frauen würde es nach einem schwierigen Geburtsverlauf auch schon genügen, wenn ihnen diese Option angeboten werden würde. Denn damit wird anerkannt, dass dies kein leichter Weg für sie war und dass es in Ordnung ist, dass es ihr vielleicht schwer fällt, das Erlebte zu verarbeiten – auch wenn objektiv letztlich alles gut für Mutter und Kind ausgegangen ist. Ein Nachgespräch hat für die meisten Eltern nicht die Funktion, einen Schuldigen zu suchen. Sondern zu verstehen, was warum geschehen ist oder manchmal auch daraus zu erkennen, was man bei einem weiteren Kind anders machen würden. Denn bei weiterem Kinderwunsch ist nach der Geburt gleich vor der Geburt. Und es ist gut, wenn man diese Geschichte nicht mit in die nächste Geburt nimmt. Aber völlig unabhängig von der gewünschten Kinderanzahl sollten alle Mütter die Option eines Nachgespräches bekommen, ganz gleich, wie und wo sie ihr Kind geboren haben.
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