Im Hebammenalltag fragen mich Mütter immer wieder – oft schon vor der Geburt – wann sie denn wieder rausdürfen nach der Geburt. Die Frage kommt meist, nachdem sie gehört oder gelesen haben, dass im Wochenbett viel (Bett-)Ruhe empfohlen wird. Für viele Frauen ist es durchaus erst mal eine Herausforderung, sich aus einem mehr oder weniger aktiven Alltag heraus eine so sehr entschleunigte Zeit vorzustellen. Gerade wenn die körperlichen Begleiterscheinungen der Schwangerschaft kurz vor der Geburt bereits die alltäglichen Aktivitäten einschränken, ist der Gedanke nachvollziehbar, dass man danach gerne wieder etwas mehr machen möchte und kann.
Und wenn es nur der Besuch im Lieblingscafé ist, ohne dass der Rücken nach zehn Minuten beim Sitzen auf den stylishen aber unbequemen Sitzmöbeln schmerzt. Vielleicht sehnt man sich auch nach einem Einkaufsbummel, um sich neue Garderobe zuzulegen, nachdem die die Kleiderauswahl in den letzten Schwangerschaftswochen sehr eingeschränkt war. Oder man möchte einfach Freunde und Familie treffen – einfach mal essen gehen…
All das muss doch auch im Wochenbett gehen?! Vielleicht nicht in der ersten Woche, aber nach zehn bis vierzehn Tagen dürfte das doch kein Problem sein?! Und ja, einigen Frauen geht es nach der Geburt tatsächlich so gut, dass sie ihre Pläne zeitnah umsetzen könnten. Trotzdem raten wir als Hebammen allen Frauen davon ab, zehn Tage nach der Geburt im Möbelhaus herumzulaufen oder andere größere Ausflüge „nach draußen“ zu machen.
Natürlich verbieten wir nichts. Jede Familie darf das wie alles andere auch immer selbst entscheiden. Wenn ich aber als Hebamme gefragt werde „Wann darf ich wieder raus?“, dann erkläre ich den frisch geborenen Familien schon deutlich, warum im Wochenbett weniger mehr ist. So kann noch mal abgewogen werden, ob der geplante Ausflug jetzt wirklich sein muss. Oder ob er vielleicht doch noch etwas warten kann.
Ich habe hier einige gute Gründe für ein langsames Zurückkommen in den Alltag aus dem Wochenbett aufgeschrieben.
1. Zeit für die Regeneration
Der Körper hat mit Schwangerschaft und Geburt enorm viel geleistet und das ganz unabhängig davon, wie die Frau diese Herausforderung empfunden hat. Auch nach einer „leichten Geburt“ sind Strukturen im Körper verändert, überdehnt und belastet. Das Wochenbett ist eine Zeit der Regeneration und des Heilens. Genau wie ich einen verletzten Fuß entsprechend schonen sollte, müssen auch Geburtsverletzungen geschont werden, damit sie optimal heilen können. Frauen, die ihr Kind per Kaiserschnitt geboren haben, vergessen nur allzu oft, dass dies eine große Bauchoperation ist. Jeder Patient nach einer vergleichsweise kleinen OP wie einer Blinddarmentfernung schont sich mehr als so manche Kaiserschnitt-Mama.
In den ersten Tagen sorgen meist noch Schmerzen dafür, es ein bisschen langsamer angehen zu lassen. Aber sobald diese abnehmen, sind viele Mütter gleich wieder viel mehr auf den Beinen. Wenn das zu viel ist, melden sich die Schmerzen bald wieder. Das ist ein eigentlich sinnvoll eingerichteter Warnmechanismus des Körpers. Aber am besten vermeidet man es eben ganz, überhaupt in diese Situation zu kommen
2. Den Beckenboden schützen
Bereits die Schwangerschaft ist eine große Belastung für den Beckenboden, weshalb er schon hier, aber eigentlich ein ganzes Leben lang, eine besondere Aufmerksamkeit verdient. Das Gewebe wird hormonell weicher und nachgiebiger. Die Bänder des Beckenbodens werden kräftig gedehnt, wenn die Gebärmutter wächst. Die Geburt – vaginal und per Kaiserschnitt – belastet den Beckenboden zusätzlich. Viele Frauen spüren die instabile Körpermitte im Wochenbett. Der weiche Bauch, die haltlosen Organe – alles muss sich neu sortieren und festigen.
Und das dauert. Viele, viele Monate. Am Anfang hilft es dem Beckenboden vor allem, wenn er entlastet wird. Lange Spaziergänge oder Shoppingtouren sind das Gegenteil davon. Viele Mütter merken das auch sehr deutlich. Beckenbodenwahrnehmungs- und Kräftigungsübungen sind auch im Wochenbett schon sinnvoll. Auch ein beckenbodenfreundliches Alltagsverhalten sollte in dieser Zeit eingeübt werden. Die Verbesserung der Haltung lindert zudem auch Rückenschmerzen und andere häufig mit einer Beckenbodenschwäche verbunden Beschwerden.
Aber die Entlastung – im Liegen und vielleicht sogar mit Beckenhochlagerung – ist ebenso wichtig. Für alle Frauen, egal ob sie Probleme mit Inkontinenz haben oder sich scheinbar „alles ganz normal“ anfühlt.
3. Stillen lernen braucht Zeit
Mutter und Kind bringen zwar viel Kompetenz und die körperlichen Voraussetzungen zum Stilen mit – und dennoch ist es ein Lernprozess. Gerade in den ersten Tagen kann es immer mal ruckeln. Vielleicht schmerzen die Mamillen oder es gibt Sorgen bezüglich der Milchmenge. Stillprobleme sind vielfältig, aber es braucht eine schnelle Ursachensuche und eine adäquate Unterstützung. Doch selbst die Suche nach einer Hebamme oder einer Stillberatung ist mittlerweile zu einem „eigenen Stillproblem“ geworden.
Neben möglichen körperlichen Beschwerden sind Stillschwierigkeiten aber vor allem emotional eine große Belastung. Frauen brauchen Zeit, Ruhe und Raum, um ihren Weg zu finden. Gerade wenn sich das Stillen noch nicht so ganz eingespielt hat, ist das Stillen unterwegs vielleicht ganz aktuell noch eine größere Herausforderung. Es muss immer für die Stillende passen. Und nicht für die auf Besuch wartende Verwandtschaft.
4. Das Baby ankommen lassen
Auch die Bedürfnisse des Babys spielen in der Wochenbettzeit ein Rolle. Es braucht vor allem Nähe und Nahrung, um den Übergang vom intra- zum extrauterinen Leben zu meisten. Alles ist neu: körperliche Empfindungen, das Raumerleben, die Umgebungstemperatur und auch alles, was das Baby sieht und hört. Es hat also auch im „langweiligen Schlafzimmer“ jede Menge neue Eindrücke zu verarbeiten. Das Stillen und Verdauen ist Schwerstarbeit, die gemeistert werden muss.
Ganz natürlich werden weitere neue Reize dazu kommen: das erste Bad oder der erste Besuch. Der Input an Reizen, den ein Baby – auch schlafend – zum Beispiel an einem Samstag im Möbelhaus bekommt, kann da schnell mal zu viel sein. Verarbeitet wird dann meist später und manchmal mit viel Weinen. Natürlich können wir die Babys nicht vor allen Reizen schützen und es geht ja auch darum, einen Alltag mit Kind zu finden. Aber dem Baby kann dafür – genau wie den Eltern – einfach etwas mehr Zeit gelassen werden: Wochenbettzeit.
5. Kleine Schritte als Familie gehen
Auch als Familie muss man sich erst einmal finden. Die Realität erleben und vielleicht auch gemachte Pläne ändern oder auch ganz verwerfen. Das gilt auch, wenn schon Geschwister da sind. Natürlich ist dann nicht mehr alles neu. Aber es ist eben neu genug, um sich Zeit und Raum für die Veränderungen zu geben.
Wenn Paare zum ersten Mal Eltern werden, erleben sie einander auch zum ersten Mal in dieser Rolle. Das verändert natürlich auch die Paarbeziehung. Schlafmangel und zeitweilige Überforderung sind zusätzliche Belastungsfaktoren. Das Wochenbett ist eine emotionsreiche Zeit für die ganze Familie. Je weniger zusätzliche Stressfaktoren dazu kommen, umso mehr Raum gibt es dafür, damit umzugehen. Die ersten Ausflüge mit Baby sollten daher am besten einfach kurz, ohne konkretes Ziel und jederzeit abbrechbar sein. Dann erleben es Eltern auch nicht als „Scheitern“, sondern als kleine Schritte vorwärts. Und eben manchmal auch wieder zurück.
6. Diese Zeit kommt nie wieder
Das Wochenbett ist sicherlich nicht nur eine vom Babyzauber durchflutete, dauerhaft wunderbare Zeit. Auch Tränen, Schweiß, Schmerzen und Sorgen gehören dazu. Trotzdem sagen rückblickend viele Familien, dass es eine ganz besondere Zeit war, in der man in seinem eigenen kleinen Mikroskosmos unterwegs war und die Welt da draußen auch einfach mal ausgeblendet hat. Eine Zeit, in der man mit Augenringen, aber lächelnd ständig am Babyköpfchen gerochen und sich später trotz Fotos kaum noch vorstellen kann, dass das Baby mal soooo klein war.
Diese besondere Zeit kommt nie wieder und deshalb darf man sich dafür auch mehr als nur die ersten Tage Zeit nehmen. Ich habe noch nie Eltern sagen hören, dass sie rückblickend zu viel mit ihrem Kind in dieser Zeit gekuschelt haben.
7. Frische Luft auch im Wochenbett
Die alte Wochenbettregel „Eine Woche im Bett, eine Woche auf dem Bett und eine Woche ums Bett herum“ ist schon sinnvoll. Regulär geht die Wochenbettzeit übrigens sechs bis acht Wochen. Natürlich sollte auch nach den ersten drei Wochen alles noch langsam angegangen werden.
Wochenbett heißt auch nicht, dass die Wöchnerin gar nicht mehr an die frische Luft soll. Ausgeruht werden darf sich natürlich im Wochenbett auch auf der Couch und nicht ausschließlich im Bett. Die Wochenbettstube darf und sollte immer ordentlich gelüftet sein und kann bei passendem Wetter auch auf Garten oder Balkon ausgeweitet werden. Wenn Frauen die „Wochenbettdecke auf den Kopf fällt“ oder sie „einfach mal raus müssen“, ist auch eine kleine Runde um den Block okay. Aber eben kein Wocheneinkauf oder Restaurantbesuch, der sich sich dann später schmerzhaft bemerkbar macht.
Oftmals erlebe ich, dass gerade Frauen, die das zweite, dritte oder vierte Kind bekommen, das Wochenbett viel mehr beherzigen. Und das, obwohl der Wochenbettalltag mit mehreren Kinder schon wesentlich herausfordernder ist. Aber wie so oft im Leben lernt man aus gemachten Erfahrungen. Als Hebammen haben wir viele, viele Erfahrungen in Bezug auf die Einhaltung der Wochenbettruhe gemacht. Diese geben wir weiter, damit möglichst auch schon beim ersten Kind vielen Eltern die Bedeutung der Wochenbettruhe bewusst ist. Aber auch den Menschen rund um sie herum.
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