Ich bin Hebamme und deshalb schreibe und schreibe ich seit Jahren. Nein, ich meine keine Artikel, Blogbeiträge oder Bücher, sondern die immer umfangreicher werdende Dokumentation über meine Hebammentätigkeit. Die Dokumentationsanforderungen an Hebammen haben mich in der Ausbildung nicht allzu sehr erschüttert, denn aus meinem vorherigen Berufsleben als Krankenschwester wusste ich ja bereits, dass die Niederschriften und Häkchen in der Krankenakte oft mehr wert sind, als die eigentliche Zeit mit dem Patienten selbst. Denn was nicht ordnungsgemäß dokumentiert ist, hat faktisch nicht stattgefunden. Während Krankenhäuser ganze Kellertrakte zum Archiv umgebaut haben, muss jede freiberufliche Hebamme ihre Aktenberge selbst auftürmen und verwalten. Das Ganze muss teilweise bis zu 30 Jahre lang aufbewahrt werden in verschließbaren und korrekterweise eigentlich auch feuerfesten Schränken. Immerhin kann ich damit unsere USM-Regale steuerlich hochoffiziell absetzen…
Doch die stetig wachsenden und aufzubewahrenden Papierberge sind nur die eine Seite des Schreibproblems. Die andere ist der immense Zeitaufwand, der damit einher geht. Und obwohl ich mich schon für recht genau und ausführlich in Sachen Dokumentation halte, stolpere ich in Fachzeitschriften-Artikeln immer wieder über „Kleinigkeiten“, die mir durchgehen. Zum Beispiel muss auch die Übergabe an eine Vertretungskollegin entsprechend ausführlich dokumentiert sein und auch die damit verbundene Schweigepflichtsentbindung durch die betreute Frau. Es reicht nicht aus, der Wöchnerin zu sagen, wer wann als Vertretung kommt und dass diese Kollegin über den aktuellen Verlauf informiert wurde. Nein, es muss alles auch genau so aufgeschrieben sein. Für den Fall, dass mal einer klagt…
Denn die meisten Verurteilungen in unklaren Situationen kommen dadurch zustande, dass nicht ausreichend dokumentiert wurde. Deshalb sitzen Hebammen vor allem nach Geburten da und verfassen mehrseitige „Romane“. Doch auch in der Vorsorge und in der Wochenbettbetreuung reicht es nicht aus, aufzuschreiben, dass es Mutter und Kind gut geht oder etwas „in der Norm“ ist. So schreibt und schreibt man nach dem ohnehin viel zu gering und pauschal vergüteten Wochenbettbesuch. Wirtschaftlich klug wäre es da eigentlich, die Wöchnerin spätestens nach 20 Minuten wieder zu verlassen, um auch die Dokumentation nicht in der unbezahlten Freizeit zu vervollständigen.
Gute Arbeit auf dem Papier…
Doch mit der reinen Verlaufsdokumentation ist der Schreibkram ja längst nicht erledigt. Obwohl wir online mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen, müssen wir trotzdem noch mal per analoger Post die Unterschriftenliste hinterherschicken. Damit war die Option der Online-Abrechnung, über die ich mich vor einigen Jahren freute, faktisch keine wirkliche Verbesserung, sondern eigentlich noch Mehrarbeit. Wer aber die Rechnung ausschließlich in Papierform schickt, muss „als Strafe“ mit einer fünfprozentigen Rechnungskürzung rechnen.
Und jetzt soll bald der nächste Streich in Sachen Dokumentation auf uns Hebammen zukommen unter dem Namen „Qualitätsmanagement“. Eigentlich eine gute Sache, denn jede Hebamme sollte reflektieren, warum sie wann und was zu welchem Zeitpunkt tut oder empfiehlt. Sie sollte sich zudem regelmäßig fortbilden und auch ihre Ausrüstung auf einem aktuellen und hygienischen Stand halten. So weit, so gut. Jetzt soll das Ganze aber auch noch akribisch in schriftlicher Form festgehalten werden. In der Geburtshilfe werden schon seit Jahren seitenweise Papiere erstellt, die Arbeitsweisen beschreiben, Verfahrensanweisungen und einheitliche Formulare enthalten. Gerade in einem Arbeitskonstrukt mit mehreren Hebammen ist das sicherlich auch gut und sinnvoll. Meist gibt es eine Qualitätsbeauftragte, die einen Teil ihrer Arbeitszeit in die Erstellung, Überprüfung und Aktualisierung dieser Unterlagen investiert.
Es soll aber jede in welcher Form auch immer freiberuflich tätige Hebamme diese Arbeitsmaterialien für sich erstellen und nutzen, um ihre Leistungen und ihr Vorgehen entsprechend nachweisen zu können. Eigentlich auch eine gute Sache, aber all dies kostet Zeit – unbezahlte Zeit. Zeit, die mir an anderer Stelle fehlt. So sagen nicht wenige Hebammen, die vielleicht neben ihrer Angestelltentätigkeit nur sehr wenige Frauen freiberuflich in der Schwangerschaft und im Wochenbett betreuen, dass sie bei den ganzen Auflagen diese Betreuung nicht mehr anbieten, weil der Kosten-Nutzen-Aufwand einfach nicht mehr stimmig ist.
Ich sehe es leider in vielen medizinischen Bereichen (es betrifft genauso andere Berufe wie etwa den der Erzieherin), dass immer mehr geschrieben und geschrieben wird. Diese Zeit fehlt dann natürlich für den Patientenkontakt. Doch gerade Lebensphasen und Lebenskrisen wie Schwangerschaft und Geburt aber auch Krankheit und Tod brauchen Zeit und Zuwendung. Manchmal fehlt die Zeit für die banalsten Dinge. So war ich neulich beim Hausbesuch einer Ärztin für ein medizinisches Gutachten zugegen. Es ging um Leistungen für das zu früh geborene Baby einer von mir betreuten Wöchnerin. Die Ärztin füllte seitenweise Formulare aus, aber hatte komplett vergessen, sich beim Beginn ihres Besuches die Hände zu waschen. Dies tat sie auch dann nicht, als sie das kleine und zu früh geborene Mädchen berührte. Ich vermute dahinter keine böse Absicht, aber es bestätigt irgendwie meine persönliche These, dass der stetig steigende Schreibaufwand uns davon abhält, unsere eigentlichen Aufgaben fachlich und auch menschlich gut auszuführen. Ständig muss man darüber nachdenken, was man noch alles aufschreiben muss oder wo man ein Häkchen zu setzen hat. Dabei kommen dann manchmal die einfachsten und wichtigen Dinge zu kurz. Aber immerhin leisten wir ja auf dem Papier eine qualitativ hochwertige Arbeit…
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