Ich habe mir in den letzten Monaten mal grob aufgeschrieben, wie viele Anfragen nach Hebammenbetreuung oder Stillberatung ich absagen musste – es sind durchschnittlich 50 bis 60 im Monat. Falls es die Krankenkassenvertreter, die von einer guten Versorgungslage sprechen, doch mal interessieren sollte. Es sind viel zu viele Absagen und den Kolleginnen geht es genauso. Deshalb kann ich auch nur noch selten an andere Kolleginnen verweisen, weil diese ebenfalls keine Kapazitäten mehr haben. Deshalb macht mir die Absagerei noch mehr Bauchweh.
Doch in den vielen Jahren als Hebamme war es für mich ein wichtiger Lernprozess, meine Kapazitäten richtig einzuschätzen und immer wieder für mich selbst zu „verteidigen“. Fast alle Hebammen starten überambitioniert in den Job und haben nicht nur aus finanziellen Gründen schnell eine 60-Stunden-Woche. Wenn man jung und ohne viel familiäre Verpflichtungen ist, hält man das auch ein paar Jahre durch.
Doch bei vielen kommt irgendwann der Punkt, an dem das persönliche Limit erreicht ist. Wahrscheinlich merken das zuerst Freunde und Familie, für die immer weniger Zeit bleibt. Aber irgendwann kommt es auch bei den betreuten Müttern an. Wenn mein Tag schon zehn Hausbesuche hatte, kann ich irgendwann nur noch genervt sein, wenn sich am Abend ein weiterer ungeplanter Hausbesuch ankündigt.
Nach dem Burnout nicht mehr zurück in den Beruf
Oft arbeitet man hunderte Tage einfach durch, bis ein Jahresurlaub von drei Wochen die Akkus schnell wieder auffüllen soll. Denn freie Wochenenden und Feiertage gelten nun mal kaum für freiberufliche Hebammen. Und auch wenn es an manchen Tagen nur ein einziger Hausbesuch ist, so kommt man doch wieder nicht auf ganze 24 freie Stunden am Stück. Dazu gesellt sich eine hohe emotionale Belastung, denn gerade die arbeitsintensiven Betreuungen resultieren ja meist aus schwierigen Verläufen und Krisen.
Selbst der schönste Beruf der Welt ist nicht immer nur schön. Wie oft findet man trotz hoher Übermüdung nach nächtlichen Geburten nicht in den Schlaf, weil das Gedankenkarussell weiter kreist. Auch prä- und postpartale Verläufe lassen einen oft grübelnd zurück. Supervision ist eine gute und notwendige Sache. Realistisch können sich das freiberufliche Hebammen aber nur alle ein bis zwei Jahre leisten. Es ist also nicht verwunderlich, dass die durchschnittliche Verweildauer im Hebammenberuf nur noch bei vier Jahren liegt.
Ich erinnere mich gut an eine hochengagierte Kollegin, die ich einer Nachbarin empfohlen hatte, da sie für die besondere Situation mit ihrem kranken Baby perfekt ausgebildet war. Anfangs lief die Betreuung wunderbar und meine Nachbarin war dankbar für die gute Empfehlung. Irgendwann erreichte sie ihre Hebamme immer schwerer und auch Terminabsprachen wurden nicht mehr eingehalten. Ich konnte gar nicht so recht glauben, was sie da von dieser sehr geschätzten Kollegin erzählte. Ein knappes Jahr später traf ich sie auf einem Hebammenkongress. Da kam sie gerade von einem mehrmonatigen Aufenthalt in einer Rehabiliationsklinik zurück – nach einem schweren Burnout. Sie hat nie wieder als freiberufliche Hebamme gearbeitet.
Bröckelnde Netzwerke
Leider sind das keine tragischen Einzelfälle, sondern ich kenne viele Kolleginnen, deren Berufsleben ähnlich verlief. Auch ich habe auch schon vor Jahren bei einer Psychotherapeutin gesessen, weil es mir so schlecht ging. Anfangs war ich irritiert, dass sie schwerpunktmäßig mit mir daran arbeitete, mich besser abgrenzen zu können. Ich mache diesen Beruf doch so gerne und die paar Hausbesuche am Wochenende können doch nicht dafür sorgen, dass ich nicht mehr zu ausreichender Erholung komme?
Ich musste aber mühsam lernen, dass das Absagen enorm wichtig ist, um in diesem Beruf gesund zu bleiben. Es fällt mir bis heute schwer, wenn zum Beispiel Anfragen für Stillberatung kommen und mir Frauen ausführlich die Krise schildern, in der sie gerade stecken. Sätze wie „Sie sind meine letzte Hoffnung“ machen es da nicht leichter. Und wenn ich zusammen mit Christian und den Kindern am Wochenende durch den Wald laufe, denke ich noch immer häufig: „In dieser Zeit hättest Du doch einen Hausbesuch bei der Frau machen können.“
Diese Gedanken habe ich sogar noch mehr, wenn ich etwas „nur“ für mich tue – wie zum Beispiel das regelmäßige Joggen am Morgen. Ich muss mich dann immer wieder daran erinnern, dass mich vor Jahren ein schwerer Sturz auf dem Arbeitsweg und die daraus resultierende Knieverletzung komplett aus dem Verkehr zog. Wie mühsam musste ich das Laufen wieder lernen und wie wichtig ist es doch für mich, regelmäßig Sport zu machen. Doch wie viele Menschen in helfenden Berufen bin auch ich bisweilen mit einem ungesunden Helfersyndrom unterwegs. Immer wieder muss ich mir selbst sagen, dass es vernünftiger und hilfreicher ist, eine Familie gut und umfassend zu betreuen, als viele nur unzureichend oder irgendwann gar nicht mehr.
Meine Therapeutin hatte mir damals empfohlen, ein gutes Netzwerk an Adressen aufzubauen, an die ich die abgesagten Patienten verweisen kann. Und es stimmt, dass ich mit einem recht guten Gefühl absage, wenn ich eine passende Weiterempfehlung habe. Doch auch dieses Netzwerk bröckelt derzeit immer mehr, auch wenn wir in Berlin sicherlich noch gut dran sind. Ich weiß sicher, dass einige Frauen mittlerweile komplett ohne Hebamme dastehen werden vor und nach ihrer Geburt. Ich höre die Geschichten vom ungewollten Abstillen, weil keine professionelle Unterstützung verfügbar war. Es belastet mich und ich habe für mich noch keine wirklich gute Strategie gefunden, damit umzugehen.
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