Marit betreut seit 2012 als freiberufliche Hebamme Frauen vor und nach der Geburt. Aktuell ist sie schwanger mit ihrem zweiten Kind und wieder in Elternzeit. Hier erzählt sie von der Geburt ihres ersten Kindes im Geburtshaus und der anschließenden Wochenbettzeit – die so ganz, ganz anders verlief als sie sich das vorgestellt hat. Auf Instagram ist Marit als reise_ins_leben zu finden.
Meine Schwangerschaft war unkompliziert und sehr schön. Ich hatte kaum Beschwerden, konnte meiner Arbeit als freiberufliche Hebamme ohne Probleme nachgehen und genoss die Zeit der Vorfreude und der Vorbereitung sehr. Die Vorsorge machte ich bis auf die drei Ultraschalluntersuchungen im Geburtshaus und wurde dort von einem Team aus vier Hebammen betreut, die ich abwechselnd sah. Zur Geburt sollten zwei der vier Hebammen aus dem Team anwesend sein.
Ab der 30. Schwangerschaftswoche begann ich, mich mit Hypnose auf die Geburt vorzubereiten, in der Hoffnung, mich so während der Geburt fallen lassen zu können und mich komplett auf die Geburt einzulassen. Am Morgen des 7. August 2016, einem Sonntag, bin ich mit unregelmäßigem Ziehen aufgewacht. Auch am Tag davor hatte ich nachts leichte unregelmäßige Übungswehen, die den Tag über aber wieder verschwanden. An diesem Morgen wusste ich aber sofort: heute ist es anders. Ich freute mich, denn ich hatte mir gewünscht, ausgeschlafen und voller Kraft in die Geburt gehen zu dürfen und so sah ich dem Tag aufgeregt und entspannt entgegen.
Mein Mann und ich frühstückten in Ruhe, zwischendurch hatte ich immer wieder leichte Kontraktionen, die mich nicht wirklich beeinträchtigten. Ab und an kam eine etwas stärkere Kontraktion, nach der ich auf Toilette musste, um meinen Darm zu entleeren. Nach dem Frühstück saß ich eine Weile im Wohnzimmer am Fenster und strickte an der Babydecke weiter. Zwischendurch hielt ich immer wieder kurz inne, atmete, freute mich, sprach innerlich mit dem Baby. Die Kontraktionen kamen etwa alle fünf bis zehn Minuten und wurden langsam intensiver. Es gab immer wieder heftigere Wehen, nach denen ich weiterhin auf die Toilette musste.
Von Wehen überrollt
Mein Mann ließ mich in Ruhe, war aber immer in der Nähe, falls ich ihn brauchen sollte. Kurz vor dem Mittagessen saß ich auf dem Bett, sah mir meine Geburtsaffirmationen an und hörte meinen Hypnose-Geburtsvorbereitungstrack. Das tat mir gut und gab mir Kraft. Der Mittag kam und es gab einen bunten Salat, ich hatte Hunger und aß mit großem Appetit.
Kurz darauf, gegen 13 Uhr, wurden die Kontraktionen schlagartig anders. Die Wehen kamen deutlich häufiger, ich musste mich auf die Atmung konzentrieren und begann in der Wohnung umher zu laufen. Ab und an musste ich auch schon eine Wehe vertönen. Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet, die plötzliche Intensität überraschte mich und forderte meine ganze Konzentration. Mein Mann schlug vor, doch mal unter die Dusche zu gehen, da ich im Wasser gut entspannen kann. Da ich gut alleine zurecht kam, bat ich ihn, mich alleine zu lassen. Entspannen konnte ich allerdings nicht unter der Dusche, denn die Kontraktionen wurden noch intensiver und ich konnte mich nur noch an die Wand lehnen und mich von Wehe zu Wehe atmen und tönen.
Plötzlich wurde mir übel, ich wankte zur Toilette, wo ich mich mehrfach übergeben musste. In dem Moment wollte ich einfach nur sterben. Ich war nackt und nass, lag auf den kalten Kacheln, wurde von Wehen überrollt und kam mit allem überhaupt nicht mehr nach. Mein Mann redete mir gut zu, wollte im Geburtshaus anrufen – doch ich antwortete nur: „Den Weg ins Geburtshaus schaffe ich nicht, wir fahren ins Krankenhaus. Ich will eine PDA, nein, ich will eine Sectio!“
30 Minuten kamen mir vor wie eine Ewigkeit
Er rief dann natürlich doch im Geburtshaus an und als mich die diensthabende Hebamme hörte, meinte sie, wir sollen uns bitte sofort auf den Weg machen. Der Anruf war gegen 15 Uhr. Bis ich mich allerdings aufraffen konnte, mir etwas anzuziehen und einfach nur ein Bein zu heben um in die Hose zu schlüpfen, verging eine Ewigkeit. Mein Mann bereitete derweil alles vor, trug Verpflegung und Geburtskoffer ins Auto und fuhr das Auto vor die Haustür. Unten im Hof angekommen, wurde ich von der Hitze und Helligkeit des wunderschönen Augusttages überwältigt und war froh über die Klimaanlage im Auto.
Das Sitzen war unglaublich unangenehm und ich hielt die komplette Fahrt über die Augen geschlossen. Die Welt außen war mir zu viel, davon wollte ich nichts mitbekommen. Während der 45-minütigen Fahrt hörten wir eine Atemanleitung, mit der ich mich die letzten Wochen täglich vorbereitet hatte. Ich wurde wieder ruhiger und fokussierter. Auch die Entscheidung, jetzt schon ins Geburtshaus zu fahren, obwohl ich erst seit drei Stunden regelmäßige Kontraktionen hatte, erleichterte mich und ließ mich besser entspannen.
Gegen 17 Uhr kamen wir im Geburtshaus an und wurden von der Hebamme N., die mich in der Schwangerschaft am häufigsten betreut hatte, liebevoll empfangen. Das Procedere im Geburtshaus sah ein Aufnahme-CTG vor, auf das ich eigentlich überhaupt keine Lust hatte, weil ich Umherlaufen wollte. Leider wurden die Herztöne aufrecht nicht gut abgeleitet und ich musste mich hinlegen. Die 30 Minuten kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Danach tastete die Hebamme nach dem Muttermund: „Portio verstrichen, sakral, zwei Zentimeter“. Ich musste schlucken. Mit zwei Zentimetern Aufnahmebefund hatte ich nie und nimmer gerechnet. Wie sollte ich die nächsten Stunden durchstehen?!
Zwischen den Wehen war ich im Nichts
Ich wurde etwas mutlos. Allerdings blieb keine Zeit, um nachzudenken und die Angst arbeiten zu lassen. Die Kontraktionen nahmen wieder an Fahrt auf und ich lehnte mich übers Bett. Stehen, hängen, aber bitte nicht liegen! Ich atmete und wehte, hing am Seil, über dem Wickeltisch, saß zwischendrin auch mal auf dem Ball und entleerte mich ein letztes Mal in der Toilette. Ich habe nicht mehr gedacht, ich habe nur noch geatmet und getönt. Die Hebamme zog sich ins Nebenzimmer zurück. Wir waren allein. Das war gut und ich habe eigentlich niemanden gebraucht. Mein Mann war zwar da, aber im Hintergrund.
Kein Streicheln, kein Umarmen, zur Musik wiegen, Geburtskette tragen oder Geburtsaffirmationen aufsagen. All das, was mir im Vorfeld so unglaublich wichtig war, war zu dem Zeitpunkt völlig belanglos. Aber ich glaube fest, diese Vorbereitung haben bewirkt, dass ich mich komplett habe fallen lassen können. Ich fühlte mich wie im Sturm gepeitschten Ozean, wurde von Wellen überrollt und um weiterhin oben zu schwimmen, habe ich geatmet. Nur geatmet. Zwischen den Wehen war ich im Nichts. Alles war schwarz und ich habe nur entspannt.
Irgendwann kam die Hebamme mit dem Vorschlag, mal die Wanne auszuprobieren. Das Wasser tat sofort gut, obwohl es nichts an Spannung oder Intensität nahm. Ich kniete in der Wanne und legte in den Pausen meinen Kopf auf die Arme. So verging Zeit, es wurde dunkel und der Abend kam. Eine Wehe kam, atmen, Konzentration, die Wehe ging, Schwärze. Die nächste Wehe kam und ich atmete mich von einer Wehe zur nächsten.
Irgendwas stimmte nicht
Um 22.38 Uhr platzte die Fruchtblase mit einem hörbaren Plopp und sofort hatte ich einen nicht veratembaren Pressdrang. Mein Körper schob mein Baby von selbst nach unten und ich habe nichts dagegen machen können. Die Hebamme versuchte, den Muttermund zu tasten, da sie nicht wusste, ob er sich schon vollständig geöffnet hatte. Und machte sich dann daran, zur Geburt zu richten und die zweite Hebamme zur Geburt zu rufen.
Die Wehen kamen jetzt zwar etwas seltener, waren aber lang und mein ganzer Körper arbeitete daran, mein Baby durch mich hindurch und aus mir heraus zu schieben. Die Spannung war zum Zerreißen. Die Hebamme versuchte, mich aus der Wanne zu bewegen, aber weder wollte noch konnte ich aus der Wanne steigen. Als das Köpfchen stand, änderte ich auf ihr Bestreben hin die Position vom Vierfüßler zum Sitzen und atmete das Köpfchen aus mir heraus. Danach sofortige Erleichterung! Keine Spannung mehr.
Ich hielt das Köpfchen in meinen Händen und wusste sofort, irgendwas stimmt nicht. Wir warteten auf die nächste Wehe, die sich bestimmt fünf Minuten Zeit ließ und ich nahm um kurz nach 22 Uhr mein Kind – einen wunderschönen kleinen Jungen – in Empfang. So eine Erleichterung! Ich hatte es geschafft! Wir hatten es geschafft, denn die Herztöne waren die ganze Zeit über gut gewesen. Nur jetzt wollte es mit der Atmung nicht so recht klappen.
Ab dem Zeitpunkt war ich mehr funktionierende Hebamme
War das Wasser zu kalt gewesen? Mein Baby hustete und knorkste und bemühte sich, Schleim und Fruchtwasser loszuwerden, was nicht klappte. Und so wurde es noch in der Wanne abgesaugt. Wir stiegen aus der Wanne und legten uns ins Bett, wo wir warm und gut eingepackt wurden. Mein wunderbares Baby lag auf meiner Brust, aber es atmete weiterhin viel zu schnell mit und hatte Einziehungen. Mir war klar, die Hebammen würden den Notarzt rufen.
Ab dem Zeitpunkt war ich mehr funktionierende Hebamme als eine Frau, die gerade ihr erstes Kind geboren hatte und im Oxytocinrausch sein sollte. Kurze Zeit später war der Geburtsraum voller Menschen, mein Kind wurde mir vom Kindernotarzt, der sich nicht vorstellte, einfach aus den Armen genommen. Zum Glück war ich so geistesgegenwärtig meinem Mann zu sagen, er solle mit zum Wickeltisch gehen, um die Untersuchung zu verfolgen. Währenddessen lag ich nackt im Bett in einem Raum voll fremder Männer. Ich konnte kaum etwas sehen, da ich meine Brille nicht trug und niemand daran dachte, sie mir zu geben.
Einige Minuten später fiel dann die Entscheidung, in die Kinderklinik zu fahren, da sich die Atmung weiterhin nicht stabilisierte. Ich kann mich an diese Minuten nur noch ganz schlecht und schwammig erinnern. Man hielt mir mein Baby zum Verabschieden in goldene Folie verpackt hin und dann war es weg. Und der Raum war leer.
Mehr Herzschmerz als jemals zuvor in meinem Leben
Die Hebammen versuchten ihr bestes, dass ich ebenfalls in der Klinik auf der Wochenstation aufgenommen wurde, aber vergeblich. Die erste Nacht, die ersten Stunden auf der Welt, da war mein Baby, das eben noch so innig mit mir verbunden war, auf der Intensivstation. Bevor wir nach Hause durften, musste erstmal ich versorgt werden. Die Plazenta war noch nicht geboren – das passierte ganz unspektakulär und leicht in der tiefen Hocken. Danach wurde mein Dammriss genäht. Danach fuhren wir zu meiner Mutter, die näher an der Klinik wohnte, als wir.
Ich blieb dort und verbrachte meine erste Nacht als Mutter alleine, mit mehr Herzschmerz als jemals zuvor in meinem Leben. Mein Mann fuhr direkt weiter in die Klinik und blieb die Nacht über bei unserem Sohn. Am nächsten Tag fuhren mein Mann und ich in die Klinik und waren heilfroh, dass er von der Intensivstation auf die normale Säuglingsstation verlegt worden war. Dort legte ich ihn auch das erste Mal an. Es begann ein typischer Klinikalltag mit Anlegen, Abpumpen und Zufüttern. Da Benjamin eine Solltrinkmenge angeordnet bekam, tat ich mein bestes, diesem Ziel täglich näher zu kommen, denn den Rest bekam er per Infusion zugeführt.
Seine komplette erste Lebenswoche war Benjamin in der Klinik. Er hatte eine angeborene Lungenentzündung und wurde mit zwei verschiedenen Antibiotika über die Vene behandelt. Zum Glück hatte sich die Atmung zügig stabilisiert und eine Unterstützung war nie nötig gewesen. Um es kurz zu machen: Unsere Situation war zum Glück nicht dramatisch und Benjamin ging es den Umständen entsprechend gut, aber ich habe die Situation als traumatisch empfunden. Keine Privatsphäre, keine Ruhe, zum Teil paternalistisches Personal, das sich aufgespielt hat.
Riesiges Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug
Am dritten Tag hatte ich zusätzlich zum Milcheinschuss einen Lochialstau. Ich konnte mich nicht zurückziehen, auch wenn ich inzwischen als Begleitperson aufgenommen war. Mein Zimmer teilte ich mit drei anderen Frauen. Wir lagen in Stockbetten auf maximal fünf Quadratmetern. Die Nächte waren geprägt von einer jungen Mutter, die die ganze Zeit telefonierte und Personal, das immer wieder die Tür aufriss, um eine Mutter zu ihrem Kind zu rufen. Ich hatte mir mein Frühwochenbett anders vorgestellt.
Als wir dann nach einer Woche endlich zu Hause waren, hatte ich ein riesiges Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug. Ich wollte so wenig wie möglich Kontakt zur Außenwelt. Leider war aber auch das restliche Wochenbett eher von Komplikationen als von idyllischer Abgeschiedenheit geprägt. Nacheinander hatte ich das Raynaud-Syndrom, Milchgangsoor und über den Zeitraum von einigen Monaten viele viele Milchstaus. Inzwischen ist Benjamin zwei Jahre alt und ein wunderbarer kleiner Junge, ohne den ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen kann.
Die Zeit hat die Trauer über die ersten Wochen gelindert. Wir hatten eine schöne und innige Stillzeit bis lange in meine jetzige Schwangerschaft hinein. Die Geburt meines zweiten Kindes steht in wenigen Wochen an und ich merke, wie sehr es mich stärkt, schon einmal eine kraftvolle Geburt erlebt zu haben. Auch wenn ich lange Zeit gebraucht habe, die Geburt von den anschließenden Ereignissen zu trennen.
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