Kristina arbeitet als freiberufliche Hebamme im Bereich der Schwangerenbetreuung in einer gynäkologischen Praxis sowie in der Wochenbett- und Beikostberatung. Hier erzählt sie von der etwas anders als geplant aber trotzdem wunderschön verlaufenen Geburt ihres ersten Kindes. Diesen Bericht hat mir Kristina kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes geschickt. Deshalb ist sie gerade selbst im Wochenbett und wir wünschen der nun vierköpfigen Familie alles Liebe und Gute.
Ich war mit Eintritt der ersten Schwangerschaft drei Jahre Hebamme und 26 Jahre alt. Typisch aufgeregte Erstgravida (Anm. d. Red.: Frau, die zum ersten Mal schwanger ist) habe ich direkt einen Termin beim Gynäkologen gemacht, in der 7. Schwangerschaftswoche. Es war keine Herzaktion nachzuweisen. Dann war ich direkt in der Mühle drin. Mein Gynäkologe hat mich alle paar Tage einbestellt, um zu gucken, ob das Herz schlägt. Übelkeit und Erbrechen war an der Tagesordnung. Ich wollte dieses ewige Geschalle nicht mehr, aber ich kam da einfach nicht raus. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und ich klammerte mich immer daran, vielleicht doch noch ein Herz schlagen zu sehen. Letzten Endes war es eine Missed Abortion (Anm. d. Red.: verhaltene Fehlgeburt) und ich wollte einfach abwarten, ob die Blutung von alleine kommt. Nach drei Wochen war ich mürbe und konnte es nicht mehr ertragen. Den ganzen Tag die Schwangeren und Wöchnerinnen zu sehen und selbst auf den Abgang meiner gewollten Schwangerschaft zu warten. Ich habe mich dann zur Curretage entschlossen und saß am selben Tag abends wieder im Rückbildungkurs. Ich war zu pflichtbewusst, den Kurs einfach abzusagen. Es war schrecklich. Vor allem, als prompt die Frage nach eigenen Kindern von einer der Frauen kam.
Einige Monate später war ich wieder schwanger. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Ich mochte keine Freude zulassen, aus Angst, wieder enttäuscht zu werden. Ich habe erst in der 16. Schwangerschaftswoche angefangen, mich mit der Schwangerschaft und dem Kind auseinander zu setzen und habe mich auch erst dann getraut, anderen davon zu erzählen. Dieses Mal sollte es alles anders laufen als in der ersten Schwangerschaft. Ich meldete mich im Geburtshaus an, machte die Vorsorgen mit den Hebammen des Geburtshauses und nur den Ultraschall beim Gynäkologen. Ich habe die ganzheitliche Betreuung der Hebammen im Geburtshaus genossen. Und ich fing langsam an, mich fallen zu lassen und zu vertrauen. Ich wollte nicht wieder in die Mühle des Kontrollwahns hineinschliddern. Ich war in der Schwangerschaft kein bisschen Hebamme, einfach nur schwanger. Habe den Rat der Kolleginnen viel und gern in Anspruch genommen. Ich konnte bei mir selbst nicht im Ansatz professionell sein. Die Geburt war im Geburtshaus geplant. Es kam dann letzten Endes anders…
Doch es war zu früh für das Geburtshaus
Ich hatte bis nachts, wie das im Rahmen der Selbstständigkeit nun mal so ist, die Steuern gemacht und wollte dann am nächsten Tag in den Mutterschutz starten. Bis dato hatte ich jeden Tag stramm gearbeitet. Nachts kam ich nicht zur Ruhe, bin immer wieder hoch und irgendwann hatte ich minimalen Flüssigkeitsabgang. Vorzeitiger Blasensprung? So früh? Ich war 35+3 Schwangerschaftswoche und mir total sicher, über den ET (Anm. d. Red.: Errechneter Geburtstermin) zu gehen. „Das gibt es doch nicht. Hmm, was tun?“, fragte sich da eine Hebamme. Ich war so perplex und unsicher. Die Geburt war ewig weit weg für mich, damit hatte ich mich noch gar nicht auseinander gesetzt. Letzten Endes war ich so dermaßen durch den Wind, dass ich morgens um sechs Uhr im Kreißsaal unserer städtischen Klinik angerufen habe. Dort ging meine Wochenbetthebamme ans Telefon. Sie war gerade fertig mit dem Nachtdienst und wollte auf dem Weg nach Hause vorbei kommen, um zu gucken, was mit mir ist.
Es war ein Blasensprung. Der Kopf des Babys war fest, der Muttermund einen Zentimeter geöffnet und der Gebärmutterhals war noch einen Zentimeter lang und weich. Doch es war zu früh für das Geburtshaus. Geburten sind dort erst ab der 37+0 Schwangerschaftswoche möglich. Es brachen alle Dämme, ich habe nur noch geheult. Ich wollte keine Geburt in der 36. Schwangerschaftswoche und auch keine Klinikgeburt. Ich hatte mich aber vorsichtshalber auf Zureden meiner Kollegin vor Ort in der städtischen Klinik angemeldet.
Mein Freund Mark packte dann die Tasche, ich rief unter Tränen die beste Freundin an, die unbedingt dabei sein sollte, aber noch 200 Kilometer Fahrtweg vor sich hatte. Mir ging so viel durch den Kopf. Ich habe nur noch geheult. Ich hatte mich so sehr auf den Mutterschutz gefreut, um noch ein paar Wochen diese Schwangerschaft genießen können. Gefühlt war ich kaum schwanger gewesen, die Arbeit war zu präsent im Alltag und ich habe mir einfach keine Zeit für mich genommen. Das sollte alles im Mutterschutz passieren. Dieses blöde Pflichtbewusstsein, sich für alle Familien noch den Hintern aufzureißen, allen alles recht machen wollen, hatte sich damit schwer gerächt. Ich habe dann noch geduscht und Mark und ich sind losgefahren in die Klinik. Bis dahin hatte ich keine wirkliche Wehentätigkeit. Alle paar Minuten ein minimales Ziehen in der Leistengegend, wie man es von der Periode kennt. Aber so minimal, dass ich mich gefragt habe, ob da überhaupt was ist, oder nicht.
Von da an konnte ich „abgeben“
Wir waren dann gegen acht Uhr in der Klinik und da traf ich auf eine sehr nette Kollegin. Ich hatte vor der Ausbildung in dem Kreißsaal ein Praktikum gemacht und mochte sie damals schon. Ich konnte mich direkt fallen lassen. Ich heulte wieder und sie hat genau die richtigen Worte für mich gefunden. Dass sie es sehr gut verstehen kann, dass ich unglücklich bin. Dass ich mir das alles anders vorgestellt hatte. Meinen Mutterschutz genießen wollte. Eine Geburt im Geburtshaus geplant hatte. Und mein Kopf noch nicht bereit sei für die Geburt. Es nun aber nicht zu ändern sei und wir nun damit arbeiten und das Beste draus machen müssen. Von da an konnte ich „abgeben“, das war ein großartiges Gefühl und sie hat mir alleine durch ihre Anwesenheit so viel Rückendeckung gegeben. Mein Sohn ist nun fünf Jahre alt und ich könnte heute noch weinen, wenn ich nur an sie denke. Sie hat einen so unglaublich guten Job gemacht!
Dann gab es erstmal ein Aufnahme-CTG und als das fertig war, wurden die Kontraktionen etwas spürbarer, aber nicht heftig oder schmerzhaft. Man merkte lediglich, dass eine Regelmäßigkeit eintritt. Um neun Uhr betrat meine Freundin den Kreißsaal und um 9.05 Uhr gingen die Wehen völlig unvermittelt los. Ich bin mir bis heute sicher, dass der Körper gewartet hat, bis sie da war. Ihre Vertrautheit war mir enorm wichtig. Ohne sie hätte ich mir die Geburt nicht vorstellen mögen und es faszinierte mich, wie schnell dann die Wehen richtig kamen. Bei der vaginalen Untersuchung war der Muttermund weich und drei Zentimeter geöffnet. Meine Hebamme grinste mich aufmunternd an und sagte: „Ach komm, ich glaube, wir bekommen dein Baby noch zusammen!“. Ich war so froh, dass meine Freundin da war. Sie hat so viel Ruhe ausgestrahlt , den aufgeregten Mark beruhigt und Beate, unsere Hebamme, hat eine ungeheure Sicherheit ausgestrahlt. Ich habe immer wieder gedacht: Genau so muss das sein!
Ich habe keinen Gedanken mehr an die verpasste Geburt im Geburtshaus verschwendet, ich fühlte mich einfach nur wohl und sehr, sehr gut aufgehoben. Dann gab es noch einen Ultraschall, mein Kind wurde auf etwa 2400 Gramm geschätzt. Dann sind wir rüber in den Kreißsaal und Beate holte Ball und Matte und ließ uns erstmal alleine, nachdem sie nochmal das Gespräch gesucht hatte.
Dass es wirklich nun ganz anders läuft, als es geplant gewesen wäre, wir das Kind aber schon schaukeln werden. Das hat mich gut nochmal geerdet. Die Wehen wurden stärker, waren aber sehr gut zu veratmen und es stellte sich ein Gefühl ein von: „Ich schaffe das. Wenn das so bleibt, schaffe ich das locker!“ Gegen zehn Uhr Uhr bin ich dann nochmal alleine auf Toilette. Als eine Wehe kam, fing ich auf einmal an zu stöhnen. Es passierte ganz von alleine und ich weiß noch, dass ich dachte: „Das steht dir jetzt noch nicht zu. Es sind mal gerade drei Zentimeter…“
Das war ein großartiges Gefühl
Zurück in den Kreißsaal. Die Wehen kamen etwa alle drei Minuten. Und fünf Minuten später wurde das Stöhnen deutlich lauter. Birgit untersuchte um 10.15 Uhr – der Muttermund war acht Zentimeter geöffnet! Ich habe mich gewundert, dass ich die Wehen nicht als Schmerz wahrgenommen habe. Da war Druck, der stetig mehr wurde, aber kein Schmerz, wie ich es mir immer vorgestellt habe. „Und wie sollte das nun so schnell passiert sein, in einer knappen Stunde von drei auf acht Zentimeter?“ Ich wollte niemals Tönen oder Stöhnen in meiner Vorstellung, aber es war so gut und so erleichternd. So waren die Wehen bis dahin wirklich gut zu ertragen. Und ich bin eigentlich jemand, der mit Schmerzen nicht umgehen kann. Es war bis dahin auch wirklich von keinem Schmerz die Rede, nur von Druck – und der ließ sich durch das Tönen und Stöhnen sehr gut wegarbeiten. Ich habe einfach funktioniert nach meinem Instinkt. Das war ein großartiges Gefühl, dass das einfach alles von alleine ging und mein Körper das ohne Schmerzerleichterung schaffte. Da hätte ich im Vorfeld niemals mit gerechnet. Ich hatte mir so viele Gedanken gemacht, hatte Angst, ob ich eine Geburt schaffen könnte, gerade weil ich extrem schmerzempfindlich bin. Es so gut handhaben zu können, hätte ich es mir nicht vorgestellt. Das war Wahnsinn, ich konnte mich fallen lassen, als wäre da nichts Unbekanntes.
Beate baute dann eine Matte mit einem Hocker auf. Mark setzte sich dahinter und meine Freundin setzte sich mit einem kalten Waschlappen neben mich. Der war Gold wert. So habe ich dann einige Wehen veratmet und dann fing es an, richtig zu drücken. Das fühlte sich komisch an, es war kaum zu unterdrücken. Dann eine erneute vaginale Untersuchung gegen 10.40 Uhr: neun Zentimeter. Dann fing ich an langsam an, zu schimpfen, dass es so sehr drückt und Beate lächelte aufmunternd und sagte: „Kristina, du weißt doch, dass das nun drücken muss!“ Wir mussten beide lachen. Diese Hebamme an meiner Seite war ein wirkliches Geschenk! Es war trotz Klinikkreißsaal eine ganz tolle Atmosphäre und ich bin immer noch verzaubert von den Gedanken daran. Sie musste dann die Herztöne meines Kindes immer wieder suchen, und wollte mich gern aufs Bett haben auf die linke Seite, damit es besser runter rutscht. Und siehe da: Das brachte nochmal richtig was – und auch noch viel mehr Druck. Ich weiß noch, wie es mich fasziniert hat, jeden Zentimeter, den mein Baby tiefer rutschte, richtig zu spüren. Wahnsinn, ein total verrücktes Gefühl. Ich bin so dankbar dafür, dass so erlebt haben zu dürfen.
Der Muttermund war gegen 10.45 Uhr vollständig geöffnet. Ich wollte in meiner Vorstellung immer auf dem Hocker oder im Stehen mein Kind bekommen, aber im Bett fühlte es sich deutlich besser an. Das war einfach stimmig und ich konnte es besser aushalten. Dann fing ich an, nach Gefühl mitzudrücken. Als der Kopf geboren war, legte Beate meine Hand an den Kopf meines Kindes. Das war ein sehr verrücktes Gefühl. Ihn dabei zu begleiten, wie er von meinem Körper, in die Welt geboren wurde. Das hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt und war so ein tolles Erlebnis. Mit einer weiteren Wehe war er da. Herzlich Willkommen, mein Sohn!
„Nimm ihn dir!“
Der Druck war weg und von einer auf die andere Sekunde war so viel Ruhe. Beate sagte: „Nimm ihn dir!“ – und ich hob dieses kleine Etwas auf meine Brust. Er war quietschrosa und guckte mit großen Augen in die Welt. Er war topfit. Beate und der Arzt, der nur in den letzten drei Minuten den Kopf durch die Tür gesteckt hatte, einigten sich drauf, keine Kinderärzte zu holen und ihn bei mir zu lassen. Die könnten ihn sich später angucken. Dieses kleine Menschenkind! Mein Kopf kam da nicht so ganz hinterher. Es ist alles so unkompliziert und so schnell gegangen und ich fing an, mich im Kopf immer wieder zu fragen, ob das nun alles gewesen sei und wo er auf einmal her kommt. Diese Geburt in zwei Stunden ist für den Kopf irgendwie zu schnell gegangen. Zur Plazentalösung wurde ich nochmal akupunktiert und etwa 20 Minuten später kam dann die Plazenta. Ich war überrascht, was da nochmal für ein Druck kam. Dann musste noch ein Dammriss zweiten Grades genäht werden und die Vorstellung daran war das Schlimmste an der Geburt. Ich handelte eine gut dosierte Betäubung aus und dann war auch fix genäht.
Abschließend kann ich sagen, dass die Geburt tatsächlich das bewegendste Erlebnis in meinem Leben war. Ich bin nach fünf Jahren immer noch fasziniert, wie instinktiv ein Körper handeln kann. Und wie leicht eine Geburt auch sein kann. Sicherlich war es anstrengend, keine Frage. Aber hätte ich gewusst, wie unproblematisch, schnell und „einfach“ es sein kann, hätte ich mir viele Ängste und Sorgen in der Schwangerschaft erspart. Ich habe nur gute Erinnerungen an die Geburt meines Sohnes und hätte sofort das nächste Kind bekommen. Das Geburtserlebnis hat mich einfach völlig geflasht.
Eine ganz normale Mutter
Ich habe im Wochenbett dann ganz schnell festgestellt, dass ich bei mir selbst nicht in der Lage bin, professionell zu sein. Ich bin einfach eine ganz normale Mutter gewesen, die sich um ihr Baby sorgte und ihre Hebamme wahrscheinlich genau so oft gebraucht hat, wie eine fachfremde Wöchnerin. Die Gedanken an die Geburt haben mich tagelang nicht mehr losgelassen. Ich habe mich einen Tag später hingesetzt und alles aufgeschrieben. Da bin ich bis heute dankbar für. Vieles hätte ich vergessen.
Meine Arbeit heute wird sehr beeinflusst von meinem eigenen Erleben. Ich finde, ich kann mich besser einfühlen in die Paare, ihre Ängste und Sorgen besser nachvollziehen. Als kinderlose Hebamme habe ich eine Dinge sehr locker genommen, die ich nun anders bewerte. Was nicht heißt, dass ich jetzt eine bessere Hebamme bin, aber es macht es mir wahrscheinlich einfacher.
Nun bin ich gerade schwanger mit unserem 2. Kind und die oberste Priorität in dieser Schwangerschaft war es, mich wichtig zu nehmen. Diese Schwangerschaft zu genießen, Mutterschutz zu haben, mir Auszeiten zu gönnen. Das hat sehr gut geklappt. Mittlerweile bin ich in der 39. Schwangerschaftswoche. Zu Beginn dieser Schwangerschaft hätte ich nicht gedacht, dass ich es so weit schaffe. Ich bin in heller Vorfreude und Erwartung auf diese Geburt. Dieses Baby würde ich gerne im Wasser bekommen. Und am allermeisten freue ich mich auf den Moment, wenn die Geschwister sich das erste Mal in die Augen blicken.
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