Katrin hat hier bei uns bereits von der Geburt ihres ersten Kindes berichtet, das zu Hause das Licht der Welt erblickte. Die 40-Jährige ist seit fast 15 Jahren Hebamme. In ihrer Berliner Hebammenpraxis begleitet sie zusammen mit Kolleginnen Familien rund um die Geburt. Außerdem betreut sie als Familienhebamme schwangere Frauen und junge Familien in besonders belasteten Lebenssituationen. Zusammen mit ihrem Freund und den zwei gemeinsamen Töchtern lebt sie in Berlin. Heute erzählt sie von der kurzen Schwangerschaft und der Fehlgeburt ihres zweiten Kindes, die sie auch zu Hause in Ruhe erleben konnte, was trotz aller Trauer der richtige und passende Weg zum Verabschieden für sie war.
Als unsere erste Tochter knapp drei Jahre alt war, wollten wir so langsam Kind Nummer zwei „planen“. Für uns beide war schon immer klar, dass sie kein Einzelkind bleiben sollte. Mein Freund hätte die Erweiterung der Familie gerne auch etwas früher gestartet, ich selbst habe ihn etwas gebremst. Zum einen wollte ich gerne einige Zeit ohne Stillen, Wickeln und nächtliche Unterbrechungen meines Schlafes verbringen, zum anderen hatte ich selbst eine vier Jahre ältere
Schwester und fand den Abstand eigentlich ganz gut.
Zum Jahreswechsel 2012/2013 klappte es schließlich und so leuchtete mich Mitte Januar ein positiver Schwangerschaftstest an. Wir waren glücklich und freuten uns sehr! Nachdem die erste Schwangerschaft und Geburt sehr unkompliziert waren, ging ich zunächst selbstverständlich davon aus, dass alles gut verlaufen sollte. Ich war einfach nur schwanger, brauchte dafür auch keine weitere Bestätigung und Kontrolle. Ich vereinbarte einen ersten Termin bei meiner Ärztin für die 12. Schwangerschaftswoche. In der ersten Schwangerschaft hatte ich es nicht ganz so lange ausgehalten, die Neugier und Aufregung waren einfach zu groß. Dieses Mal sah ich keinerlei Grund, vor dem routinemäßigen ersten Ultraschall meine Gynäkologin aufzusuchen.
Meine Sorge nahm ab und meine Vorfreude zu
Der erste kleine „Dämpfer“ kam dann schon recht schnell, als ich ungefähr in der 6. Woche am Wochenende morgens mit starken Unterleibsschmerzen aufwachte. Mein Freund, der teilweise nachts arbeitet, war nicht zu Hause und so begab ich mich schließlich mit unserer Tochter im Taxi zum nächsten Krankenhaus. Die Schmerzen waren einfach zu stark und meine größte Sorge war eine Eileiterschwangerschaft, die – wenn sie unerkannt bleibt – sehr schwerwiegende Folgen haben kann. Im Krankenhaus ging zum Glück alles recht schnell. Eine Eileiterschwangerschaft war es glücklicherweise nicht, jedoch konnte der Arzt nur eine leere Fruchthöhle erkennen – mehr nicht. Angesichts der frühen Woche sagte er, das könne alles und nichts bedeuten und ich solle einfach in der kommenden Woche zur Kontrolle gehen.
Da sich die Schmerzen schnell beruhigten und keine weiteren Probleme auftauchten, entschied ich mich aber gegen diese Kontrolle. Ich wollte nicht alle paar Tage zur Gyn rennen und in diese Kontrollmühle hineingeraten. Sollte etwas schief gehen, würde ich es früher oder später merken, da sich das Kind dann verabschieden würde. Nichts geschah und da ich zudem eindeutige Schwangerschaftszeichen wahrnahm, nahm meine Sorge ab und meine Vorfreude zu.
Mein Vater wollte mir Lebewohl sagen…
Als ich in der 9. Schwangerschaftswoche war, bekam ich dann einen unerwarteten Anruf von meinen Eltern. Mein Vater war schon lange krank (diverse Lungenkrankheiten inklusive einer Krebserkrankung), es ging ihm jedoch immer wieder auch besser. Es war uns allen klar, dass er nicht mehr „ewig“ leben würde, trotzdem kam dann alles schneller als gedacht. An jenem Tag Anfang Februar rief meine Mutter mich an und sagte: „Papa möchte sich von Dir verabschieden.“ Alles brach zusammen, ich konnte nicht glauben, was ich gerade hörte. Doch es war leider Realität: Mein Vater wollte mir Lebwohl sagen und sich anschließend mit Hilfe eines Morphiumtropfes in ein künstliches Koma versetzen lassen, das früher oder später mit seinem Tod enden sollte.
Ich war fassungslos, bat ihn zu warten, dass wir zumindest die Möglichkeit hätten, ihn nochmals persönlich zu sehen. Mein Vater lehnte diese Bitte ab, er wollte nicht mehr warten (wir wohnen knapp 900 Kilometer entfernt). Ich verabschiedete mich, legte auf und brach in Tränen aus. Mein Freund, der noch schlief, wurde schließlich so von mir geweckt und wir beschlossen zu meinen Eltern zu fliegen. Wir buchten direkt einen Flug, informierten meine Eltern und mein Vater stimmte zu, doch zu warten. Einige Stunden später, nachts um 0.30 Uhr, kamen wir bei meinem Vater auf der Intensivstation an. Wir verbrachten den nächsten Tag noch mit ihm, abends schaute er Fußball (seine Lieblingsmannschaft spielte), danach bekam er seinen Tropf. Er wachte am nächsten morgen nicht mehr auf und nach nur wenigen Stunden verstarb er in der darauffolgenden Nacht. Eine Seele geht, eine andere kommt… das war mein größter Halt in dieser schweren Zeit.
Sich in Ruhe verabschieden
Ich blieb noch einige Tage bei meiner Mutter, dann ging es zurück nach Berlin, kurz darauf sollte der erste Kontrollbesuch bei meiner Gynäkologin stattfinden. Doch in der Nacht vor dem Kontrolltermin begann ich zu bluten. Nicht übermäßig stark, aber beunruhigend genug. Der Termin am nächsten Tag bestätigte meine Vermutung: Das Baby war auf dem Weg zu gehen. Die Ärztin stellte zudem fest, dass es sich bereits seit knapp zwei Wochen nicht weiter entwickelt hatte. Opa und Enkelkind hatten sich also etwa zeitgleich verabschiedet. Wieder brach eine Welt für mich zusammen, hatte mir doch unser Baby geholfen, mit der Trauer um meinen Vater besser umzugehen.
Für mich war sofort klar, dass ich keine Operation wollte. In Deutschland ist es leider nach wie vor üblich, dass sofort eine Ausschabung terminiert wird. Die meisten Ärzte erwähnen nicht einmal die Variante, dass man auch abwarten und einfach den Körper „seinen Job machen lassen“ kann. Ich bevorzuge, sofern es möglich ist, den natürlichen Weg. Meine Ärztin war zum Glück direkt auf meiner Seite und unterstützte mich in meinem Wunsch. Ich ging also nach Hause und wartete ab. Drei Tage dauerte es insgesamt, bis sich das kleine Menschlein schließlich komplett verabschiedet hatte. Es war nicht leicht, aber ich war unglaublich froh, dass mein Körper das alles so geregelt hatte und keine Operation notwendig war. Ich hoffe, dass immer mehr Frauen erfahren, dass eine Operation bei einem Abort nicht zwingend notwendig ist und werde meinen Teil dazu beitragen. Ich denke, dass es für viele Frauen der bessere Weg ist, da man sich in Ruhe verabschieden kann. Zudem ist es der schonendere Weg. Jede Operation, die nicht zwingend nötig ist, sollte man meiner Meinung nach nicht durchführen.
Zu guter Letzt, da dies ein sehr trauriger Bericht ist, bei dessen Niederschrift auch meine Tränen nochmal rollten: Drei Monate später war ich wieder schwanger und drei Tage nach dem ersten Todestag meines Papas wurde unsere wunderbare zweite Tochter geboren… aber das ist eine andere Geschichte.
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