Katharina hat direkt nach dem Abitur ihre Hebammenausbildung gemacht. Entscheidend für diesen Berufswunsch war die Geburt ihrer eigenen Tochter, bei der sie gerade einmal 15 Jahre alt war. Wie sie die Geburt, die damals in Portugal stattfand, als so junges Mädchen erlebt hat, hat sie für uns aufgeschrieben. Heute lebt die 28-Jährige mit ihrer zwölfjährigen Tochter Henrika in Hamburg und arbeitet als Wirtschaftspsychologin. Als Hebamme hat sie nur drei Jahre lang arbeiten können. Als alleinerziehende Mutter konnte sie aufgrund der berufspolitischen Bedingungen für Hebammen nicht länger davon leben und musste sich schweren Herzens – wie leider so viele Kolleginnen – für eine andere berufliche Laufbahn entscheiden.
Da sitze ich nun also an diesem grauen 5. Dezember. 14 Jahre alt, Tochter eines Pastoren, irgendwo in einem Vorort von Lissabon auf dem Gyn-Stuhl der einzigen Deutsch sprechenden Gynäkologin in Portugal. Hat sie das gerade wirklich gesagt? „Du bist schwanger, Süße.“ Dabei legte sie ihre Hand auf mein Knie und ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. An die Sternchen, die ich auf einmal vor Augen hatte. Scheiße.
Wir verständigten uns darauf, dass sie es meiner Mutter sagen würde, die zu dem Zeitpunkt noch im Besprechungsraum saß und wartete. Vorher wollten wir aber noch einen Ultraschall machen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. „Wenigstens wird es ein Mädchen“, sagte sie. Als große Schwester von drei kleinen Jungen ein kleiner Trost. Und so kam es, dass sich mein Leben für immer verändern würde.
Die verbleibenden 18 Wochen Schwangerschaft verliefen, wie man es sich bei einer so jungen Mutter eben vorstellen kann. Gespräche mit der Schulleitung und dem Arbeitgeber meines Vaters (zu dem er erst ein paar Monate vor der Schwangerschaft gewechselt war), viel Chaos und gleichzeitig war alles, zumindest gesundheitlich, total unkompliziert. Der voraussichtliche Geburtstermin wurde anhand der Größe des Kindes auf den 21. April gesetzt. Der Geburtstag meines Vaters.
Innerhalb kürzester Zeit eine perfekt sitzende PDA
Am 14. April, es waren Osterferien, ging ich abends noch mit meinem Vater und den Brüdern ins Kino, um Dschungelbuch 2 zu schauen. Alles war wie immer, nur war ich einfach appetitlos und müde. So ging ich also ohne Abendessen ins Bett, um gegen zwei Uhr morgens von einem Blasensprung und leichten Wehen geweckt zu werden. Da das Köpfchen noch nicht fest war, waren wir angehalten, den Krankentransport zu rufen. Gar nicht so einfach, mit nur rudimentären Sprachkenntnissen und der großen Prise typisch portugiesischer Verplantheit. Zwei Stunden später ist uns dies aber gelungen und endlich kam der Krankenwagen, der auch das Krankenhaus unserer Wahl anfuhr. Dort angekommen wurde ich erstmal geparkt und meine Mutter musste, bevor ich aufgenommen wurde, erstmal die Geburt im Voraus bezahlen. Anders wird man in Portugal, wenn man nicht versichert ist, einfach nicht behandelt. Aber auch hier herrschte die klassische, portugiesische Gelassenheit… es dauerte ewig.
Als das Finanzielle endlich geregelt war, riefen wir meine deutsche Gynäkologin an, die sich bereit erklärt hatte, die Geburt zu begleiten. Hebammen in dem Sinne, wie wir sie in Deutschland kennen, gibt es in Portugal nicht. Das hat mich schon damals traurig gemacht hat, da ich die Schwangerschaften meiner Mutter, die Geburten und Wochenbetten meiner Brüder mit Hilfe der Hebamme ganz bewusst erlebt habe. Viele in Portugal lebende deutsche Frauen fliegen übrigens zur Geburt nach Hause… kein Wunder.
Ich kam in den Kreisssaal, der ein knapp 15 Quadratmeter großer, weiß gekachelter Raum mit einer Pritsche war, einem Abstellraum nicht unähnlich. Also rauf da, na gut. Bequem geht anders. Gegen Sieben kam dann meine Ärztin, die mir, mal wieder, eine PDA aufquatschen wollte. Das war schon in der Vorsorge ein großes Thema. Sie war der Meinung, dass so junge Frauen aufgrund des Geburtsschmerzes schwerst traumatisiert werden würden. Im Nachhinein würde ich wagen zu behaupten, dass die Beraubung meiner eigenen Einstellungen und Wünsche zur Geburt und zum Umgang mit den Wehen, MEINEN Wehen, traumatischer für mich war. Wenngleich die Bezeichnung „traumatisch“ natürlich sehr krass ist.
Jedes Mal kam jemand Fremdes
Als um 8.30 Uhr immer noch keine PDA lag, drohte sie mir an, wieder nach Hause zu gehen. Kurz nach Neun kam dann der Anästhesist, der innerhalb kürzester Zeit eine perfekt sitzende PDA stach. Selbstverständlich konnte ich damit nicht laufen, wie zuvor angepriesen. Und so lag ich da, in diesem kahlen Raum am Dauer-CTG plus Oxy-Tropf, der stetig gesteigert wurde. Wenn das CTG aufgrund meiner Bewegungen nicht aufzeichnete, bekam ich sofort Panik. Ich war der festen Überzeugung, mein Kind würde sterben. Zum Glück war meine Mutter da, die nur einmal kurz zum Sachen packen wieder nach Hause ging. Ich schrieb derweil eine SMS an meine Freundin Jana, um ihr zu sagen, dass aus unserem DVD-Abend heute wohl nichts würde.
Gelegentlich kam eine Krankenschwester, deren Sprache ich noch nicht sprach, um mich zu katheterisieren. Jedes Mal kam jemand Fremdes, nur die mir vertraute Ärztin nicht. Gegen 16 Uhr kam meine Ärztin, das erste Mal, wieder in den Raum und untersuchte mich, um festzustellen, dass der Muttermund vollständig eröffnet war und wir begannen die ersten Pressversuche in Steinschnittlage (Anm. d. Red.: Rückenlage mit in Beinhaltern gelagerten Beinen). Wie zu erwarten verschlechterten sich die Herztöne und aus dem „Gucken wir mal“ wurde plötzlich ein „Wenn das Baby nicht nach der nächsten Wehe kommt, müssen wir eine Notsectio machen!“. Binnen Sekunden wurden wurden zwei angestellte Hebammen sowie der ebenfalls deutschsprachige Schul- und Kinderarzt gerufen – und zur nächsten Wehe sprangen diese beiden Hebammen und der Kinderarzt auf meinen Bauch, die Gynäkologin schnitt die Epi („weil junge Frauen ja soooo eng sind, MUSS das sein“) und meine Tochter fetzte aus mir heraus in die Hände der Gynäkologin, die, selbst überrascht über diese Wucht, es nur schaffte, das Kind kurz vor knapp aufzufangen. Meine Mutter weinte vor Freude und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht auch weinen konnte. Was für ein komisches Erlebnis… nie hätte ich mir vorstellen können, dass eine Geburt so „unbeteiligt“ von statten gehen konnte. All das passierte an einem wunderschönen, sonnigen Dienstag im Frühling.
Es wurde turboschnell abgenabelt und meine Tochter landete als erstes auf dem Arm des Kinderarztes, der sie kurz absaugte, wog, vermaß und erst dann zu mir gab. 49 Zentimeter und 3030 Gramm hatte dieses Menschlein. Das schönste von allen. Natürlich. Die PDA war abgeschaltet, die Ärztin begann zu nähen. Als sie endlich fertig war, drückte sie mir das Kind an die Brust, ich solle doch jetzt bitte mal stillen, was nur so mäßig klappte. Ich wurde auf Station in mein Zimmer verlegt. „Das mit dem Stillen muss man halt üben!“ Aha.
Unter der Geburt weder essen noch trinken
Übrigens durfte man zu der Zeit unter der Geburt weder essen noch trinken, was trotz der „kurzen“ Geburtsdauer (15 Stunden ab Blasensprung, acht Stunden Wehen) für mich die absolute Hölle war. Folglich ist es es fast logisch, dass ich nach der ersten Mobilisation auf der Toilette kollabierte. Nachdem ich wieder auf die Beine gebracht wurde, habe ich nie wieder eine Hebamme, Krankenschwester oder einen Arzt gesehen. Zum Glück durfte meine Mutter bleiben und so gingen wir am nächsten Morgen um 9 Uhr nach Hause. Und dort saß ich dann oder besser: Ich versuchte zu sitzen. Diese sch*** Naht. Mein Kind quietschegelb, und es ging nur nach starkem Protest an die Brust. Nach einer Woche hatte ich einen fetten Milchstau. Wie man den in Portugal, ohne Hebammennbetreuung, behandelt? Hoffen, dass man jemanden Erfahrenes an seiner Seite hat. Und so hat meine Mutter diesen Milchstau bei mir behandelt. Da das mit dem Stillen schlecht klappte, begannen wir nach zwei Wochen zuzufüttern. Das hatte zur Folge, dass das Stillen insgesamt nicht so gut geklappt hatte, wie ich es erwartet hätte. Und ich bedauere mich bis heute noch ein wenig selbst deswegen.
Die entzündete Naht lasse ich hier mal außen vor… Gott sei Dank haben wir in der Apotheke mit viel Augenklimpern ein Antibiotikum auch ohne Rezept bekommen. Das war es also, mein Wochenbett. Nichts mit gemütlich im Bett liegen, kuscheln und schön langsam machen. Ununterbrochen war man damit beschäftigt zu überlegen, wie man seine Probleme nun alleine lösen konnte. Das betrauere ich, genauso wie die Geburtserfahrung selbst, bis heute.
Alles in allem war dies die prägnanteste Erfahrung in meinem Leben als (werdende) Frau und (späterer) Hebamme – und mir war ziemlich bald klar, dass ich Hebamme werden möchte. Ich wollte Frauen vor solchen Erfahrungen schützen und ihnen eine „behütete“ Zeit ermöglichen. Allen Frauen, auch den jungen! Und so tat ich es auch. Nach meinem Abitur zog ich zurück nach Deutschland, um hier die Hebammenausbildung zu beginnen. Leider musste ich meinen Traumberuf nach drei Jahren schlussendlich aufgeben, da es aufgrund der berufspolitischen Situation nicht möglich war, davon als alleinerziehende Frau in Hamburg leben zu können.
Bild: Simone Jahnke
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