Isabelle ist seit Sommer 2016 examinierte Hebamme und arbeitet seither in der Gebärabteilung eines Spitals in Zürich mit jährlich rund 2000 Geburten. Nach der Geburt ihres Sohnes Maurin ist sie sechs Monate zu Hause geblieben und arbeitet seit Juli 2018 wieder in einer 50-Prozent-Stelle im gleichen Gebärsaal. Hier erzählt sie von der Geburt ihres ersten Kindes und den Ambivalenzen zwischen dem Mutterwerden und Hebammesein.
Ich erwachte am frühen Morgen des 23. November 2017, weil ich dringend zur Toilette musste. Ganz normal, denn ich war in der 39. Schwangerschaftswoche. Ich hatte eine unkomplizierte und mehrheitlich schöne Schwangerschaft gehabt. In den ersten Wochen war mir fast ständig übel gewesen und ich war so müde, wie noch nie. Aber sobald die magische 12 überschritten gewesen war, hatte sich das alles gelegt.
Auch jetzt – am beschwerlichen Ende – konnte ich mich nicht beklagen. Lange Spaziergänge und Aktivitäten aller Art gehörten noch immer zu meinem Alltag. Ich hatte bis zur 36. Schwangerschaftswoche reduziert im Gebärsaal gearbeitet und mein Hebammensein sehr genossen, war dann aber froh um eine Pause zwischen selbst gebären und Geburten begleiten. Die Vorsorgen waren abgesehen von zwei Ultraschällen (zur 12. SSW und das Organscreening) von meiner Beleghebamme durchgeführt worden. Zu ihr hatte ich volles Vertrauen.
Ich freute mich wahnsinnig auf unser erstes Kind, war gespannt und voller Vorfreude. Die Geburt betrachtete ich eher als ein notwendiges Übel, war jedoch sicher, sie meistern zu können. Ich wusste, dass alle steuerbaren Faktoren perfekt waren: Ich war gesund, motiviert und zuversichtlich, das Kind völlig normal entwickelt. Ich hatte das bestmögliche Umfeld mit einer tollen Hebamme, einem motivierten und ebenfalls zuversichtlichen Ehemann. Und wir würden in einem kleinen Krankenhaus mit familiärem Geist gebären dürfen.
Dann schaltete sich zum Glück mein Hebammenhirn ein
Alles weitere würde sich zeigen. Ich machte mir auch keine Hoffnungen oder Vorstellungen vom Geburtsverlauf, wollte es einfach so nehmen, wie es kommt. Natürlich hatte ich mir im Vorfeld hunderte verschiedene Verläufe vorgestellt. Aber stets mit dem Grundgedanken, es komme sowieso alles anders, als ich denke. Und so war es auch.
Ich erwachte also, weil meine Blase drückte, rollte mich aus dem Bett und wankte schlaftrunken zur Toilette. Wasser lösen, abwischen – schlagartig war ich hellwach und sehr besorgt, da ich eine starke, hellrote Blutung entdeckte. Der Kontrollblick ins WC zeigte: Es blutete wirklich kräftig, stärker als zu Beginn der Menstruation. Ich erschrak furchtbar.
Dann schaltete sich zum Glück mein Hebammenhirn ein und befahl: Binde einlegen, etwas herumgehen, auf Kindsbewegungen achten. Nach einer kurzen Runde durch die Wohnung strampelte mein braver Bauchbewohner einmal ganz deutlich und ich war schon um einiges beruhigter. Zur Sicherheit weckte ich noch meinen Mann, der ebenfalls deutlich spürte, dass unser Baby offensichtlich zufrieden gegen meine Bauchwand trat.
Wehen waren gut auszuhalten
Da es aber weiter blutete, rief ich kurz danach meine Hebamme an, die mir riet im Krankenhaus eine Kontrolle zu machen und mich dort anmeldete. So fuhren wir um vier Uhr morgens durch die herbstliche Dunkelheit ins Krankenhaus – ja, das hatte ich mir vorgestellt, jedoch hatten Wehen oder Fruchtwasser in diesen Vorstellungen immer eine entscheidende Rolle gespielt…
Im Krankenhaus wurden wir ruhig und gelassen empfangen. Nachdem die Stärke der Blutung klar war, wurde ich jedoch sehr schnell ans CTG angeschlossen. Zum Glück war die Herzfrequenz normal und auch die weitere Kontrolle unauffällig. Allerdings konnte so auch nicht klar gesagt werden, wo die Blutung herkam. Ich bemerkte jedoch während der Kontrolle erste, sanfte Vorwehen und war zuversichtlich, dass es sich um eine frühe Zeichenblutung handelte.
Die Wehen waren gut auszuhalten, aber doch deutlich schmerzhafter, als das leichte Ziehen der letzten Tag oder die mir gut bekannten Regelschmerzen. Nachdem alle nötigen Befunde erhoben waren, ließen uns die Gynäkologin und die diensthabende Hebamme die Wahl, ob wir lieber im Spital warten und die Blutung beobachten wollten oder nach Hause gehen und dort abwarten, wie sich die Situation entwickeln würde. Das Team war ausgesprochen nett und zugewandt. Sie behandelten mich als Frau und Mutter, ließen mich aber wegen des Hebammenstatus auch selbst zu Wort kommen. Mein Mann und ich entschieden uns nach einigem Bedenken dazu, nach Hause zu fahren.
Zur Kontrolle in den Kreißsaal
Der Befund war: Portio (Anm.d.Red.: Gebärmutterhals) 2cm, zentriert mittelweich, Muttermund fingerkuppendruchlässig – und ich wollte auf keinen Fall meine Latenzphase im Krankenhaus zwischen CTGs und angespannt wartenden Hebammen verbringen. Also fuhren wir gemütlich nach Hause, holten unterwegs Croissants beim Bäcker (in der Zwischenzeit war es 7 Uhr in der Früh) und legten uns anschließend noch einmal etwas hin. Spätestens am nächsten Morgen, am 24. November, sollten wir wieder zur Kontrolle in den Kreißsaal. Dann würde auch meine Hebamme dazu kommen. Sie war natürlich über unser Prozedere informiert worden.
Gegen 10 Uhr erwachte ich mit deutlichen Kontraktionen, etwa alle fünf Minuten, die ich leicht veratmen musste. Ich war guter Dinge, aß ein zweites Frühstück und legte mich anschließend in die Badewanne, die mir sehr gut tat. Am frühen Mittag stieg ich aus der Wanne. Die Wehen waren nun alle fünf bis zehn Minuten und gut aushaltbar. Ich weckte meinen Mann, der immer noch schlief. Wir machten Mittagessen und gingen etwas spazieren. Es war ein grauer Herbsttag, aber trocken und nicht allzu kalt.
Auf dem Weg hatte ich erst sehr regelmäßige Wehen, die ich im Stehen und an meinen Mann gelehnt veratmete. Aber so nach 90 Minuten, auf dem Heimweg, wurden die Abstände immer größer und die Wehen immer schwächer. Ich war enttäuscht, hatte ich mir doch sehr gewünscht, es würde Richtung Geburt gehen. Zu Hause angekommen zeigte sich: Es blutete noch immer, jedoch weniger stark und die Kontraktionen waren weg.
Geburt konservativ anstupsen
Ich telefonierte mit der Hebamme und war etwas niedergeschlagen. Sie beruhigte mich allerdings und meinte, ich solle noch einmal gut ausschlafen und Kraft tanken, es werde schon alles gut. Ich hielt mich an ihren Rat und so gingen wir nach einem leckeren Abendessen und einer Folge unserer Lieblingsserie relativ früh ins Bett und schliefen bis zum nächsten Morgen durch.
Am nächsten morgen um 9.30 Uhr war der Kontrolltermin im Spital. Meine Hebamme betrachtete die gesammelten blutigen Binden der letzten 24 Stunden und war nun auch etwas besorgt. Wehen hatte ich gar keine mehr, aber sonst war bei der Kontrolle alles in Ordnung. Wir verabredeten, dass wir übers Wochenende versuchen würden, die Geburt konservativ anzustupsen. Die Blutung war deutlich und bereits länger als 24 Stunden, ewig lange wollten wir beide die Schwangerschaft nicht mehr weiterziehen. Und so war ich einverstanden, es mit dem Wehencocktail und Akupunktur zu versuchen. Ich wollte, wenn irgend möglich, einer medikamentösen Einleitung entgehen.
Die Hebamme verabschiedete sich gegen 10.30 Uhr und wir warteten im Spital auf die abschließende Ultraschalluntersuchung. Es war sehr viel los und die Ärztin hatte noch keine Zeit gehabt. Als wir um ca. 11 Uhr das Ultraschallzimmer betraten, spürte ich plötzlich eine deutliche Wehe und mit einem riesen Platsch – wie im Film – platzte meine Fruchtblase und ich spürte viel warmes Fruchtwasser meine Beine herablaufen. Zuerst war ich etwas überfordert. Ich war klatschnass im Flur, hatte Unterleibsschmerzen, wusste nicht sicher, ob es Blut oder Fruchtwasser war – es war gerade alles etwas viel.
Lackmustest bestätigte den Blasenprung
Aber zum Glück war mein Mann dabei, der mich behutsam auf die Liege setzte und mit mir zusammen einen kurzen Kontrollblick in die Unterhose warf: Es war klare Flüssigkeit, also alles gut. Der Lackmustest (Anm.d. Red.: Test zur Prüfung des pH-Wertes einer Flüssigkeit) bestätigte den Blasenprung eindeutig – und wir waren alle sehr froh. Nun war klar, die Geburt war nicht mehr weit weg und die Blutung höchstwahrscheinlich eine ungefährliche Zeichenblutung.
Die diensthabenden Hebammen wollten noch ein CTG schreiben, um zu sehen, ob das Kind jetzt nach dem Blasensprung irgendwie reagierte. So setzten wir uns erneut in den Wartebereich des Gebärsaals. Anschließend wollten wir wieder nach Hause und erst zur Geburt wieder ins Krankenhaus, denn Wehen hatte ich nach wie vor keine.
Um 12 Uhr war endlich ein Zimmer frei, in dem mein CTG geschrieben werden konnte. Es war unglaublich viel los an diesem Tag und ich war sehr froh, dass meine Hebamme nur mich betreuen würde. Da ich noch keine Wehen hatte, war sie noch nicht bei mir im Spital, sondern erledigte ihre Hausbesuche. Ich wurde durch die diensthabende Hebamme betreut und von ihr in ein Zimmer begleitet, das im Notfall als Gebärsaal, im Normalfall aber für geplante Kaiserschnitte oder Kontrollen benutzt wurde. Für einen Sectio-Eingriff (Anm.d.Red: Kaiserschnitt) war auch gerichtet. Ich sollte nur noch vorher schnell ein CTG bekommen, das Bett war mit einem Leintuch abgedeckt.
CTG einfach abgeschaltet
Sie startete das CTG in Seitenlage und wie auf Kommando hatte ich Wehen – so richtige Wehen. Ich war völlig überrascht, sagte mir jedoch: Du musst einfach atmen, atmen, atmen. Dann schaffst du das. Und so atmete ich mich durch diese Wehen, die nicht aufhörten. Es schmerzte furchtbar, dann schmerzte es weniger, dann wieder ganz schlimm. Ich hatte – und das blieb leider die ganze Geburt über so – nie eine schmerzfreie Wehenpause.
Nach etwa zehn Minuten am CTG rief meine Hebamme an und fragte, wie es mir ginge. Ich konnte während der Wehe schon nicht mehr mit ihr sprechen. Allerdings hatte ich große Angst, sie zu früh zu rufen und wollte unbedingt in einem anderen Raum gebären, da ich jetzt dringend in eine Badewanne wollte. Daher entschieden wir, dass wir nach dem CTG etwas spazieren gehen und dann neu evaluieren würden. Nach Hause wollte ich nicht mehr, das schien mir unrealistisch.
Nach 45 Minuten im Liegen hielt ich diese Position nicht mehr aus und schaltete das CTG einfach aus. Ich hatte keine Ahnung, ob es physiologisch war, ich wollte es einfach nicht mehr haben. Ich stand auf und sagte zu meinem Mann, dass wir nun spazieren würden. Er meinte, das sei unrealistisch, ich würde es wohl kaum aus dem Spital schaffen. Er hatte Recht, aber ich wollte unbedingt noch einmal aus diesem Raum raus und hoffte immer noch, bei unserer Rückkehr einen Gebärsaal mit Badewanne zu ergattern.
Ich vergaß alles: Zeit, Raum, Menschen…
Also verließen wir den Raum und machten uns auf den Weg aus dem Kreißsaal. Ich hatte unterwegs sicher fünf Wehen und kam kaum vorwärts. Vor der Kreißsaaltür entschieden wir, es wenigstens zur Caféteria zu schaffen, um meinem Mann, der morgens nichts essen kann, ein Sandwich zu kaufen. Vor dem Lift gab ich auf. Wir kehrten in unser Kabäuschen zurück.
Ich wehte weiter, in verschiedenen Positionen. Veratmete und vertönte die Wehen, gab mich einfach dieser Geburtskraft hin, die mich mitriss. Ich vergaß alles: Zeit, Raum, Menschen… es gab nur mich, den Schmerz, den Atem und ab und zu meinen Mann, der ohne viele Worte genau das richtige tat. Einmal zog er mir die Ohrringe aus. Dann machte er mir einen Zopf (oder versuchte es), damit mir die Haare nicht so in den Weg kamen. Er hielt mich fest, wenn die Position das nötig machte – wir waren wirklich ein super Team.
Die Hebammen im Kreißsaal hatten viel zu tun und ließen uns einfach in Ruhe. Aber das war okay so, ich brauchte sie nicht. Um ca. 14 Uhr musste ich kräftig erbrechen, da entschieden wir, unsere Hebamme anzurufen, sie müsse kommen. Sie sagte, sie brauche 40 Minuten. Das war mein Tiefpunkt. Ich merkte, dass ich sie jetzt brauchte, dass ich so starke Wehen und die ebenfalls schmerzhaften Wehenpausen so nicht mehr lange aushalten würde und dass ich – wenn ich nicht wirklich weit war unter der Geburt – sowieso eine PDA wollte. Das waren im Nachhinein die 40 schlimmsten Minuten.
Mein Mann reagierte richtig
Kurz bevor meine Hebamme kam, während einer Wehe, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, mitzuschieben. Ich bekam furchtbare Angst. Das Hebammenhirn lachte hämisch: „Bestimmt eine Hintere Hinterhauptslage und Pressdrang bei 3cm.“ Die Mutter in mir widersprach: „Um Himmels willen, du gebärst jetzt dann gleich.“ Mein Mann reagierte richtig und klingelte nach der Hebamme.
Meine Hebamme kam endlich an – und ich war so unglaublich froh, sie zu sehen. Nun wusste ich, würde alles gut werden. Sie setzte sich zu mir auf das weiche Bett, auf dem ich kniete und fragte, was es gebe. Ich sagte: „Es drückt und ich will nicht mehr.” Sie lächelte und tastete kurz darauf den Muttermund, er war 8cm offen, das Kind in der Interspinalebene (Anm.d.Red.: eine gedachte Verbindungslinie zwischen den Sitzbeinstacheln (Spinae ischiadicae) in der Beckenmitte).
Danach folgten viele Umbauarbeiten im Raum, die mein Hebammenhirn mit einer Mischung aus Spott und Mitleid aufnahm. Die arme Hebamme musste das weiche Bett, das für die Frau mit der geplanten Sectio – wo war die wohl hingekommen? – gerichtet worden war, aus dem Zimmer schieben. Und im Gegenzug ein Gebärbett ins Zimmer bringen. Sie legte mir einen venösen Zugang (das ist Routine im Spital und für mich absolut verständlich und okay) und nahm Blut ab. Sie organisierte meine stationäre Aufnahmen und und und…
In jeder Wehe Pressdrang
Ich wehte derweil weiter vor mich hin, nun motiviert und beruhigt über den guten Fortschritt. Wenn es in dem Tempo vorwärts ginge – so dachte ich – dann schaffen wir das. Mein Mann verließ kurz den Raum, um ein dringend nötiges Sandwich zu holen. Wenn ich an die Austreibungsphase zurückdenke, dann rieche ich immer noch den Duft seines Salamibrötchens, das er schnell in einer Ecke des Raumes verdrückt hat.
Nachdem sie den Raum eingerichtet hatte, bat meine Hebamme mich in den Vierfüßler zu gehen. Ich hatte nun in jeder Wehe Pressdrang. Es war 15 Uhr und der Muttermund ganz offen. Ich empfand den Vierfüßler als furchtbar anstrengend und ermüdend, merkte aber, dass das Kind bei jeder Wehe tiefer durch mein Becken rutschte. Meine Begleiter motivierten mich immer wieder, noch ein paar Wehen so zu verbleiben. Ich veratmete, vertönte die Wehen noch immer, schob nur so weit, wie der Körper es sagte. In den Pausen hatte ich nun etwas weniger Schmerzen und stärkte mich mit Traubenzucker und Apfelschorle. Außerdem fror ich ganz furchtbar, egal wie viele warme Tücher und Packungen sie mir gaben, mir blieb kalt.
Irgendwann hatte ich genug vom Vierfüßler und durfte mich auf die Seite legen. Ich schob nun wirklich in jeder Wehe mit und spürte, dass der Kopf schon tief im Becken war. Meine Hebamme zeigte mir mit der Hand, wie tief und ich berührte den Kopf meines kleinen Schatzes nur etwa zwei Querfinger über dem Beckenboden. Ich liebte die Seitenlage und fühlte mich sehr wohl, doch irgendwie schaffte es der Kleine nicht über die letzte Kurve des Beckenausgangs.
Ich hatte absolut keine Angst
Die Hebamme wollte, dass ich noch einmal in den Vierfüßler gehe, was ich absolut ablehnte. Also einigten wir uns auf den Maya-Hocker (Anm.d.Red.: spezieller Gebärhocker) . Nie hätte ich gedacht, auf dem Hocker zu gebären, aber es war toll. Endlich hatte ich die Kraft, in die Tiefe zu schieben und fühlte mich gleichzeitig, an meinen Mann gelehnt, rundum wohl und geborgen. Es spannte und tat grausam weh, aber ich wusste, dass es jetzt dann gleich geschafft ist und war sehr motiviert. Ich hatte absolut keine Angst, sondern wusste, noch einige Minuten und dann ist es vorbei.
Ich erinnere mich noch gut, dass ich bei der allerletzten Wehe noch einmal ganz deutliche Kindsbewegungen in mir gespürt habe. So kam nach wenigen weiteren Wehen um 15.50 Uhr unser kleiner Mann auf dem Maya-Hocker zur Welt. Meine Hebamme empfing ihn und legte ihn auf die weiche Matte vor mich, die sie für ihn bereit gelegt hatte.
Wir hatten das Geschlecht nicht wissen wollen und ich hatte mich oft gefragt, ob es mir im Moment der Geburt wichtig sein würde. Das war es – und wie! Ich schaute kurz ob das Kind atmete und dann sofort, augenblicklich, was es war. Ein Junge – ich hatte einen Sohn! Ich nahm ihn nach wenigen Augenblicken von der Matte auf und hielt ihn in meinen Armen, an meinen Mann gelehnt. Völlig erschöpft und überwältigt saßen wir alle drei da. Die Hebamme nabelte ab, nachdem die Nabelschnur auspulsiert war und wir legten uns ins Bett, den Kleinen auf meine nackte Haut.
Plazenta folgte problemlos
Doch er stöhnte deutlich beim Ausatmen und wirkte noch immer eher bläulich. Ich stimulierte ein wenig seine Füße und fragte besorgt bei der Hebamme nach, ob alles gut sei. Sie beruhigte mich zuerst, nahm den Kleinen dann doch auf die Kinder-Einheit und schließlich nach draußen zur CPAP-Unterstützung (Anm.d.Red.: Continuous Positive Airway Pressure- eine Beatmungsform, die die Spontanatmung des Patienten mit einem dauerhaften, während Einatmung und Ausatmung aufrechterhaltenen, Überdruck kombiniert). da es in dem kleinen Notfall-Gebärsaal keinen Perivent (Anm.d.Red.: Beatmungsgerät) gab. Mein Mann ging selbstverständlich mit und ich wurde ganz genau informiert, was sie machten.
Die Plazenta (Anm.d.Red.: Mutterkuchen) folgte problemlos und vollständig. Meine Hebamme verließ darauf kurz den Raum, um nach meinem Sohn zu sehen und so lag ich für einige Minuten ganz alleine im Zimmer. Ich war oberflächlich gewaschen worden, hatte eine warme, dicke Daunendecke und genoss es, einfach dazuliegen und nichts zu tun zu haben. Das war die Situation, die ich mir im Vorfeld immer als am allerschlimmsten vorgestellt hatte, aber in diesem speziellen Moment empfand ich es als völlig okay.
Es dauerte auch nur wenige Minuten, da kehrten mein Mann, unsere Hebamme und mein kleiner Sohn zu uns zurück und wir konnten endlich weiter bonden. Die nächsten Stunden verbrachten wir kuschelnd und staunend, hielten unser kleines Wunder im Arm, aßen ein leckeres Abendessen und genossen einfach den Zauber des Anfangs. Irgendwann duschte ich, zog mir bequeme Kleidung an, wir probierten immer wieder zu stillen, aber der Kleine wollte noch nicht so richtig trinken. Das war kein Problem. Er entdeckte die Brust am nächsten Tag und wir haben problemlos bis er 10 Monate alt war gestillt. Etwa sechs Stunden nach der Geburt, gegen 22 Uhr, machten wir uns auf den Heimweg. Es hatte am Abend zu schneien begonnen und so fuhren wir vorsichtig durch das Winterwunderland mit unserem kleinen Wunder nach Hause.
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