Isabel hat den wohl bewegendsten Geburtsbericht in dieser Reihe geschrieben, als sie hier von der Geburt ihrer ersten beiden Kinder erzählte, die in der 26. Schwangerschaftswoche und damit viel zu früh geboren wurden. Ihren ersten Sohn Jonathan musste sie nach wenigen Tagen wieder gehen lassen. Sein Zwillingsbruder David musste nach der Geburt noch lange Zeit in der Kinderklinik bleiben. Heute erzählt Isabel, die seit 2010 Hebamme ist, von der Hausgeburt ihres dritten Kindes, die für auch sie ein wichtiger Schritt zur Heilung nach der Kaiserschnittgeburt ihrer Zwillinge war.
Eigentlich beginnt Noams Hausgeburt lange vor seiner Zeugung. Als Hebamme habe ich selbst in Ausbildung und danach beim Arbeiten immer wieder klinische und wenige außerklinische Geburten begleitet. Und man fragt sich selbst nach jeder Geburt, was von dem Erlebten man für die eigene Geburt a) auf jeden Fall b) vielleicht und c) keinesfalls mitnehmen möchte.
Und wenn man einmal ganz grob Bilanz ziehen würde, könnte man es in meinem Fall mit einem Satz zusammenfassen: Alles, was ich unbedingt zu vermeiden gedachte, befand sich im Setting der klinischen Geburtshilfe. Ich wollte weder ständig am CTG hängen, noch verspürte ich ein gesteigertes Interesse daran, dass mir jemand sagte, wie lange „es“ dauern dürfte. Doch wie so oft im Leben kam es anders – als man denkt.
Die Geburt von Noam Benedikt oder die Heilung nach tiefem Kummer
Als ich im April 2011 das erste Mal schwanger wurde und uns der Ultraschall in der 11. Woche Zwillinge offenbarte, da ahnte ich bereits, dass die Sache nicht so einfach werden würde, wie ich mir das wünschte. Und ich sollte Recht behalten. Meine Schwangerschaft endete in der 26. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt. Ich habe genau da geboren, wo ich niemals hinwollte: auf dem OP Tisch. Es war nicht anders zu machen, ich tat es in Liebe für meine Kinder. Die Narbe blieb – nicht nur die am Bauch. Ich habe lange und tief getrauert, um diese Geburt, die für mich keine war.
Nicht ganz ein Jahr nach der Geburt von Jonathan und David wurde ich wieder schwanger. Unerwartet schnell. Ich höre mich noch heute zu meinem Mann sagen: „Wir können ruhig aufhören zu verhüten, bei dem ganzen Stress hier werd‘ ich eh nicht schwanger!“ Vielleicht sollte ich niemals wieder die Macht einer Herzenssehnsucht unterschätzen. Drei Wochen später war der Test positiv. Die Schwangerschaft verlief völlig komplikationslos und es war eine unausgesprochene Einigkeit, dass wir eine Hausgeburt planten. Ich weiß, dass ich diesen Wunsch niemals explizit erwähnt habe, es war einfach klar. Für Nick, unsere Hebamme und mich.
Wie zwei Bäume im Sturm sind wir durchs Wohnzimmer geschaukelt
Unser Söhnchen hat dann kurz vor dem Termin meine Geduld gewaltig strapaziert. Aber, so wenig ich diesen Satz in den Tagen vor seiner Geburt noch hören mochte, nun kann ich es selbst mit einem Grinsen von mir geben: „Es ist noch keines drin geblieben!“ Auch unseres nicht. Als mir am 11. Mai 2013 um 5.14 Uhr auf dem Weg zur Toilette die Fruchtblase platze, wusste ich, dass es nun endlich losging und dass mein Sohn nicht besonders egoistisch war. Er gedachte nämlich, sich seinen Geburtstag mit dem Geburtstag seiner Oma, meiner Freundin und außerdem dem Hochzeitstag meines Cousins zu teilen. Ich hatte mir ein exklusiveres Datum gewünscht, aber nun ja. Und so war statt Geburtstagskaffee bei der Schwiegermutter bzw. Hochzeit für die andere Oma eben Geburt angesagt.
Hebamme Nicola kam nach meinem Anruf und auf meinen Wunsch hin gegen halb acht zum Herztöne hören. Alles bestens. Regelmäßige Geburtswehen setzen gegen neun Uhr ein. Ich war noch in der Badewanne, habe später zwischen den Wehen gedöst. Gegen 12.30 Uhr Mittags war bis auf einen Rest Muttermund die Eröffnungsphase schon geschafft. Und wirklich gut aushaltbar. Ich habe mich an meinen Mann gehängt und wie zwei Bäume im Sturm sind wir durchs Wohnzimmer geschaukelt. Wehe um Wehe. Unser „Geburtstanz“ ist bis heute legendär bei allen Anwesenden in Erinnerung. Ich hatte die Nähe meines Mannes und doch habe ich durch die Bewegung mein eigenes Ding gemacht. Ich wollte keine Massage und trotzdem Nick irgendwie spüren. Für mich war das der perfekte Mittelweg. So fand ich den Schmerz sehr gut tragbar.
In eigener Verantwortung und Selbstbestimmung entschieden
Doch der letzte Rest Muttermund hat mich dann doch nochmal ziemlich zermürbt. Durch den vorangegangenen Kaiserschnitt wollte er sich einfach nicht zurückziehen und wurde bei jeder Wehe zwischen Schambein und Noams Kopf zusammengequetscht. Dieser Schmerz war von einer ganz anderen Nummer. Das war kein Wehenschmerz, das hat mich zerrissen. Und das war sehr bald nicht mehr ertragbar. Ich habe geflucht, gebrüllt, gelitten. Bis ich endlich soweit war, dass ich Nicola den Rest Muttermund nach oben schieben ließ, hatte ich einiges hinter mir. Die Austreibungsphase danach habe ich als angenehm in Erinnerung. Anstrengend, ja. Aber so gut wie schmerzfrei. Insbesondere im Vergleich zu vorher. Noam ist dann letztlich tatsächlich so geboren, wie ich als Hebamme Geburten gerne begleitet habe: Der Kopf kam in der tiefen Hocke, der Rest auf dem Hocker.
Rückblickend muss ich immer noch darüber schmunzeln, denn noch in der Schwangerschaft hatte ich zu Nicola gemeint, ich könnte mir stehend oder kniend gut vorstellen. Aber – und das weiß ich nun besser als je zuvor – Geburten lassen sich nicht planen. Nicht mal als Hebamme, nicht mal die eigene. Als unser kleiner großer Sohn um 16.33 Uhr das Licht der Welt erblickte, war nach dieser langen Reise sehr viel in mir: Erschöpfung, Glück, Dankbarkeit. Und es hat nicht lange gedauert, bis mich unendlicher Stolz durchflutete. Stolz, diese Reise aus eigener Kraft mit meinem Kind geschafft zu haben. Aktiv geboren zu haben, statt entbunden worden zu sein. Die Geburt erlebt zu haben, statt Bauchnabel abwärts betäubt zu sein. Gebären ist so viel Weiblichkeit und niemals würde ich mir freiwillig diese Ur-Macht nehmen lassen. Ich habe zu Hause endlich das erleben dürfen, wonach ich mich seit der Zwillingsschwangerschaft immer gesehnt hatte. Ich habe in eigener Verantwortung und Selbstbestimmung entschieden, wo mein Kind zur Welt kommen soll.
Ich bin Nicola unendlich dankbar, dass sie mir diesen Raum gewährt hat. Dass sie mir ermöglicht hat, mein Kind im Kreise seiner Familie willkommen zu heißen, in ihrem Schutz und in Geborgenheit. Dieser Tag hat nicht nur Noam in unsere Familie geboren, sondern auch die Narben des Kaiserschnitts seiner Brüder heilen lassen. Noch heute, dreieinhalb Jahre nach seiner Geburt, durchströmt mich ein magisches Glücksgefühl, wenn ich an seine Geburt denke. Während ich das schreibe, trage ich nun unser viertes Kind unter dem Herzen und freue mich auch auf diese Geburt. Die Magie, diesen Zauber – unvergleichlich, unbeschreiblich.
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