Heike ist 30 Jahre alt und seit über fünf Jahren Hebamme. Nach ihrer Ausbildung ist sie direkt in die Freiberuflichkeit gegangen und hat in allen Bereichen der Hebammenarbeit inklusive Geburtshilfe als Beleghebamme gearbeitet. Später hat sie dann ohne Geburtshilfe in eigener Praxis gearbeitet und tut dies seit dem Ende ihrer Elternzeit im letzten Jahr auch wieder. Dies ist der Geburtsbericht von ihrem Sohn Max, der sich in der 26. Schwangerschaftswoche viel zu früh auf den Weg in die Welt machte. Es war ein dramatischer Start, bei dem die Eltern nicht wussten, ob ihr Kind bei ihnen bleiben würde. Mit viel Liebe und Kraft haben sie ihren Sohn in diesen schweren Tagen begleitet. Heute ist der kleine große Kämpfer eineinhalb Jahre alt.
Es ist der 1. September 2014, 7.40 Uhr. Ich werde mit einem Druck im Bauch wach, denke aber nichts Böses dabei. Gehe nach unten und lasse unseren Hundewelpen raus. An der Tür wartend wird der Druck intensiver. Ich gehe auf die Toilette, ist bestimmt der Darm. Wehen? Nein, Wehen können es nicht sein, denke ich mir leise. Ich bin doch erst 25+4. Auf der Toilette ist dann ein bisschen Blut zu sehen – und auch wenn ich sonst eher die ruhige bin, weiß ich instinktiv, es stimmt etwas nicht. Ich gehe nach oben, wecke meinen Mann und sage, dass wir wohl mal zur Gynäkologin müssen. Ich hätte ein bisschen geblutet.
Am Geländer gelehnt rufe ich um 8.25 Uhr die Gyn an, dort bekomme ich zu hören: „Es ist Montag, das dauert, drei Stunden werden Sie wohl warten müssen.“ Ich lege auf, gucke meinen Mann an und sage ihm dies. Er möchte sofort den Krankenwagen rufen. Ich krümme mich mittlerweile vor Schmerzen. Wehen? Nein, Wehen können das nicht sein! Um 9 Uhr sitzen wir im Auto. Ich sage zu meinem Mann, er solle bitte auf die Uhr schauen. Ich kann doch als Hebammenkollegin nicht mit Verdacht auf Wehen dahin fahren und dann hab ich nur ’nen Pups quer sitzen. Mein Mann wiederholt sich und sagt: „Schatz, du hast Wehen.“
Nach 20 Minuten Autofahrt, auf der ich alle drei Minuten Wehen hatte, die mich innerlich zerrissen, kommen wir endlich an. Ich klingele, eine Praktikantin ist dran. Ich sage nur, sie solle sofort die Tür öffnen. Im Kreißsaal treffe ich auf Kristina, die Hebamme im Dienst und dann sehe ich Miriam, meine liebe nette Miriam. Ich bin so froh, dass die beiden da sind. Ich war selber für zweieinhalb Jahre als Beleghebamme dort. Sie gucken mich an und sagen nur: „Wie weit?“
Ich hatte es im Gefühl, ich hatte solche starken Wehen
„26. SSW“, antworte ich. Und dann werden alle etwas hektischer. Ich werde in den Kreißsaal geführt. Soll den CTG-Gurt anziehen, schaffe es aber nicht, auf das Bett zu steigen. Unmöglich! Die Wehen kommen alle zwei Minuten, ich töne, sehr laut. Draußen ist gerade Arztübergabe. Es sind alle da. Alle hören mich. Kristina nimmt mich zum Ultraschall mit. Auf dem Gyn-Stuhl untersucht mit die Ärztin. Ich weiß es. Ich sehe es in ihrem Blick. Sie guckt Kristina an und sagt nur: „Komm mal her!“ Kristina guckt und sagt: „Heike, du hast einen Fruchtblasenprolaps, die Fruchtblase hängt schon acht Zentimeter in der Scheide, dein Muttermund ist vier Zentimeter offen.“
Von da an ist es sicher. Ich weiß, dass Maximilian heute geboren werden würde. Auf einmal stehen die Oberärztin, die Assistenzärztin und Kristina alle bei mir. Ich bekomme einen Zugang gelegt, es wird ein Wehenhemmer verabreicht. Ich bekomme die Lungenreife gespritzt. Es wird der Ultraschall gemacht. Alles auf einmal. Ich sage immer nur wieder: „Ihr müsst alles Flo erklären, er versteht doch nichts hier von.“ Ich werde nach der ganzen Prozedur in den Kreißsaal geschoben, ans CTG angeschlossen und dann sind für einen kurzen Moment alle Weg. Ich bin mit Flo alleine und er fragt mich nur: „Wird er gleich geboren?“ Ich nicke kaum wahrnehmbar.
Ich hatte es im Gefühl, ich hatte solche starken Wehen – und gepaart mit Angst um unseren Sohn waren sie unerträglich. Kristina und die Oberärztin kommen, das CTG läuft sieben Minuten, dann wird es warm zwischen meinen Beinen. Ich sage es Kristina und sie sagt nur: „Scheiße Heike, du blutest.“ Und dann wird im gleichen Moment die Notsectio ausgerufen. Alle packen mit an. Ich ziehe mich aus, schnell den OP-Kittel an, dazu die Antithrombosestrümpfe. Ich weiß ja, wie eine Notsectio abläuft. Ich werde in den OP gefahren, wo alle da sind. Wo alle auf meinen Sohn warten. Ich hüpfe auf den Tisch, Flo ist nicht da. Er darf nicht rein. Im OP sehe ich dann die 2. Oberärztin, mit ihr habe ich so wunderschöne Geburten begleitet – und ich sehe die Angst und die Hilflosigkeit in den Augen des Personals. Ich bin froh, dass sie da ist. Der dritte Arzt steht an der Tür und hält Wache. Es sind alle da. Flo steht hinter der Schiebetür und wird von Miriam aufgefangen. Sekunden später brennt es im Hals und ich liege in Vollnarkose.
Um 9.20 Uhr waren wir im Kreißsaal, um 10.18 Uhr ist Maximilian da. 1090 Gramm, 35 Zentimeter groß. Sehr groß für seine Woche, alle sind erstaunt. Ich weiß nicht, wie spät es ist, als ich das erste Mal wach werde. Ich sehe Flo. Ich frage ihn, was Max macht und wie er aussieht. Er zeigt mir Bilder und sagt, er sei wunderschön. Ich schlafe wieder ein. Gegen 11 Uhr werde ich wach und habe Schmerzen. Kristina ist da. Redet mit mir, macht mich frisch. Was wir redeten weiß ich heute nicht mehr.
Mein kleiner Kerl, so zart und zerbrechlich
Es klopft, meine Mutter ist da. Flo hatte ihr eine SMS geschickt mit den Worten: „Maximilian wird jetzt geboren.“ Bis dahin wusste niemand, welches Geschlecht unser Kind hat, nur wir als Eltern. Meine Mutter begreift zunächst nichts, sie fragt nur: „Wer ist Maximilian?“ Ich sage: „Dein Enkel. Er ist gleich da“. Meine Mutter weint, als sie mich sieht. Ich weine auch. Ich will so sehr zu meinem Sohn. Zunächst werde ich auf die Gynäkologie verlegt. Ich soll nicht die ganze Zeit das Babygeschrei hören. Eine sehr nette Türkin liegt bei mir. Sie ist so einfühlsam und rücksichtsvoll in den nächsten drei Tagen. Es hält mich aber nichts mehr im Zimmer, ich will hoch zu Max. An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Krankenhaus keine Level-1-Klinik ist. So frühe Frühchen nehmen sie eigentlich nicht. Sie hatten noch versucht, mich zu verlegen. Aber in 58 Minuten Kreißsaalzeit war das nicht mehr möglich.
Als ich Max dann das erste Mal sehe, weine ich. Er ist von oben bis unten mit Hämatomen übersäat. Es wird mir erklärt, dass er von den Wehen wie „geprügelt“ worden war. Er wird beatmet, sein Brustkorb senkt sich im regelmäßigen Takt. Ich frage, ob ich ihn berühren darf. Als ich ihn anfasse, zittere ich am ganzen Körper. Mein kleiner Kerl, so zart und zerbrechlich. Und doch bist du noch da.
Die Minuten vergehen. Wir werden vom Oberarzt über vieles aufgeklärt. Uns wird gesagt, dass wir uns auf einen Knall am 3. Tag einstellen sollen und so kommt es. Am 3. Tag, es ist der 3. September, werden wir morgens zu ihm gerufen. In den Morgenstunden hatte er eine schlimme Hirnblutung erlitten. Er hatte ein multiples Organversagen. Es würde ihm sehr schlecht gehen, sagt die Ärztin. Sie fragt mich, ob wir ihn taufen lassen möchten. Da scheppert es bei mir. Taufen, sie sprechen von taufen. Er stirbt! Es wird eine Nottaufe. Oh Gott. Ich weine, ich schluchze. Ich bekomme kaum Luft. Flo hält meine Hand. Er ist ganz ruhig. Wir rufen unseren Pfarrer an, der uns auch getraut hatte. Er kommt so schnell es geht. Um 16 Uhr wird Max im Beisein von uns und der Oma und Tante notgetauft. Es ist schön. Wir haben ein Taufkleid, mit Schuhen, eine Mütze und eine Taufkerze. Alles ist da, alles wurde uns geschenkt.
Als der Pfarrer am Inkubator steht und Max berührt, reißt Max die Augen auf, als ob er sagen möchte: „Was willst du denn hier? Ich bin noch nicht bereit!“ Von diesem Moment kämpft er. Er übersteht die Hirnblutung, er wird verlegt ins Klinikum mit Neurochirurgie. Er wird fünf Mal am Gehirn operiert. Er ist über einen Shunt versorgt. Dieser regelt den Abfluss vom Hirnwasser, denn die Ventrikel, die das eigentlich machen, waren durch die Blutung verstopft. In all dieser Zeit haben wir immer zu Max gesagt: „Wenn du gehen möchtest, dann darfst du das. Wenn du keine Kraft mehr zum kämpfen hast, dann geh. Wir sind bei dir und wir begleiten dich, wo immer du hin möchtest.“ Aber er ist da, auch eineinhalb Jahre später ist er noch da – und wir sind so stolz. Er ist gehandicapt, aber er ist ein Wunder. Er ist unser kleiner, großer Kämpfer.
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