Hanneli ist 26 Jahre alt und arbeitet seit zwei Jahren als freiberufliche Hebamme in der Vorsorge und in der Wochenbettbetreuung. Außerdem ist sie noch noch Yogalehrerin und gibt viele Kurse. Hier erzählt sie von der Geburt ihres ersten Kindes.
Ich war zum ersten Mal schwanger, mit einem Kind, was ich mir so sehr gewünscht hatte. Und mit einem, Mann den ich über alles liebe und den ich mir wunderbar als Vater vorstellen konnte. Nachdem ich die Pille abgesetzt hatte, dauerte es erst einmal eine ziemlich lange Zeit, bis ich überhaupt wieder meine Tage bekam, aber nur wenige Zyklen später wurde ich schwanger. Ich freute mich so! Arne freute sich so! Meine ganze Familie und Freunde freute sich so!
Die Schwangerschaft verlief super. Zwei, drei Wochen lang war mir viel übel, aber das hatte sich dann zum Glück rasch erledigt. Ich freute mich über die wachsenden Brüste, spürte das kleine Wesen in mir heranwachsen, ziemlich früh in der 15. SSW spürte ich auch seine Bewegungen.
Wenn mich andere Leute fragten, wie es mir so ginge, dachte ich immer, dass sich im Prinzip nichts geändert hatte. Ich arbeitete genauso viel wie vorher und machte weiterhin jeden Tag zwei bis drei Stunden Sport. Ich bin ein wenig sportsüchtig, aber praktischerweise gebe ich viele Kurse, sodass ich für dieses Laster auch noch bezahlt werde. Unternehmungen gab es auch viele – und das tatsächlich bis ganz zum Ende. Einen Tag vor dem errechneten Termin fuhr ich noch 120 Kilometer Fahrrad, um eine Freundin in Weimar zu besuchen.
Der ET kam und ging
Zu meinen größten Schwächen gehört die Ungeduld. Natürlich ist mir (als Hebamme!) bewusst, dass das Baby nicht am ET, sondern irgendwann in den drei Wochen vorher und zwei Wochen danach geboren wird. Und natürlich sage ich all meinen Frauen, sie sollen Freunden und Bekannten bloß nicht den errechneten Termin nennen, sondern lieber einen zwei Wochen später. Und was tat ich? War mir ganz sicher, dass das Baby 37+ geboren wird und sagte auf Nachfrage, dass das Kind „Ende Mai, Anfang Juni“ käme, obwohl der Termin erst Mitte Juni war.
Der ET kam und ging. Ich wurde ständig gefragt, ob ich „immer noch schwanger“ sei (ja, caramba, im Gegensatz zu einem Meerschwein haben Menschen länger als sechs Wochen den Nachwuchs im Bauch!). Nun hieß, es meine Geduld zu schulen. Die Schwangerschaft störte mich nicht. Der Bauch war ziemlich klein. Ich konnte bis zur Geburt sogar noch auf dem Bauch schlafen und klettern, Yoga und Fahrradtouren machen. Aber ich hatte keine Lust mehr zu warten. Ich wollte endlich das kleine Kind kennen lernen, es sehen, anfassen können! Wir hatten geplant, ins Geburtshaus zu gehen. Krankenhaus war mir nix, weil ich Angst vor medizinischen Interventionen hatte. Und da wir in einer WG wohnen, fand ich ein Geburtshaus eine prima Alternative. Meine Hebamme Lena kannte ich schon etwas länger. Sie war locker und freundlich, und mit Arne hatte ich sowieso die bestmögliche Unterstützung. Ich war ganz aufgeregt und vorfreudig.
Und dann ging es doch von selbst los. Schon von Donnerstag auf Freitagnacht (ET+3) spürte ich etwa alle fünf Minuten ein Ziepen, dachte mir: Aha, es geht langsam los! Ich freute mich. Die Nacht ging und die Wehen auch. Ich war übermüdet, etwas enttäuscht, aber sicher, dass es am Wochenende passieren würde.
Warum tat es so weh?
Und so pendelten sich die Vorwehen über den ganzen Freitag ein – als kleines, etwa zehnsekündiges Ziepen alle fünf Minuten. Abends wurde es immer stärker und ab Mitternacht so, dass ich die Wehen richtig verpusten musste und sie auch durchaus schmerzhaft fand. Zwar freute ich mich, weil ich dachte: Hurra, es geht los, es kommt von alleine! Aber ich war auch verunsichert: Warum tat es so weh? Ich war doch positiv eingestellt, dachte mir: Jede Wehe bringt mich weiter! Und die Wehe ist eine Welle und so weiter. Ich dachte an Beppo den Straßenfeger, die Bergtour und all die schönen Bilder, die wir in der Ausbildung gelernt und im Geburtsvorbereitungskurs weitergegeben hatten. Dennoch: Jede Wehe tat furchtbar weh und auch in der Wehenpause hatte ich das Gefühl, mein Rücken würde gesprengt werden.
Als ich Arne gegen vier Uhr morgens stöhnend und hüftkreisend weckte, wollte er recht bald losfahren. Aber ich bremste ihn, wollte solange zuhause bleiben, wie wir es aushielten. So blieben wir noch einige Stunden zu zweit in unserem Zimmer. Wir hörten schöne Musik, die wir uns für diesen Tag zusammen gestellt hatten und kuschelten, veratmeten Wehen.
Um zehn fuhren wir dann ins Geburtshaus. Die Fahrt war furchtbar, im Auto sitzend die Wehen zu ertragen sehr schwierig. Als wir beim Geburtshaus ankamen, war erstmal: nichts. Die Wehen, die davor regelmäßig alle drei bis fünf Minuten gekommen waren, kamen nur noch alle zehn bis 15 Minuten. Ich kannte dieses Phänomen zwar, war aber super enttäuscht. Lena meinte, ich solle nochmal schlafen – ich war zu dem Zeitpunkt ja schon zwei Nächte ohne Schlaf. Wir fuhren also wieder heim. Kaum waren wir im Auto, gingen die Wehen wieder los. Und an schlafen war mit Wehen alle drei bis fünf Minuten natürlich nicht zu denken.
Zielloser Dauerlauf
Ich war müde und immer kraftloser, weil ich auch seit zwei Tagen kaum mehr etwas runterbekommen hatte. Mein Mut sank. Ich war doch nun schon fünfzehn Stunden am arbeiten! Warum ging es nicht voran? Wie lange noch? Was dachte Lena von mir? Dir Arme hatte ja letzte Nacht schon eine Geburt gehabt, ich wollte sie nicht so lang beschäftigen. Und alle Freunde von Arne hatten ihre Kinder in zwei bis drei Stunden „herausgeworfen“. Meine Hebammenfreundin hatte „jede Wehe genossen“ – verdammt, ich hatte sowohl in als auch außerhalb jeder Wehe das Bedürfnis, vor Schmerzen die Tapete von den Wänden zu kratzen!
Wenn ich nicht Hebamme wäre, wenn ich nicht solch entsetzliche Angst vor einem Kaiserschnitt gehabt hätte, hätte ich mir zu diesem Zeitpunkt am Samstagnachmittag nichts sehnlicher als eine PDA gewünscht, um endlich schlafen zu können. Um eine Auszeit von diesem ziellosen Dauerlauf zu haben.
Die Wehen wurden immer stärker. Ich ging nochmal in die Badewanne, versuchte mich selbst zu untersuchen, und war mir, wie so oft in der Ausbildung, nicht sicher. Mein Mut sank weiter. Nicht sicher, wusste ich, ist Mist. Bei einem guten Befund wäre ich mir sicher. Und ob der Muttermund nun zwei Zentimeter auf war oder noch so sakral, dass ich gar nicht ran kam, war auch egal. Es war einfach zum heulen. Ich hatte seit 20 Stunden schmerzhafte Wehen – und wofür? Für nichts!! Wie kann es sein, dass Frauen wochenlang mit drei Zentimeter offenem Muttermund herumlaufen oder vollständig ins Krankenhaus kommen und ich, streng genommen noch in der Latenzphase, am liebsten sterben möchte?
All die Arbeit für nichts!
Ich war nur noch am heulen. Arne versuchte mich aufzubauen, war aber auch an seinen Grenzen. Ich wurde immer verzweifelter. Nun konnte ich mir auch nicht mehr vormachen, dass mich jede Wehe weiter brächte. Es war einfach völlig sinnloses Leiden und ich am Rand der Verzweiflung. Wir riefen Lena an, die einige Stunden später zu uns nach Hause kam. Die Wehen waren so schlimm, dass ich das Gefühl hatte, wahnsinnig zu werden. Vor allem wohl, weil ich die Pause nicht als Pause empfand. Ich fühlte mich dadurch persönlich betrogen, denn das hatte ich in der Ausbildung so gelernt. Lena untersuchte mich: Muttermund zwei bis drei Zentimeter.
Ganz dünn und weich, jaja, zwei bis drei Zentimeter nach 20 Stunden Wehen kann man nicht schönreden. Ich blieb mit Arne weiter zuhause, probierte dies und das. Die Fruchtblase platze, die Wehen taten noch mehr weh, ich konnte mich nur noch übergeben und schreien und weinen. Irgendwann hatte ich Bedenken, das ganze Viertel könne wegen mir nicht schlafen. Wir fuhren wieder ins Geburtshaus. Es war jetzt zwei Uhr nachts, die dritte wache Nacht. Ich konnte nicht mehr laufen vor lauter Schmerzen. Schlimmer kann es einfach nicht werden, dachte ich. Das muss was gebracht haben, wenn ich nur weiß, dass es für etwas gut ist, kann ich die Schmerzen aushalten.
Lena untersuchte mich: identischer Befund. Etwas brach in mir zusammen. Ich hatte keine Kraft mehr und auch keine Hoffnung mehr.
All die Arbeit für nichts! Ich konnte es nicht, ich konnte mein Kind nicht gebären, es würde eine sekundäre Sectio wegen mütterlicher Erschöpfung werden (denn die Herztöne waren die ganze Zeit super), die ich mir nie verzeihen würde. Lena und Arne motivierten mich. Ich hätte noch Kraft, ich würde es schaffen. Ich glaubte nicht mehr daran. Ich fühlte mich völlig verzweifelt und allein gelassen. Von meinem Körper, meinem Gott, von allem. Immer wieder bat ich Arne, mich bewusstlos zu schlagen, damit ich diese Wehen nicht weiter erleben müsste.
Nur keinen Kaiserschnitt!
Aus Angst vor dem Kaiserschnitt (denn Geburtshausgeburt abbrechen hieß für mich automatisch Sectio) ließ ich mich überzeugen, noch einmal in die ungeliebte Badewanne zu gehen. Ich schwamm wie ein Fisch vom einen Ende des Gebärpools in das andere, stundenlang. Ich wurde in der Wehenpause halb ohnmächtig und wachte zwei Minuten später von der nächsten Wehe wieder auf. Arne und Lena schienen mir gleichermaßen überfordert. Ihnen fiel nichts ein außer mir immer wieder zu sagen, dass ich es gut machte und so tapfer sei. Lena legte sich irgendwann schlafen, ich wehte weiter. Und dachte mir, dass ich sofort springen würde, wenn ich eine Klippe sähe.
Die Nacht verstrich. Ich war wie in Trance, konnte vor Müdigkeit, Hunger und Frust kaum mehr die Augen aufhalten, einschlafen aber auch nicht. Nur keinen Kaiserschnitt, dachte ich mir. Nur keinen Kaiserschnitt! Um acht Uhr morgens untersuchte mich Lena noch einmal: wieder derselbe Befund. Ich muss meine Verzweiflung wohl nicht beschreiben. Wir fuhren ins Krankenhaus. Das Aufnahme-CTG war schwer auszuhalten. Ich war so durch und verzweifelt, weinte, schlug gegen die Wände und schrie um Hilfe. Arne setzte sich dafür ein, dass ich zwar noch keine PDA, aber wenigstens ein paar Glucoseinfusionen bekam.
Die Hebammen waren sehr lieb und motiviert. Sie wollten mir lieber keine PDA geben, sondern waren gewillt, es mit ein bisschen Buscopan und Lagewechsel so zu schaffen. Aber recht schnell dämmerte ihnen, dass es dafür zu spät war. Als sie meinten: „Gut, dann machen wir eine PDA!“, da war ich natürlich auch am heulen. Mein Vorschlag: „Bei zwei Zentimetern und PDA können wir mir ja direkt die Sectiostrümpfe anziehen. Denn das kennen wir doch: frühe PDA, Wehentropf, pathologisches CTG, Sectio.“ Die Hebamme lachte und meinte: „Ach was, da gibt es viel schlechtere Befunde! Wir machen jetzt die PDA, du schläfst und dann gucken wir weiter!“. So geschah es. Ich bekam die PDA, sie ließen mich einfach schlafen. Nach der ersten halben Stunde mit einem prima CTG machten sie es ab und meinten, es sei alles gut. Sie ließen uns nun in Ruhe, wenn etwas sei, sollten wir rauskommen.
Es konnte klappen!
Arne und ich schliefen wie Steine. Fünf Stunden lang. Alle halbe Stunde wachte ich auf, setzte mir einen neuen Shot und schlief wieder ein. Und dann waren wir wach. Ich spürte keine einzige Wehe mehr und war völlig mutlos: Wenn sich der Muttermund in 30 Stunden Wehen nicht geöffnet hatte, warum sollte er es nun ohne Wehen tun? Die Hebamme der Spätschicht kam, eine warmherzige, erfahrene Anpackerin. Sie untersuchte mich und sagte, in all meine Hoffnungslosigkeit hinein: „Hanneli, du hast die ganze Zeit weiter Wehen gehabt. Du bist jetzt bei acht Zentimetern.“
Eine unglaubliche Welle der Erleichterung überkam mich. Ich war so glücklich und froh, dass ich weinen musste, aber das tat ich sowieso die ganze Zeit. Es gab Hoffnung! Es konnte klappen! Wenn sich der Muttermund noch ganz öffnet und es eine Saugglockengeburt wird, dachte ich mir, hab ich gewonnen. Das ist alles was ich will. Ich spritzte die PDA nicht mehr auf, die Wehen kamen schnell genauso schmerzhaft wie davor zurück. Ich verfluchte mich fürs nicht mehr aufspritzen, aber ich hatte Hoffnung. Es konnte voran gehen, es war für etwas gut! Zwei Stunden später war ich vollständig. Und mein Baby? Drehte den Rücken noch fröhlich von Seite zu Seite, hatte noch gar keinen Bezug zum Becken. Mein Mut sank. Mir war klar, dass es immer noch ein Kaiserschnitt werden könnte, sollte das Köpfchen nicht ins Becken eintreten.
Die Hebamme meinte: „Na, du spürst doch den Pressdrang! Dann schieb doch mit!“ Ich konnte mein Hebammenhirn nicht ausschalten und dachte: „Jetzt? Wirklich? Wo der Kopf noch so hoch ist?“ Also setzte sie mich aufs Klo, damit ich genau nach Gefühl mitschöbe. Eine Wehe – und ich konnte das Köpfchen mit den Fingern spüren! Ich sah Arnes große Augen, fragte die süße Schülerin: „Soll ich mein Kind jetzt auf dem Klo kriegen?“, woraufhin sie meinte: „Ach, du kannst auch nochmal zum Bett zurück gehen.“ Das machte ich. Ich konnte das Köpfchen tief in meinem Becken spüren. Die Wehen waren super heftig, aber war mir bewusst, dass dies nun – endlich! – der Endspurt war! Die Hebamme sagte zu mir: „So Hanneli, du hast starke Bauchmuskeln, die benutzt du jetzt, und dann ist dein Kind da! Das ist dein Kampf!“
Ich weinte wie ein Schlosshund
Und ich schob mit wie Harry Hirsch, alle Kraft (und ich hatte noch viel Kraft!), drei oder vier heftige Wehen. Langsam, ganz langsam wurde das kleine Köpfchen geboren. Und eine Wehe später der restliche Körper. „Es ist ein Junge!“, jubelte die Schülerin. Ganz ruhig und schläfrig lag er da, öffnete die Augen, guckte sich vorsichtig um. Es war vorbei! Mein kleines Kind war geboren. Ich hatte es geschafft. Wir hatten es geschafft. Es war vorbei, er war da! Wir pusteten ihn an, er ließ sich zu einem kleinen Schrei herab. Alle waren zufrieden und ich nahm ihn zu mir.
Und weinte wie ein Schlosshund. Ich war noch nie in meinem Leben so glücklich.
Seitdem die kleine Gurke da ist, ist alles wie im Märchen. So furchtbar wie die Geburt war, so schön ist es seitdem. Ich ging ein paar Stunden nach der Geburt nach Hause und mein Wochenbett hätte ich mir nie so unkompliziert und schön vorgestellt. Das Stillen hat vom ersten Moment im Kreißsaal an super geklappt. Ich hatte keine Probleme mit wunden Brustwarzen. Eine Woche lang war mein Beckenboden schwer wie ein Medizinball zwischen meinen Beinen, dann fühlte ich mich wieder richtig fit. Die Geburt ist nun knapp acht Wochen her und er ist (noch?) ein richtig liebes und entspanntes Baby, trinkt und lacht und schläft.
Die Geburt hängt mir aber noch sehr nach. Mit dem Krankenhaus und den Hebammen dort, der Geburt selber (nur die Hebammen, kein Arzt, kaum CTG, schöne Musik, schönes Licht) bin ich total zufrieden. Aber die ewigen Stunden davor, die lange sinnlose Wehenarbeit, das Fehlen eines Fahrplans (den ich mir von meiner Hebamme gewünscht hätte), meine Verzweiflung und das Gefühl des Verlassenseins, buchstäblich „von allen guten Geistern“ verlassen zu sein, hat tiefe Kerben geschlagen. Natürlich habe ich mich gefragt, warum es so ewig gedauert hat. Bestimmt gab es ungute Voraussetzungen: Meine aufgebrauchten Reserven, weil ich schon so lange wach und ohne Essen war. Das straffe Gewebe, was es dem Köpfchen sicher nicht leichter gemacht hat. Dazu mein dauerhaft ratternder Kopf, der dieses Hebammenhirn einfach nicht ausschalten konnte. Die Angst vor dem Kaiserschnitt, die mich völlig verkrampft hat, ohne die ich aber niemals durchgehalten hätte. Ich weiß es nicht. Ich bin unsagbar froh, dass es vorbei und der kleine Mann gesund ist. Ich bin dankbar, dass es mir so gut geht und bin mir sicher, dass die zweite Geburt besser wird. Und ich habe unsagbar viel gelernt.
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