Die Gefühle des Babys begleiten und dabei selbst ruhig bleiben, um das Baby regulieren zu können. Der Oma parallel erklären, warum man das Baby nicht einfach schreien lässt. Dabei die eigene Wut darüber unterdrücken, dass die Großeltern heute immer noch denken, dass ein Baby zum Tyrannen wird, wenn man es liebevoll umsorgt. Später noch mit dem Partner darüber diskutieren, dass man sich in dieser Diskussion allein gelassen gefühlt hat. Weil sich der Partner wieder aus dem Streit herausgehalten hat. Wer diese oder ähnliche Situationen kennt, in denen wir viele Gefühlsbälle gleichzeitig jonglieren müssen, der kennt ihn bereits, ohne vielleicht bisher ein Wort dafür gehabt zu haben: den Emotional Load.
In den vergangenen Jahren haben wir – insbesondere durch Autorinnen wie Patricia Cammarata, Laura Fröhlich oder Jo Lücke – viel über den Mental Load gesprochen. Für viele zieht der mit dem Familienleben in unseren Alltag ein. Mental Load meint all die mentalen Aufgaben und Belastungen, die durch die Organisation des Alltags anstehen. Über die wird aber wenig gesprochen. Teilweise finden sie auch nur als Denkprozesse in unserem Kopf statt.
Emotional Load als besonderer Teil von Mental Load
Emotional Load können wir als Teilbereich dieses Mental Load betrachten. Hierbei geht es nicht um all die „ToDos“, sondern eher um die „ToFeels“. Wie gehe ich mit meinen eigenen Gefühlen um und mit den Gefühlen der Menschen um mich herum? Was wird von mir erwartet an Ausgleich an Gefühlen, an Regulation? Wie darf ich Gefühle auf keinen Fall zeigen?
Emotionale Arbeit ist oft noch weniger sichtbar als sonstige mentale Arbeit. Sie erstreckt sich auf einen großen Komplex emotionaler Prozesse und Tätigkeiten. Zunächst einmal müssen wir unsere eigenen Gefühle wahrnehmen und identifizieren. Schon dies ist manchmal gar nicht so einfach. Viele Menschen haben durch die eigene Erziehung keinen guten Zugang zu ihren Gefühlen ausgebildet.
Noch immer findet eine starke geschlechtsspezifische Gefühlserziehung statt. Jungen dürfen Wut aggressiv äußern, Mädchen sollen Wut und Aggression eher nach Innen kehren. Beides ist langfristig ungesund. Doch auch neben dem heute stärker betrachteten Wut-Thema gibt es viele Problemfelder der Eigenwahrnehmung.
Lasten der eigenen Kindheit kurieren
Essen wir unseren Teller leer, weil wir wirklich bis zum letzten Krümel darauf hungrig sind? Oder weil wir gelernt haben, dass der Teller blank sein muss und man nicht einfach etwas liegen lässt? Warum räume ich auf, obwohl ich eigentlich müde bin? Warum lächle ich, obwohl ich die Idee vom Chef nicht gut finde? Wann bin ich erschöpft und reagiere darauf oder denke ich, dass ich weitermachen muss? Habe ich Angst, beim Ausruhen „ertappt“ zu werden?
Viele Eltern spüren irgendwann, dass die Wahrnehmung für ihr persönliches Empfinden an der einen oder anderen Stelle Mängel aufweist. Oder sie erkennen, dass sie Defizite im gesunden Umgang mit Emotionen und Bedürfnissen haben. Beispielsweise, wenn das Weinen des Babys als sehr belastend erlebt wird oder die Selbständigkeit des Kleinkindes Eltern wütend werden lässt. Durch alltägliche Situationen mit dem eigenen Kind, die zu einer Herausforderung werden, werden die eigenen Lücken bewusst.
So kommt es, dass viele Eltern, die ihren Mangel reflektieren, daran arbeiten wollen, eigene Entbehrungen aufzuarbeiten und auszuheilen. Allerdings müssen sie das tun, während sie ein kleines Kind begleiten. Während sie ihm helfen wollen, so gut es geht die eigenen schlechten Erfahrungen nicht wiederholen zu müssen. Diese Gleichzeitigkeit von Reflexion, Aufarbeitung, Integration der eigenen Erlebnisse und Begleitung eines anderen Menschen ist je nach eigenen belastenden Erfahrungen höchst anstrengend.
Scham- und Schuldgefühle belasten gerade Mütter
Doch für ein „so gut es eben geht“ ist kaum Platz in unserer aktuellen Erziehungskultur. Auch in Erziehungsthemen stehen wir unter Optimierungsdruck. Gerade Social Media vermittelt uns beständig, was wir als Eltern gerade nicht gut machen: ein Reel über den richtigen Umgang mit Geschwisterstreit wechselt sich ab mit Informationen zum Stresslevel in der außerfamiliären Betreuung. Das wiederum wird abgelöst von einem Beitrag dazu, wie schlimm es sei, das Kind vor dem Smartphone zu parken.
Irgendwas wird in dieser Vielfalt dabei sein, was wir heute falsch gemacht haben. Manchmal wird die Bedeutung von Erziehung dabei auch überbetont. Und Eltern wird bewusst ein schlechtes Gewissen gemacht, um im nächsten Atemzug ein teures Coaching zu verkaufen.
Schuldgefühle, Schamgefühle und Ängste sind insbesondere Begleiterinnen von Müttern und lasten schwer auf ihren Schultern. Natürlich ist es wichtig, dass wir uns kritisch hinterfragen und keine physische und psychische Gewalt gegenüber Kindern ausüben. Doch Schuldgefühle werden uns oft durch Rollenstereotype auferlegt. In einer Gesellschaft, in der gerade Mütter permanent auf sich gegenseitig ausschließende Doppelbotschaften treffen, ist das schlechte Gewissen von morgens bis abends Dauergast. Es hindert uns nicht selten daran, gut einschlafen zu können.
Psychische Gesundheit braucht gute Rahmenbedingungen
Zu dieser Problemlage gesellt sich allerdings noch der Umstand, dass unsere Gesellschaft aktuell keine guten Rahmenbedingungen für die psychische Gesundheit von Frauen vorhält: Gewalt, Femizide, schlechtere medizinische Versorgung, finanzielle Abhängigkeiten, Armutsrisiko, Rassimus – neben der körperlichen ist auch die psychische Gesundheit von Frauen stark gefährdet.
Das schlägt sich durchaus in der Anzahl psychischer Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und anderen nieder. Barbara Voigt und Beate Wagner haben darüber ein ganzes Buch geschrieben: Die weibliche Angst. Wie Frauen und Mädchen Ängste erleben und bewältigen. Sie beschreiben, wie unsere Welt, alle die Krisen von Corona über Krieg bis Klimakrise auf unser emotionales Wohlbefinden wirken und es nachhaltig verschlechtern.
Gleichzeitig wird erwartet, dass wir trotz all dieser bestehenden Lasten nicht nur mit unseren eigenen Emotionen möglichst unauffällig umgehen, sondern auch die Gefühle anderer regulieren und ausgleichen, die ebenfalls nicht oder noch nicht gelernt haben, gut mit ihnen umzugehen. Dass unsere Kinder die Unterstützung ihrer nahen Bezugspersonen zum Umgang mit ihren Gefühlen benötigen, ist normal. Über viele Jahre sind sie darauf angewiesen, dass wir ihre Gefühle wahrnehmen, bei der Einordnung helfen und ihnen gute Strategien zum Umgang mitgeben.
Wovon bin ich nur so erschöpft?
Dass wir aber versuchen, die Wut des Partners zu regulieren, die Großeltern besänftigen müssen oder auch irgendwelche Fremden auf der Straße, die sich über das normale kindliche Verhalten aufregen, sind Aufgaben, die besonders Frauen und eben Mütter übernehmen sollen. Sie sorgen für die Romantik in der Partnerschaft, die gute Atmosphäre bei der Arbeit und die für alle anderen entspannte Familienfeier.
So kommt es letztlich eben doch nicht selten zu einer Überlastung. Doch weil all diese Emotionsarbeit, die täglich vielfach im Selbst und für andere geleistet wird, gar nicht sichtbar ist, weil sie nicht wertgeschätzt, sondern für selbstverständlich betrachtet wird, fragen sich nicht selten Mütter selbst, wovon sie da eigentlich so erschöpft sind.
Deswegen sollten wir unseren Blick nicht nur auf all die ToDos des Tages richten, sondern können uns auch mal fragen: Was habe ich heute alles gefühlt, was habe ich alles emotional ausgeglichen? Wo war ich emotional gefordert? Emotionsarbeit ist Teil unseres Alltags. Sie darf aber nicht zur Überlastung führen. Deswegen ist es wichtig, dass wir ihr einen Namen geben und sie ab jetzt in den aktiven Blick nehmen.
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