Sonntagabend der Blick ins E-Mail-Postfach: Sofort ist auch das von mir als Hebamme ab und an verdrängte Thema Hebammenmangel wieder präsent. Da sind zum einen die Anfragen von Frauen, die in der 10. oder 12. Schwangerschaftswoche zu spät mit der Suche dran sind. Oder die entnervten Anfragen von werdenden Eltern, die vor mir schon dreißig andere Hebammen kontaktiert haben.
Da sind die Massenmails, die man am allgemein gehaltenen „Sehr geehrte Hebamme“ oder der allein bei meinem Namen veränderten Schriftgröße im Vergleich zum Restmustertext erkennt. Da sind Anfragen von Frauen, die schon geboren haben und sich nun ohne Hebamme durchs Wochenbett wurschteln. Sie haben 1001 Fragen oder ebensoviele Sorgen.
Und dann ist da auch diese Anfrage von der Frau, die das Glück hatte, noch eine Hebamme fürs Wochenbett bekommen zu haben. Leider nur ist diese seit der Geburt des Kindes krank – und das scheinbar auch länger. Da die meisten Kolleginnen auch auf dem Zahnfleisch kriechend ihrem Job noch nachgehen, wird es dieser Kollegin vermutlich wirklich sehr schlecht gehen, wenn sie die Eltern direkt nach der Geburt „alleine lässt“.
Kranke Hebamme ohne Vertretung
Natürlich fragt man sich jetzt, warum diese kranke Hebamme keine Vertretung hat. Die Frage kann ich schnell beantworten: Weil es auch dafür nicht genug Hebammen gibt. Die Hebammen, die noch da sind, arbeiten schon bis zum Limit – und jeder weitere Hausbesuch ginge darüber hinaus. Das mit der Vertretungssuche ist mittlerweile genauso kompliziert wie die Hebammensuche selbst.
Aus meinem langjährigen Vertretungsnetzwerk haben allein drei Kolleginnen ihren Job mittlerweile komplett aufgegeben. Andere haben die Hebammenarbeit zugunsten finanziell aussichtsreicherer Tätigkeiten reduziert. So wie ich selbst auch. Nur das ermöglicht mir, den Job als Hebamme in kleinerem Umfang überhaupt noch auszuführen. Finanziell lohnt sich die Freiberuflichkeit in Teilzeit eigentlich gar nicht. So finanziere ich das ganze gewissermaßen mit meiner schreibenden Tätigkeit oder Vorträgen und Fortbildungen quer.
Andere Kolleginnen beraten Unternehmen oder haben selbst ein kleines, mit dem sie auf anderem Wege ihr Geld verdienen – bei meist wesentlich besser planbaren Arbeitszeiten als im Arbeitsleben einer Hebamme. Die Kolleginnen, die im Kreißsaal arbeiten, geben auch nach und nach immer häufiger die zusätzliche Freiberuflichkeit auf, weil die Kosten zu teuer und die Auflagen einfach zu hoch sind.
Zwischen QM und Fortbildungspflicht
Das fängt zum einen bei der sehr teuren Haftpflichtversicherung an. Aber darüber hinaus zahlt man auch noch für sein Qualitätsmanagement, seinen Abrechnungsdienstleister oder die Software, für Pflichtfortbildungen und vieles mehr. Oft bekommt man dann zu hören, dass andere Freiberufler ja auch zusätzliche Kosten haben. Das stimmt. Allerdings kann ich in sehr vielen anderen Arbeitsfeldern zum einen meine Preise selbst gestalten und zum anderen sind eben die Auflagen etwa beim Versicherungsschutz oder der Dokumentation wesentlich geringer.
Damit es nicht so abstrakt ist, ein kleines Beispiel. Als Hebamme bekomme ich für eine Stillberatung pauschal 37,17 Euro von der Krankenkasse vergütet – ganz egal, wie kurz oder lang diese Beratung dauert. Da natürlich immer eine ausführliche Anamnese plus mögliche Untersuchungen bzw. die Beobachtung einer Stillmahlzeit dazu kommen, kann diese Leistung nicht unter einer Zeitstunde erbracht werden. Die anschließende Dokumentation nimmt zusätzliche Zeit in Anspruch.
Für eine Stunde Rückbildungsgymnastkkurs erhalte ich 7,96 Euro pro Frau von der Krankenkasse. Ich erinnere mich an keinen einzigen Yoga-, Pilates-, oder Babykurs zu diesen Konditionen, den ich privat gezahlt habe. Die Qualifikation der Kursleiterin ist auch in diesem Segment sehr unterschiedlich. Trotzdem nehmen in der Regel alle deutlich mehr Geld als die Hebamme. Wie jeder Freiberufler bezahlt auch die Hebamme davon die Mietkosten für Räume und muss für eine entsprechende Ausstattung sorgen.
Gesetzlichen Rahmenbedingungen vs. Liebe zum Job
Ans Telefon sollte man als freiberufliche Hebamme am besten gar nicht erst gehen, denn wirtschaftlich sinnvoll sind eigentlich nur Telefonberatungen bei Fragen, die man mit ja oder nein beantworten kann. Und dann sollte man schnell auflegen, da die von der Kasse bezahlten 7,02 Euro natürlich auch noch die Zeit für die Dokumentation des Gesprächs beinhalten. Beratung per Telefon, Skype oder sonstigen digitalen Optionen bieten gerade in Zeiten des Hebammenmangels viele mehr oder weniger qualifizierte Personen an. Nirgendwo aber finde ich aber Konditionen, die auch nur annähernd dem entsprechen, wie es die Hebammengebührenordnung vorsieht.
Vielleicht machen diese Beispiele ein bisschen deutlicher, dass die Freiberuflichkeit generell und die Freiberuflichkeit als Hebamme eben nicht so einfach vergleichbar sind. Es ist nicht das unternehmerische Ungeschick der Hebammen, sondern es sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die das Ganze finanziell unattraktiv machen. Und von Liebe zum Job allein kann auch eine Hebamme ihre Praxis- und Kursraummiete oder ihre Krankenversicherung eben nicht zahlen.
Apropos: Die Versicherung als Hebamme ohne Geburtshilfe kostet mich derzeit 457,20 Euro pro Jahr. Für im Krankenhaus angestellte Hebammen (inkl. Geburtshilfe) mit freiberuflicher Nebentätigkeit (ohne Geburtshilfe) liegen die Kosten bei über 900 Euro im Jahr, was vielleicht auch noch mal erklärt, warum die angestellten Hebammen auch zunehmend weniger in der Freiberuflichkeit arbeiten. Um überhaupt versichert werden zu können, kostet die Mitgliedschaft im Berufsverband jährlich 295 Euro.
„Schneller und effizienter“ arbeiten?
Als freiberufliche Stillberaterin, die keine Hebamme ist (und zudem nicht mal eine offizielle Qualifikation benötigt), könnte ich mich für rund 120 Euro – ohne weitere Kosten für einen Berufsverband – versichern lassen. Vor allem aber könnte ich dann meine Preise selbst frei gestalten. Bei den derzeit zahlreichen kursierenden Leistungen rund um die Geburt ist zumeist mindestens ein Stundensatz von 60 bis 80 Euro üblich. Ich kann mit meinen Klienten ein sofortiges oder zumindest zehn tägiges Zahlungsziel der Rechnung vereinbaren. Auf die Erstattung von den Krankenkassen warte ich mindestens 21 Tage und selbst das klappt auch nicht immer.
So bekommen die einen mehr als das doppelte für eine ähnliche Leistung und haben außerdem wesentliche weniger berufsbedingte Ausgaben. Das illustriert vielleicht ein bisschen das Dilemma der freiberuflichen Hebammentätigkeit. Bei den in der Geburtshilfe freiberuflich arbeitenden Hebammen kommen noch mal ganz andere Herausforderungen hinzu. Das ist nicht nur die Zahlung der Haftpflichtversicherung, die in diesem Jahr bei über 8600 Euro und ab dem nächsten Jahr bei über 9000 Euro liegt.
Es gibt dennoch Leute, die sagen, dass die freiberuflichen Hebammen doch ganz gut verdienen. Ja, es gibt die schwarzen Schafe, die mit Hausbesuchen im Zehn-Minuten-Takt tatsächlich ganz gut verdienen. Das hat aber nichts mit Qualität zu tun und das ist nicht der Maßstab für mich und die allermeisten meiner Kolleginnen. Ich denke, wir alle haben immer wieder versucht, in unseren Berufsjahren „schneller und effizienter“ zu arbeiten. Das ist in diesem Beruf aber eben nur schwer möglich.
Immens hohe Verantwortung
Frauen brauchen nicht nur bei, sondern auch vor und nach der Geburt Zeit und Raum in vielen Belangen. Ein „schnelles Abfertigen“ ist eben in den meisten Situationen nicht möglich. Und sicherlich entspricht das für viele nicht der Vorstellung von einer guten Betreuung. Ja, ab und an gibt es auch die kurzen und trotzdem die Bedürfnisse der Frau berücksichtigenden Termine. Diese stehen aber nicht im Verhältnis zu den oft langen Terminen von Frauen mit belastenden Geburtserlebnissen oder großen Stillschwierigkeiten. Beides hat in den letzten Jahren mit dem Personalmangel in den Kliniken logischerweise spürbar zugenommen.
Und dann gibt es da noch die Kolleginnen, die „viel“ verdienen, weil sie einfach irre viel arbeiten. Die haben dann aber auch Zwölf-Stunden-Tage oder nur alle drei Monate mal einen ganzen freien Tag. Und oft kommt das Handy sogar noch in den Urlaub mit. Die meisten Hebammen halten dies „nur“ ein paar Jahre durch – gerade in Kombination mit einer dauerhaften Rufbereitschaft. Der Preis für diesen vermeintlich guten Verdienst ist hoch. Mit eigenen Kindern und Familie ist das zudem nur schwer vereinbar.
Dazu kommt eine immens hohe Verantwortung. Ich fühle mich auch in meinen anderen Arbeitsbereichen verpflichtet, verantwortungsvoll zu handeln. Aber die Auswirkungen sind natürlich ungleich drastischer, wenn ich als Hebamme nicht sorgfältig arbeite. Dieser Druck oder die Sorgen, die man oft auch mit nach Hause nimmt, habe ich sonst so nicht.
Noch aktivieren sie mein Helfersyndrom
Das „Gejammer“ der Hebammen hat also nichts mit Geldgier oder Unersättlichkeit zu tun. Die Rahmenbedingungen machen es einfach an vielen Enden und Ecken schwer. Und weil absehbar ist, dass sich das in Zukunft kaum ändern wird, geben viele Hebammen einfach komplett auf und suchen sich eine andere Tätigkeit.
Und was passiert dann mit all den verzweifelten Anfragen? Noch aktivieren sie mein Helfersyndrom immer wieder derart, dass ich noch nicht hingeschmissen habe und trotzdem in dem mir möglichen Rahmen die Hebammenarbeit fortsetze.
Wirtschaftlich sinnvoller wären andere Wege. Jede (Ex-)Kollegin, die andere Wege geht, hat mein Verständnis. Und jede Kollegin, die durchhält – ob freiberuflich oder angestellt, ob in Voll-oder Teilzeit — hat sich meinen höchsten Respekt. Es sind keine leichten Zeiten. Nicht für uns Hebammen, aber vor allem nicht für die vielen werdenden Familien, von denen so manche diese besondere Zeit nun im Alleingang meistern muss.
Schreibe einen Kommentar