Die Beratungsanfragen zum Thema Beikost und Stillen sind auch in den letzten Jahren nicht weniger geworden. Und das, obwohl doch eigentlich der Weg längst frei ist für eine entspannte und am Kind orientierte Beikosteinführung. Beim Hausbesuch begegne ich dann oft keinem bereits wirklich am Essen interessierten, rund sechs Monate alten Kind, das begeistert und neugierig seinen Eltern das Brot aus der Hand reißt. Nein, da erlebe ich bisweilen gerade vier oder fünf Monate alte Säuglinge, die sich mehr oder weniger willig belöffeln lassen.
Die Eltern fühlen sich gestresst, weil der Kinderarzt oder jemand anderes gesagt hat, dass sie dem Baby doch jetzt mal auch Beikost zur Milch dazu geben müssten. Genau da liegt dann auch meist das Problem der Eltern. Oft akzeptiert das Baby den Brei nicht oder nimmt lange Zeit nur kleine Dosen zu sich. Das entspricht überhaupt nicht dem Breiplan, den ihnen der Kinderarzt in die Hand gedrückt hat.
Nach wie vor empfiehlt die WHO, Kinder sechs Monate möglichst ausschließlich zu stillen und dann mit geeigneter Beikost zu beginnen – eingeführt unter dem Schutz des Stillens. Doch noch immer klingt nach, was die S3-Allergieleitlinien (die 323 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Beikost auswerteten), von 2008 an für ein „Chaos“ mit der ganzen Beikostfrage veranstalteten.
Dabei besagen diese Leitlinien ja nur, dass ein Beikostbeginn nach dem fünften Lebensmonat keine Vorteile in Bezug auf die Allergieprävention bietet. Das heißt also lediglich, dass wenn das Baby vor dem siebten Lebensmonat Beikost erhält, dadurch nicht stärker allergiegefährdet ist. Sechs Monate ausschließliches Stillen hat weiterhin noch mehr Vorteile. Auf die wird aber nicht eingegangen. Es reduziert zum Beispiel das Risiko für Atemwegserkrankungen, Magen-Darminfekte oder Mittelohrentzündungen beim Kind.
Ich fand diese Leitlinien damals anfangs eigentlich ganz entspannend. Denn wenn ein Kind mit fünf Monaten schon Interesse und die motorischen Voraussetzungen hatte, durfte es nun ganz ohne schlechtes Gewissen in Mamas Kartoffel beißen. Außerdem war der Speiseplan für kleine Essanfänger auf einmal auch wesentlich reichhaltiger. Vor dem Erscheinen dieser Allergieleitlinien wurde von vielen Dingen aus allen Lebensmittelbereichen abgeraten. Somit war mit den neuen Allergieleitlinien der Weg für das entspannte Mitessen lassen am Familientisch frei geworden – in babygerechter Variante.
Beikost beschäftigte und beschäftigt die meisten Eltern
Auch in den 2014 aktualisierten Leitlinien steht nicht, dass alle Kinder mit vier oder Monaten nun Beikost erhalten müssen. Allerdings wird das gerne dort hinein interpretiert. Besonders von denen, die ein gesteigertes (finanzielles) Interesse daran haben, dass Babys möglichst früh (industriell hergestellte) Beikost zu sich nehmen.
Na klar, zwei Monate mehr Gläschenkost pro Babyzeit machen sich bemerkbar. In diesen Breiplänen kann man oft nichts oder nur wenig über die Beikostreife lesen, die ein Baby als Voraussetzung mitbringen sollte. Dafür steht dort immer wieder etwas von der eventuell doch nicht mehr so ganz ausreichenden Muttermilch. Oder die Behauptung, dass die Muttermilch plötzlich nicht mehr alle Nährstoffe in genügender Menge beinhaltet.
Ab dem fünften Lebensmonat produzieren Mütter nur noch Halbfettmilch, oder was!? Eisenmangel oder nicht gut entwickelte Geschmacksnerven „bedrohen“ die Babys, wenn zu spät beigefüttert wird?! Dass Muttermlich sich geschmacklich mit der Nahrung der Mutter verändert, steht da nirgendwo. Auch die hohe Bioverfügbarkeit, also die besonders gute Aufnahme des Eisens in der Muttermilch, bleibt meist unerwähnt…
Beikostammenmärchen aus meinem Hebammenalltag
Ob im Rückbildungsgymnastikkurs, beim Krabbeltreff oder in der Stillgruppe – das Beikostthema beschäftigte und beschäftigt die meisten Eltern, mehr als es das müsste. Es gibt mittlerweile sehr viele gute Artikel wie diesen und Bücher zum Thema Beikost, trotzdem begegnen mir nach wie vor allerlei Beikostammenmärchen in meinem Hebammenalltag, die Eltern verunsichern. Die wichtigsten will ich mal entkräften:
1. Beikost löst keine Gedeihprobleme
Gerade Stillkinder nehmen meist nicht gradlinig zu, sondern in den ersten Monaten meist recht zügig und danach etwas langsamer. Die Gewichtszunahme ausschließlich gestillter Kinder ist in den ersten Monaten also höher als die mit Formulanahrung ernährter Babys, etwa ab dem sechsten Monat ist sie meist niedriger. Das wird gerne mal bei der Beurteilung des Gewichtsverlaufes vergessen. Sollte aber tatsächlich ein Kind nicht ausreichend zunehmen, ist es nicht sinnvoll, Beikost zur Problembehebung zu empfehlen.
Denn damit setzt man die Kinder erst mal unfreiwillig auf Diät. So ein Möhrenbreichen hat gerade mal die Hälfte der Kalorien, die die gleiche Menge Muttermilch liefert. Da der Bauch aber erst mal damit gefüllt ist, wird das Baby eventuell weniger nährstoffreiche Milch zu sich nehmen. Wenn es also wirklich ein Gedeihproblem gibt, ist es sinnvoll, die Milchmenge entsprechend zu steigern. Und wenn zugefüttert werden muss, dann mit entsprechender Prenahrung statt mit Beikost. Beratung durch Hebamme oder Stillberaterin statt Pastinakenbrei ist hier sicher sinnvoller. Wenn das Kind zum Beispiel noch gar keine Beikost akzeptiert, artet das Ganze sonst schnell in Riesenstress für Mutter, Vater und Kind aus.
2. Brei bringt nicht mehr Schlaf
Ja, diesen Tipp bekommen viele Eltern irgendwann, wenn sie über dauernde Müdigkeit klagen. Man muss dem Kind also nur mal einen ordentlichen Abendbrei servieren und es wird wie ein Stein schlafen. Funktioniert aber leider nicht. Ganz im Gegenteil kann das Baby vor lauter Beschäftigung mit der Verdauung vielleicht gar nicht gut schlafen. Muttermilch hingegen enthält sogar schlaffördernde Substanzen. Wie sich die Aminosäuren darin vom Serotonin zum schlaffördernden Melatonin umwandeln, könnt ihr auf der informativen Seite Stillkinder genau nachlesen. Der berühmte „Abendbrei“ hingegen ist nur ein Marketing-Trick, der müden Müttern im Drogeriemarkt die Kaufentscheidung erleichtern soll.
3. Beikost ist kein schneller Abstillweg
Nicht wenige Mütter haben die Idee, dass mit dem Beikostbeginn nun ein zügiges Abstillen beginnt, bei dem das Kind ganz von alleine zunehmend immer weniger stillen wird. Und irgendwie stimmt das ja auch, aber es verläuft meist nicht so geradlinig und vor allem nicht so zügig, wie das diverse Beikostpläne suggerieren. Die Kinder werden nicht pro Woche oder Monat eine Stillmahlzeit ausfallen lassen. Und überhaupt hat ein nach Bedarf gestilltes Kind meist auch keine „Mittagsbrust“, die es dann gegen das Gemüsebreichen eintauscht.
Viele Kinder essen mal mehr oder weniger und stillen entsprechend. Tage, an denen allerlei Neues und dies sogar in größeren Mengen ausprobiert wird, wechseln sich ab mit Tagen, an denen das Kind wieder voll gestillt werden möchte. Zahnungsphasen, Entwicklungsschritte oder was auch immer durchkreuzen gradlinige Beikostwege immer wieder. Wenn also eine Mutter einen bestimmten Abstillplan in einem bestimmten Tempo wünscht (Kinder unter Eins stillen sich in der Regel nicht von alleine ab), sollte sie die Stillmahlzeiten durch Prenahrung ersetzen. Alles andere macht nur Druck und Frust bei Mutter und Kind. Auch hier kann eine Beratung helfen, einen individuellen Weg zu finden, der sich an den kindlichen, aber auch an den mütterlichen Bedürfnissen orientiert.
4. Der Löffel für die Oma lässt nicht die Sonne scheinen
Wer das doch noch glaubt, darf gerne noch mal in diesen beiden anderen Beikostartikeln nachlesen: Vertrauen ins Kind – auch wenn es um Beikost geht und Eltern im Beikostwahn – und das Kind ist satt. Und bei der Hebamme oder der Stillberaterin kann man natürlich auch immer gerne nachfragen.
Aktualisiert im Januar 2017.
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