Gestern landete Post von einer Geburtsklinik in meinem Stadtteil im Briefkasten. Auch diese Klinik wird von mehr werdenden Eltern frequentiert, als das Personal bewältigen kann. Darum ist dort schon seit einiger Zeit eine verbindliche Anmeldung nötig. Mittlerweile muss man sich für die meisten Kliniken hier in Berlin vor der Geburt anmelden. Und selbst dann ist nicht sicher, ob man mit Wehen einen der begehrten Plätze im Kreißsaal bekommt. Immerhin: Die Wahrscheinlichkeit ist zumindest wesentlich höher.
Diese Anmeldung also sollen Schwangere auch in der besagten Klinik ab der 28+0 Schwangerschaftswoche vornehmen. Nun steht in dem Schreiben von gestern: „Nach einigen Monaten der Erprobung des geänderten Procederes zur Geburtsanmeldung wollen wir der Entwicklung der mitternächtlichen Geburtsanmeldungen nun insofern doch begegnen, dass wir ab dem 1. Oktober eine telefonische Anmeldesprechstunde einrichten werden.“
Mit Mitgefühl für meine sicher oft ohnehin überlasteten Kolleginnen im Nachtdienst musste ich zunächst etwas schmunzeln. Ich stellte mir vor, wie Schwangere in der 27+6+23 Stunden+59 Minuten Schwangerschaftswoche schon mal die Nummer vom Kreißsaal wählen, um Punkt Mitternacht dort anzurufen. Ihr nächtliches Ziel: Hoffentlich einen der begehrten Plätze zum Gebären zu bekommen.
Sicheres Gefühl unter der Geburt?
Aber so absurd es auch klingt, eigentlich ist gar nichts daran lustig. Der Fall illustriert schlicht und einfach, dass Frauen die Sicherheit, die sie für eine Geburt brauchen, in Deutschland vielerorts nicht mehr immer haben können. Zu einem sicheren Gefühl unter der Geburt gehört es, dass ich einen Ort frei wählen und auch haben kann, an dem ich mich wohlfühlen und loslassen kann. Es soll ein Ort sein, an dem ich mir vorstellen kann, mich zu öffnen. Dort muss ich im Vertrauen auf eine gute Begleitung einfach das tun können, was mir unter der Geburt gut tut.
Für einige Frauen ist dieser Ort das eigene Zuhause. Die meisten suchen dafür aber eine Klinik oder manchmal auch ein Geburtshaus auf. Krankenhaus mag erst einmal nicht nach dem gemütlichsten Ort der Welt klingen. Aber es wird zumindest im Kreißsaalbereich versucht, eine gewisse Wohlfühlatmosphäre zu erschaffen. Womit sich eine Schwangere wohl fühlt, ist ohnehin ganz unterschiedlich. Neben den Ausstattungsaspekten ist wohl der entscheidende Faktor, wie jemand die Menschen dort wahrnimmt. Oft sagen Paare nach dem Infoabend in der Klinik, dass ihnen das Personal einfach sympathisch war – oder eben auch nicht.
Jedenfalls haben viele Eltern gute Gründe, warum sie sich den einen oder den anderen Ort für die Geburt aussuchen. Der Ort ist nämlich nicht egal, auch wenn einem als Frau sicherlich ab einem Punkt der Geburt die Kreißsaalfarbe ziemlich egal ist. Aber wenn die Geburt losgeht, ist es hilfreich und letztlich wehenfördernd, wenn ich verlässlich weiß, wo ich hingehen kann, offiziell angemeldet und folglich willkommen bin.
Geburtsort nur eine Postleitzahl?
Eine Geburt ist ein komplexes Zusammenspiel von Hormonen. Diese Hormone reagieren ziemlich sensibel auf die äußeren Umstände. Bei wie vielen Frauen stagniert die Geburt erst einmal mit dem Betreten der Klinik. Einfach weil dort erst das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit aufgebaut werden muss, damit das Wehenhormon Oxytocin wieder fließen kann. Das Fachpersonal vor Ort ist bemüht, genau diesen Zustand herzustellen. Aber je mehr Gebärende eine Hebamme gleichzeitig betreuen muss, umso schwieriger wird diese Aufgabe.
Es ist deshalb durchaus sinnvoll, die Geburtenzahl durch Anmeldeverfahren zu begrenzen oder auch Kreißsäle wegen Überfüllung temporär zu schließen. Was das aber für die einzelne Frau bedeutet, die keinen Platz an ihrem gewünschten Gebärort bekommt oder gar trotz Anmeldung an der Kreißsaaltür abgewiesen wird, es wird oft nicht gesehen. Hier in Berlin gibt es zumindest noch die Option, mehrere Kliniken anzufahren. Wobei das Gekurve durch die Großstadt sicherlich nichts ist, was sich eine Frau unter der Geburt wünscht. Im ländlichen Bereich bedeutet die zunehmende Schließung von mehr und mehr Geburtskliniken auch, dass sich Schwangere auf lange Anfahrtswege einstellen müssen. Es führt zwangsläufig auch dazu, dass wohl mehr Babys unterwegs geboren werden – ohne jede fachliche Unterstützung.
Aber all dies wird weiterhin wissentlich von denen ignoriert, die politisch eine Verantwortung für die katastrophale Entwicklung in der Geburtshilfe in den letzten Jahren tragen. So sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe im August 2017 beim Besuch einer Geburtsklinik: „Das eine ist die Postleitzahl, die auf der Geburtsurkunde als Geburtsort steht; das andere aber ist die sichere Geburt.“
Zittern um einen Platz in der Wunschklinik?
Dabei wird den meisten werdenden Eltern die Postleitzahl in der Geburtsurkunde relativ egal sein, nicht aber die zitierte Sicherheit. Doch diese beginnt bereits vor der Geburt – nämlich dann, wenn Eltern sich auf ihren Geburtsort einstellen. Wenn ich nicht ein oder zwei Drittel der Schwangerschaft lang „zittern“ muss, ob ich den Platz in meiner Wunschklinik bekomme. Wenn ich mir nicht Sorgen machen muss, ob ich fünf oder fünfzig Kilometer unter Wehen mit dem Auto fahren muss.
Es geht hier um die Geburt des eigenen Kindes. Für die meisten Eltern ist es das wohl größte und emotionalste Ereignis in ihrem Leben. Sicherlich ist die Deckenbeleuchtung des Kreißsaales hier nicht entscheidend. Aber das Gefühl, den persönlich passenden und sich sicher anfühlenden Geburtsort aufsuchen zu können, wenn es soweit ist, das ist schon entscheidend.
Es geht eben nicht nur darum, dass „das Baby irgendwie rauskommt“, sondern dass Eltern und Kind einen würdigen und gut begleiteten Start ins Leben haben. Dass sich die Mutter an ihrem Geburtsort wohl fühlt, ist dabei kein angenehmes „nice to have“, sondern eine wichtige Voraussetzung, damit sie ihren Vorstellungen und Wünschen entsprechend die Geburt gut bewältigen kann.
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