Bindung ist nicht vom Geschlecht abhängig. Väter können Sorgearbeit ebenso leisten wie Mütter. Dennoch begegnen Sätze wie „Eine Mutter hat das eben im Gefühl!“ oder „In den ersten Jahren gehört ein Baby zu seiner Mama!“ oder „Mutterliebe ist einfach unvergleichbar!“ vielen Eltern auch heute noch häufig.
Ihnen gemein ist, dass sie die Bedeutung der Mutter für das Baby oder auch Kleinkind hervorheben. Und sie nicht selten sogar über alle anderen Beziehungen im familiären Umfeld setzt. „Babys gehören eben zur Mutter und Väter können das einfach von Natur aus nicht so gut!“ – dieser durchaus gängige Satz ist nicht nur falsch, er zementiert weiter Stereotype und verhindert, dass Väter aus der klassischen gesellschaftlichen Rollenverteilung ausbrechen. So wird negiert, dass Väter durch gleichberechtigte Sorgearbeit eine gute Beziehung zum Kind aufbauen können. Und durch eine gerechte Verteilung der Aufgaben die familiäre Atmosphäre entspannen.
Die Bedeutung der Gebärenden für das Umsorgen des Kindes wird häufig damit begründet, dass sich schon während der Schwangerschaft eine Verbindung zwischen Schwangerer und Kind aufbaut. Tatsächlich beginnt hier bereits eine Interaktion, zusammen mit verschiedenen körperlichen und hormonellen Veränderungen für das Umsorgen des Kindes.
Das „Mutterhirn“ ist nicht weiblich
Diese Veränderungen finden auch nach der Geburt weiterhin statt: Neue Untersuchungen der Neurobiologie belegen, dass Elternschaft Veränderungen im Gehirn hervorruft, die ähnlich den Veränderungen in der Pubertät sind. Wir verändern uns durch das Umsorgen des Kindes – und zwar nicht nur, weil sich unser Alltag verändert, sondern wir verändern uns auch in unserem persönlichen Selbst. Dieser Prozess läuft nach und nach ab.
Die Geburt ist in vielen Familien ein hormoneller Anstoß. Das Umsorgen des Kindes entwickelt sich allerdings durch Interaktion über die Zeit. Während frühere Forschungen durch den patriarchalen Blick der Wissenschaft auf Mutter und Kind fixiert waren, zeigen moderne Forschungsergebnisse allerdings, dass ein „mütterliches Verhalten“ vielmehr eine grundsätzlich menschliche Eigenschaft ist.
Studien über biologische Väter, nichtbiologische Väter und gleichgeschlechtliche Paare zeigen, dass sich die Gehirne umsorgender Elternteile unabhängig vom Geschlecht so entwickeln wie bei Gebärenden. Die Wissenschaftsjournalistin Chelsea Conaboy schreibt dazu in ihrem Buch „Mutterhirn“: „Das ,Mutterhirn’ ist nicht gleichbedeutend mit dem weiblichen Gehirn und auch nicht mit dem Gehirn der Gebärenden. Es ist vielmehr das Gehirn, das man sich ,durch Fürsorge verdient’.“
Bindung ist nicht abhängig vom Geschlecht
Das Umsorgen des Kindes ist also keine Frage des Geschlechts des Umsorgenden. Die Hormone Oxytocin und Prolaktin wurden lange Zeit besonders in Zusammenhang mit Mutterschaft betrachtet, obwohl sie nicht exklusiv im Körper von Müttern vorkommen. Eine Studie zeigte beispielsweise, dass auch Väter schon vor der Geburt eine Zunahme des Prolaktinspiegels verzeichnen. Prolaktin ist nicht nur für die Milchbildung zuständig, sondern unterstützt auch das Pflegeverhalten.
Zudem zeigen Männer gegenüber Babys eine veränderte Sprachmelodie, imitieren die Mimik des Babys und haben den Impuls, ein weinendes Baby auf den Arm zu nehmen. Sie sind also darauf eingestellt, Kinder umsorgen zu können. Auf der Seite des Babys gibt es keine Präferenzen für ein Geschlecht, das das Baby bevorzugt umsorgen sollte.
Für das Baby ist es wichtig, dass es eine (oder mehrere) Bezugsperson gibt, die die Signale des Kindes wahrnimmt, richtig interpretiert und beantwortet. Durch die Bedürfniserfüllung entwickelt sich ein Vertrauen in die Bezugsperson und gleichzeitig ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Das Baby kann sich mitteilen. Seine Signale werden in der Regel verstanden und beantwortet.
Väter sollten nicht „unterstützen“, sondern gleichwertig sorgen
Jungen, Männer und Väter wurden lange Zeit aus dem Umsorgen von anderen ausgeschlossen. Selbst heute noch erleben Jungen eine andere Behandlung als Mädchen. Sie bekommen anderes Spielzeug angeboten, das eher auf Kraft, Kampf oder Wissen ausgerichtet ist, anstatt auf Kooperation oder Fürsorge.
Diese Verteilung hat langfristig negative Konsequenzen für alle. Für Mädchen und Frauen, weil sie eine in der Masse erschöpfende Sorgearbeit ohne ausreichend finanzielle und emotionale Wertschätzung erleben. Und für Jungen bzw. Männer, die von dem Umsorgen entfremdet sind, keine gute Verbindung zur eigenen Gefühlswelt sowie körperlicher und psychischer Selbstfürsorge aufbauen können.
Durch die Ergebnisse der modernen Forschung ist es nun möglich, als Eltern endlich aus dieser negativen Dynamik der Geschlechtsrollenzuteilung austreten. Für Väter ist dies oft nicht einfach, da männliche Vorbilder für moderne Vaterschaft oft fehlen. Wie die Forschung aber zeigt, ist Elternschaft ein Prozess, der Zeit braucht und durch die Interaktion wirkt.
Geteilte Sorgearbeit entspannt die Familie
Väter brauchen Zeit, um mit ihren Kindern zusammen zu sein. Innerhalb dieser Zeit können (und sollten) sie sich um alle Belange des Elternseins kümmern: das Windelwechseln ebenso wie andere Pflegerituale, Füttern, Spiel und Einschlafbegleitung. Durch diese breit gefächerte Begleitung ist es möglich, das Kind kennenzulernen und sich immer besser aufeinander abzustimmen.
Sorgearbeit zwischen den Bezugspersonen des Kindes gerecht zu verteilen, hat nicht nur positive Wirkungen auf die jeweiligen Beziehungen zwischen Elternteil und Kind. Es kann sich positiv auf die gesamte Familienatmosphäre auswirken. Der Muttermythos und die Überhöhung der Bedeutung der Mutter für das Kind können gemeinsam mit gesellschaftlicher Benachteiligungen zu einer Überlastung von Müttern führen. Die Zahl der Mütter, die aufgrund von Erschöpfung eine Kur brauchen bis hin zum Caregiver-Burnout ist steigend.
Geteilte Sorgearbeit sensibilisiert für die tatsächliche Belastung – neben all der Liebe und schönen Momenten – des Umsorgens anderer Menschen. Sie unterstützt somit das gegenseitige Verständnis und das Sorgen um die Bedürfnisse der Eltern.
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