Dies ist der 43. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Sarah ihre persönliche Stillgeschichte teilt. Sie ist 30 Jahre alt, Sonderpädagogin, lebt in einer festen Partnerschaft und ihre Söhne sind drei Jahre und ein Jahr alt.
Hier erzählt Sarah über die Stillzeiten mit ihren beiden Kindern- über Bevormundung, Druck und über unpassende, aber auch passende Unterstützung in dieser nicht einfachen Zeit.
Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Die Betreuung der Schwangerschaft bei meinem ersten Sohn erfolgte über die Hebammen eines Geburtshauses. Dort haben wir, soweit ich weiß, nicht über das Stillen vor der Geburt gesprochen. „Meine“ Wochenbetthebamme (auch aus dem Geburtshaus) kam dann wenige Tage vor ET einmal zu uns nach Hause. In dem Zusammenhang sprachen wir auch über das Stillen.
Für sie schien völlig klar, dass ich stillen werde. Ich war damals davon noch nicht überzeugt. Ich wollte es erstmal auf mich zukommen lassen. Meine Mutter konnte mich damals auch nicht stillen (ich war in der 30. Woche per Kaiserschnitt geboren worden, meine Mutter lag lange Zeit in einem anderen Krankenhaus, ich auf der Intensivstation, da war das Stillen nicht möglich). Meine Mutter hatte auch immer die Vorteile der Flasche hervorgehoben (abwechseln beim Flasche geben). Daher bin ich absolut nicht davon ausgegangen, dass ich auf jeden Fall stillen möchte.
„Du willst dann wieder stillen“
Bei meinem zweiten Sohn sprach ich mit der Hebamme (eine andere Hebamme als bei meinem ersten Sohn) vor der Geburt ein Mal über das Stillen. Auch sie sagte nur: „Du willst dann wieder stillen.“ Es war eher eine Aussage als eine Frage. Auch hier war ich mir wieder nicht ganz sicher, ob ich stillen werde (obwohl ich meinen ersten Sohn neun Monate gestillt habe). Ich wollte mich in keinem Fall wieder so unter Druck setzen wie beim ersten Mal.
Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Informiert habe ich mich nicht, auch hatte ich nicht das Gefühl, dass es von „meinen“ Hebammen während der Vorsorgen thematisiert wurde. Bei meinem zweiten Sohn wurde es thematisiert, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich wirklich eine „Option“ hatte zu sagen: „Nein, ich möchte nicht stillen.“ Bei beiden Kinder hatte ich das Gefühl, dass es von mir erwartet wird, dass ich stille.
Bei meinen ersten Sohn hatte ich keine Wünsche und Vorstellungen. Im Nachhinein habe ich fast das Gefühl, dass es etwas unterging das Thema, hinter dem Thema Geburt. Alles war so ausgerichtet auf Geburt. Dass nach der Geburt das Abenteuer erst richtig losgeht, fiel bei mir etwas hinten runter. Bei meinem zweiten Sohn war meine Devise: Ich versuche zu stillen, aber wenn es nicht klappt, mache ich mir keinen Stress und gebe die Flasche.
Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Bei meinem ersten Sohn hat das Stillen am Anfang gar nicht geklappt. Es war schrecklich. Er hatte immer Hunger, schrie mich nur an, riss an der Brust und ich hatte fürchterliche Schmerzen. Ich habe oft vor und beim Anlegen geweint, weil es so weh tat. Bei meinem ersten Sohn verlief die Geburt nicht so positiv wie erhofft. Ich hatte eine Geburt im Geburtshaus geplant und landete relativ schnell im Krankenhaus, wo ich mich nicht wohl gefühlt habe.
Ich war ziemlich überfordert
Die Geburt sollte mehrfach mit Kaiserschnitt beendet werden, was ich jedoch ablehnte. Die Geburt dauerte sehr lange und ich war physisch und psychisch völlig am Ende. Nach der Geburt wurde mein Sohn erstmal in einem anderen Zimmer versorgt. Ich konnte ihn erst nach 45 Minuten bei mir haben. Dann habe ich ihn angelegt, aber im Kreißsaal hat mir niemand geholfen. Ich war ziemlich überfordert.
Am nächsten Tag kam jemand zu mir und wollte sich mein Stillen angucken. Ich empfand es weniger als Hilfestellung denn als Kontrolle. Diese Situation war für mich sehr unangenehm. Als wir dann am ersten Lebenstag zu Hause ankamen, hatte ich bereits wunde Brustwarzen und ziemliche Schmerzen. Ab dem nächsten Tag versuchte dann „meine“ Wochenbetthebamme mir zu helfen. Sie zeigte mir verschiedene Stillpositionen und gab mir gute Hilfestellungen.
Einerseits half es mir sehr, andererseits fühlte ich mich oft mit meinen Schmerzen und Sorgen, mein Sohn könnte nicht genug trinken, nicht ernst genommen. Meine Zweifel, ob ich nicht doch einfach aufhören sollte zu stillen, sie wurden überhört. Zeitweise fühlte ich mich ziemlich unter Druck gesetzt, weiter stillen zu „müssen“. Es dauerte einige Tage bis ich endlich Milch bekam. Bis dahin nahm mein Sohn 700 Gramm ab und schrie ununterbrochen. Für mich war diese Situation kaum auszuhalten.
Nicht das Schönste der Welt
Auf Anraten der Kinderärztin fütterten wir dann etwas zu und das entspannte die Lage ein bisschen. Ich hatte am Anfang einfach nicht genug Milch. Nach einigen Wochen konnte ich jedoch voll stillen und musste nicht mehr zufüttern. Auch meine „Schwiegermutter“ setzte mich ziemlich unter Druck. Sie hatte ihre Kinder sehr lange gestillt und signalisierte mir bereits vor der Geburt, dass Mütter, die nicht stillen, keine richtigen Mütter seien. Sie kam bereits wenige Tage nach der Geburt für drei Tage zu Besuch. Ich fühlte mich ununterbrochen beobachtet und bewertet. Sie konnte nicht verstehen, dass ich fürchterliche Schmerzen beim Stillen hatte und es für mich nicht das Schönste der Welt war.
Als ihr Sohn sie nach ihrem Besuch anrief und glücklich erzählte, dass unser Kind endlich etwas Ruhe finden würde (sie hatte es ja die Tage des Besuchs auch erlebt, wie viel unser Sohn schrie) und erwähnte, dass wir zufüttern und er nun endlich kein Hunger mehr habe und wir erleichtert seien, freute sie sich nicht. Sie fing an zu weinen und meinte nur: „Aber die Brust bekommt er doch trotzdem noch oder?!“ Zum Glück war meine Mutter sehr gelassen und bestärkte mich immer wieder darin, dass ich das machen sollte, was mir und meinem Sohn gut tun würde.
Bei meinen zweiten Sohn gab mir „unsere“ Hebamme meinen Sohn direkt in den Arm und er blieb direkt da und trank bereits im Kreißsaal drei Mal. Gerade im Vergleich zum ersten Mal empfand ich das Stillen als sehr harmonisch. Die Situation war mir deutlich angenehmer und ich fühlte mich nicht überfordert. „Meine“ Hebamme gab mir Hilfestellungen. Ich entschied mich für eine Nacht im Familienzimmer. Direkt als wir verlegt wurden, kam eine Krankenschwester und verbesserte meine Stillposition.
Deutlich mehr Zeit fürs Stillen genommen
Ich fühlte mich ziemlich bevormundet. Ihre Kommentare verunsicherten mich zum Glück nicht (ich glaube, wenn es mein erstes Kind gewesen wäre, hätte sie das aber). Sie lösten eher Gefühle von Genervtheit aus und verstärkten mein Gefühl, dass ich schnell nach Hause möchte. Zu Hause angekommen, habe ich mir deutlich mehr Zeit fürs Stillen genommen als bei meinem ersten Sohn. Besuch durfte erste kommen, als das mit dem Stillen ohne Probleme geklappt hat (besonders die „Schwiegereltern“). Ich hatte zwar am Anfang mit ein bisschen wunden Brustwarzen zu kämpfen und hatte schrecklich Nachwehen. Aber es war absolut nicht zu vergleichen mit dem Stillstart bei meinem ersten Sohn.
Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Bei meinem ersten Sohn hatte ich die erste Zeit immer große Sorge, dass ich nicht genug Milch hätte. Ich war oft gestresst. Stillte nach Uhrzeiten und hatte wenig Vertrauen in mich und meinen Sohn. Meine Wochenbetthebamme übte ziemlich viel Druck auf mich aus, dass ich bloß nicht „aufgeben“ sollte. Sie hatte wenig Verständnis, dass es mir wirklich schlecht ging.
Als ich zugefüttert habe, entspannte sich die Situation stark. Mich erleichterte das. Für die Hebamme stand hier jedoch nur im Vordergrund, wie wir es schaffen würden, dass ich weniger zufüttern muss. Ich fühlte mich so unter Druck gesetzt, dass ich anfing sie anzulügen und weniger aufschrieb, als ich eigentlich zufütterte.
Irgendwann klappte es von ganz alleine
Dann war die Hebamme im Urlaub und die Vertretung war deutlich emphatischer. Sie spürte, dass es mir schlecht ging und nahm etwas das Tempo raus, damit wir uns alle entspannen können. Obwohl der Kleine schon 14 Tage alt war, kam sie fast täglich. Sie war einfach da, guckte mir beim Stillen zu und strahlte Ruhe aus. Mit ihr konnte ich gut reden und sie sah es nicht als Nonplusultra an, dass ich schnellstmöglich voll stillen müsste. Und irgendwann klappte es von ganz alleine (das Vollstillen). Und irgendwie war ich dann stolz, obwohl ich ja eigentlich vor der Stillzeit gar nicht den Wunsch hatte, unbedingt zu stillen.
Bei meinem zweiten Sohn empfahl uns die Hebamme auf Grund des schlechten Blutzuckerspiegels nach dem Stillen (bis ich selbst Milch hatte) etwas Pre zuzufüttern. Das haben wir drei Tage gemacht. Mein Sohn schrie in der Zeit deutlich weniger als mein erster Sohn in den ersten Tagen. Ich empfand den Milcheinschuss als deutlich weniger unangenehm als beim ersten Mal und konnte direkt voll stillen. Es fühlte sich gleich wieder total vertraut an und ich konnte es schon fast am Anfang genießen zu stillen (als sich das mit den Nachwehen erledigt hatte).
Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für dich da? Wer oder was hat dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Beide Male habe ich die Hilfe der Wochenbetthebammen in Anspruch genommen. Bei meinem ersten Sohn war ich noch ziemlich unsicher und habe mir schnell reinreden lassen. Das war für mich anstrengend und ich hatte nicht das Gefühl, dass die Frau auf meine individuelle Situation eingehen konnte/wollte. Sie hatte ihren Plan, wie es laufen soll und so hatte ich das Gefühl, dass sie mich etwas abfertigt.
Nach acht Monaten habe ich abgestillt
Bei meinem zweiten Sohn war ich viel selbstbewusster und konnte genau sagen, was ich will und was nicht und die Hebamme konnte gut darauf eingehen. Bei beiden Kindern hat es mir sehr gut getan (wenn es Schwierigkeiten beim Stillen gab), dass die Hebammen einfach da waren, mir gut zugeredet haben, mir gesagt haben, dass alles „normal“ ist und mir Hilfestellungen gegeben haben. Auch dass die Hebammen so flexibel zu mir kommen konnten, war für mich eine große Unterstützung. Wenn alles schlecht lief, war es schön zu wissen, dass in wenigen Stunden jemand kommen würde, der einfach da sein wird. Gerade bei meinem ersten Sohn war es toll, dass sie so lange täglich kommen konnte.
Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Bei meinem ersten Sohn konnte ich es kaum erwarten, endlich Brei zu füttern (und dadurch habe ich auch deutlich weniger gestillt). Ich wollte so schnell wie möglich abstillen. Nach sieben Monaten bin ich wieder arbeiten gegangen. Und da hat mein Sohn bereits den kompletten Tag ohne Stillen verbracht. Nach acht Monaten habe ich abgestillt. Ich hatte aber damals das Gefühl, dass es für uns beide okay so war. Bei meinem zweiten Sohn habe ich erst nach sechs Monaten mit Brei angefangen. Bis heute (er ist jetzt ein Jahr alt) fordert er sich deutlich öfter das Stillen ein. Ich stille noch nachts und bis zu viermal tagsüber. Ich habe das Gefühl, dass sich die Stillmenge mit Breieinführung kaum reduziert hat.
Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Bei meinem ersten Sohn war das relativ einfach. Ich habe einfach immer weniger gestillt. Und dann war ich einen Abend bei Freundinnen und der Papa hat den Kleinen ins Bett gebracht einfach ohne, dass er gestillt wurde. Das klappte ohne Probleme. Einen Abend später musste ich ihn dann nochmal anlegen, einfach weil ich noch zu viel Milch hatte. Und dann hatte es sich erledigt. Ich hatte mir vorher nicht so viele Sorgen oder Gedanken darum gemacht. Und bin aber (besonders aus heutiger Perspektive) froh, dass es so einfach ging.
Primär praktisch mit dem Stillen
Bei meinem zweiten Sohn gestaltet sich das Abstillen deutlich schwieriger. Ich würde gerne abstillen oder zumindest weniger stillen, aber er fordert es so massiv ein, dass es mir derzeit nicht möglich ist, weniger zu stillen. Immer wenn ich mir vornehme „ab Montag stille ich ihn nur noch nachts“ wird er krank. Und ich denke mir dann: Jetzt kann ich ja auch nicht damit anfangen. Auch wenn ich es dieses Mal schöner fand zu stillen, würde ich gerne, dass es bald ein Ende hat. Ich wünsche mir, dass es nicht diese große Diskrepanz zwischen seinen und meinen Wünschen gäbe (er will noch gestillt werden, ich möchte es langsam beenden).
Was war oder ist das Schönste für Dich am Stillen?
Bei meinem ersten Sohn war es primär für mich praktisch mit dem Stillen. Ich habe keine wirklich positive Beziehung zum Stillen aufgebaut. Auch wenn ich jetzt aus der Distanz darauf schaue, wird mir das deutlich. Bei meinem zweiten Sohn konnte ich die Nähe viel mehr genießen. Ich genoss es, mich einfach mit ihm zurück zu ziehen und so Momente zu schaffen, in denen wir nur zu zweit waren.
Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
Bei meinem ersten Sohn war es der Start. Ich glaube, wenn es mir nochmal so ergangen wäre oder es mir nochmal so ergehen würde, würde ich nicht stillen. Es fiel mir schwer, die Kommentare meiner „Schwiegermutter“ auszuhalten. Jetzt bei meinem zweiten Sohn ist es das nächtliche Stillen (immer noch bis zu fünf Mal in einer Nacht) und das uns bevorstehende Abstillen.
Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Ich würde mich nicht mehr so verrückt machen (lassen), was das Stillen angeht. Wenn es Probleme geben würde, würde ich es zwar noch ein bisschen versuchen. Sollte es aber weiterhin nicht klappen, würde ich ohne schlechtes Gewissen zufüttern. Ich würde mich nicht mehr so unter Druck setzen lassen. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich gut damit leben kann, falls ich mein Kind nicht voll stillen könnte. Das Zufüttern wäre für mich leichter zu „ertragen“, als dieser krasse Stress, den ich am Anfang der Stillzeit bei meinem ersten Kind hatte. Das hat unseren Start in das Familienleben deutlich erschwert.
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