Dies ist der elfte Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Victoria aus dem Ruhrgebiet ihre Stillgeschichte erzählt. Die 31-Jährige hat einen fünf Monate alten Sohn und arbeitet als Journalistin. Sie hat ein Jahr Elternzeit genommen. Bei Instagram findet man sie unter icky_toria.
Da ihr Kind mit einer Ösophagusatresie geboren wurde, war und ist das Thema Stillen und Essen mit vielen Herausforderungen verbunden. Victoria hat auf diesem Weg gepumpt, gefüttert, gestillt, abgestillt und sogar auch noch ihre Milch einer anderen Mutter und ihrem Baby gespendet. Ihre Stillgeschichte zeigt deutlich, dass es ihn eben nicht gibt: den einen Weg zu stillen.
Alle Überlegungen rund ums Stillen wurden nebensächlich
Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Für mich war immer klar, dass ich mein Kind stillen werde. Ich habe das nie in Frage gestellt. In meinem Umfeld stillen fast alle bzw. haben fast alle gestillt. Für die Mütter war es ganz selbstverständlich, ihre Kinder auch in der Öffentlichkeit zu stillen. Und mal ganz ehrlich: Ich finde es auch einfach praktisch. Man muss keine Fläschchen, heißes Wasser etc. mit sich rumschleppen. Und trotzdem hat mich der Gedanke, mein Kind anzulegen, auch befremdet. So viel Nähe zuzulassen, hat ein mulmiges Gefühl in mir hervorgerufen.
Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Während meiner Schwangerschaft habe ich mich nicht großartig mit dem Thema beschäftigt. Wir haben natürlich im Geburtsvorbereitungskurs darüber gesprochen und zu diesem Zeitpunkt habe ich angefangen zu überlegen, ob ich wirklich stillen möchte. Einfach, weil ich Angst hatte, dass mir dadurch ein Stück Unabhängigkeit genommen wird. Zwei, drei Stündchen alleine unterwegs zu sein, während sich mein Mann solange um den Kleinen kümmert, ist schließlich nur mit den entsprechenden Vorkehrungen möglich.
Aber trotz dieser Gedanken war mir auch klar, dass ich mein Baby stillen werde. Denn natürlich weiß ich, dass Muttermilch das Beste für einen Säugling ist. Und die Nähe und den Hautkontakt während des Stillens kann eine Flaschenmahlzeit nicht ersetzen. Doch alle Überlegungen rund ums Stillen wurden plötzlich durch die Diagnose „Ösophagusatresie“ (Speiseröhre und Magen waren bei Leander nicht verbunden) nebensächlich, die wir in der 30. SSW bekommen haben. Warum soll ich mir Gedanken machen, wie ich mein Kind füttern kann, wenn es auf natürlichem Wege überhaupt nichts zu sich nehmen kann?
Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und Deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Durch die Fehlbildung verlief unser Stillstart natürlich ganz anders als üblich. Leander kam mit einer „normalen“ Geburt auf die Welt. Doch kaum war er da, wurde er uns weggenommen. Die Kinderärzte haben ihn sofort genau untersucht. Und wir hatten bzw. haben Glück im Unglück. Leander fehlte „nur“ die Verbindung zwischen Speiseröhre und Magen. Andere Fehlbildungen hatte er nicht.
Von da an habe ich gepumpt
Trotzdem haben wir uns in einer Art Schockstarre befunden. Denn auch wenn wir schon während der Schwangerschaft von einer möglichen Ösophagusatresie wussten, hatten wir doch gehofft, dass sich die Ärzte einfach vertan hatten. Am Morgen nach der Geburt wurde mir ohne große Fragen und Erklärungen eine Milchpumpe ins Zimmer gestellt und von da an habe ich abgepumpt. Ich hasse es. Zwar habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt, aber ich bin mir vor allem am Anfang wie eine Kuh vorgekommen.
Leander lag seit der Geburt auf der Kinderintensivstation und genauso wie auf der Wöchnerinnenstation gab es auch dort während des Abpumpens keine Privatsphäre. Jeder, der wollte, kam ins Zimmer. Ärzte, Schwestern, Pfleger, Putzkräfte, andere Eltern. Ich habe zu Beginn Arzt- und Aufklärungsgespräche für Operationen während des Abpumpens geführt. Teilweise war es auch meine Schuld, denn ich habe mich einfach nicht getraut zu sagen, dass die Ärzte bitte wiederkommen sollen, wenn ich fertig bin. Es hat aber auch nie jemand gefragt, ob es mir unangenehm ist.
Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
In den ersten Wochen nach der Geburt wurde Leander über ein sogenanntes Gastrostoma ernährt – eine Magensonde, die über einen Schnitt in der Bauchdecke in den Magen führt. Wir haben ihm meine Milch mit einer Spritze sondiert. Doch da er nicht genug zugenommen hat, wurde meine Milch durch spezielles Milchpulver ersetzt. Sonderlich viel gebracht hat es allerdings nicht.
Zu meinem Glück kam in dieser Zeit die Stillberaterin der Intensivstation aus der Elternzeit zurück und hat mich ermutigt, weiter abzupumpen, da ich ihn stillen könnte, sobald Speiseröhre und Magen verbunden seien. Das hätte sie allerdings gar nicht machen müssen. Ich war mittlerweile fest entschlossen, Leander irgendwann zu stillen. Dieses ganze Abpumpen musste schließlich für etwas gut sein.
Vom Krankenhaus festgelegte Essenszeiten
Außerdem war da noch ein anderes Gefühl, das mich durchhalten ließ: Es machte mich unglaublich wütend, meinem Kind nicht dann Essen geben zu können, wenn es Hunger hatte, sondern auf Essenszeiten angewiesen zu sein, die vom Krankenhaus festgelegt wurden. Leander bekam alle vier Stunden eine von den Ärzten ausgerechnete Menge Milch. Dass er meistens schon nach zwei oder drei Stunden Hunger hatte, wurde oft abgetan.
Nach zwei Monaten war es endlich soweit. Die langersehnte OP fand statt. Speiseröhre und Magen wurden erfolgreich verbunden. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie es sein würde, ihn endlich das erste Mal anzulegen. Nach den ganzen Wochen hatte ich mir diesen Moment als absolut erfüllend ausgemalt. Doch es kam anders. Die Nahtstelle wurde in den Tagen nach der OP „undicht“. In den ersten Tagen nach der OP sollte er Nahrung durch eine Magensonde erhalten, die jetzt durch die verbundene Speiseröhre führte, um unter anderem die Verbindungsstelle zu schonen. Allerdings stieg die Milch aus dem Magen in die Speiseröhre hoch und lief durch ein Loch in den rechten Pleuraspalt (den „Hohlraum“ zwischen Brustkorb und Lunge.)
Bevor Leander endlich essen durfte, musste er erst einmal „dicht“ werden, wie mein Mann und ich es nannten. Und das hat gedauert. Ganze sieben Wochen. Sieben Wochen, in denen wir ihn die meiste Zeit nicht auf den Arm nehmen durften und er nüchtern bleiben musste. Ernährt wurde er in der Zeit über Infusionen. Und ich habe weiter abgepumpt. Aus Sturheit. Ich dachte mir die ganze Zeit: Jetzt erst recht.
Doch mit jedem Tag wurde es mehr Milch. Unser Gefrierschrank platze aus allen Nähten. Im Krankenhaus wussten die Schwestern auch nicht mehr, wohin mit der ganzen Milch. Es mag vielleicht komisch klingen, aber das hat mich belastet. Ich wusste, dass wir nicht endlos Milch einfrieren konnten. Und als unser kompletter Gefrierschrank nur noch mit Milchbeutel gefüllt war, musste ich Milch wegwerfen. Andere Mütter litten darunter, nicht genügend Milch für ihre Babys zu haben und ich warf die Milch weg.
Muttermilchspende für eine Freundin
Also habe ich angefangen eine andere Möglichkeit zu suchen. Ich dachte mir, dass es doch möglich sein muss, die Milch zu spenden. Ist es theoretisch auch. In manchen Krankenhäusern gibt es so genannte Milchbänke. Leider befindet sich die nächste Milchbank 60 Kilometer von uns entfernt. Ich hätte zum Abpumpen dorthin fahren müssen. Das Krankenhaus hat aus hygienischen Gründen nur vor Ort abgepumpte Milch akzeptiert. Mein Vorschlag, nur die Milch zu spenden, die ich in „unserem“ Krankenhaus abgepumpt habe, wurde nicht akzeptiert.
Ich habe dann trotzdem noch jemanden gefunden, der sich über meine Milch gefreut hat. Eine Freundin, die fast zeitgleich ihr Baby bekommen hatte, hat sehr schnell keine Milch mehr gehabt. Und hat mich gefragt, ob sie die Milch, die ich wegwerfen würde, nicht haben könnte. Darüber habe ich mich unheimlich gefreut.
Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für Dich da? Wer oder was hat Dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Auf der Intensivstation arbeitet eine unglaublich nette und hilfsbereite Stillberaterin, die mich sehr unterstützt hat. Sie ist trotz der hohen Arbeitsbelastung, die die Schwestern und Pfleger haben, immer wieder von sich aus auf mich zugekommen und hat mich ermutigt, nicht aufzugeben. Auch als ich Leander endlich stillen durfte, war sie da und hat mir wertvolle Tipps gegeben.
Und nicht zu vergessen ist mein Mann. Er hat mich in der Stillzeit unheimlich unterstützt, hat mich immer wieder ermutigt, wenn ich keine Lust mehr hatte. Hat mich aber nie gedrängt weiterzumachen oder aufzuhören. Wenn ich abends oder nachts zu müde war, hat er die Milchpumpe zusammengebaut, sauber gemacht, die Milch eingefroren. Und auch jetzt ist er eine große Hilfe. Wir haben uns das Füttern von Leander – ohne groß darüber zu sprechen – fast gleichberechtigt aufgeteilt. Das Vorbereiten der Fläschchen. Das Füttern selbst. Auch nachts. Das macht alles deutlich leichter und entspannter.
Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Die Möhren für den ersten Brei liegen schon im Kühlschrank. Wir setzen große Hoffnungen in die Beikost. Denn Zunehmen gehört nicht zu Leanders großen Stärken. Wir eiern mit fünf Monaten immer noch bei knapp 4800 Gramm rum und hoffen, dass er besser zunimmt, wenn er zusätzlich Brei zu essen bekommt.
Schweren Herzens abgestillt
Ich konnte Leander leider nur knapp drei Wochen stillen. Denn die Nahtstelle an der Speiseröhre zieht sich immer wieder zusammen und muss regelmäßig im ersten Lebensjahr während einer Endoskopie in Vollnarkose geweitet werden. Zwischen der ersten und der zweiten Weitung lag zu viel Zeit (elf Tage). Deshalb ist die Stelle so eng geworden, dass sich Leander beim Trinken so verschluckt hat, dass er fast erstickt wäre. Mehrmals. Wie oft die Stelle geweitet werden muss, ist bei jedem Kind individuell.
Seit diesen Erlebnissen weigert er sich aus der Brust zu trinken und fängt an zu weinen, wenn ich versuche, ihn anzulegen. Ich habe alles Mögliche versucht, ihn wieder an die Brust zu gewöhnen, aber nichts hat geholfen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir alle sieben bis zehn Tage ins Krankenhaus müssen, damit die Engstelle wieder geweitet werden kann. Nach dem Eingriff hat er mehrere Tage Schwierigkeiten zu trinken. Zusammen mit dem Druck der Ärzte, dass er besser zunehmen muss, ist das Füttern mit sehr viel Stress und Anspannung verbunden. Mir fehlt einfach die Ruhe und Gelassenheit, ihn zu stillen. Und so habe ich weiter abgepumpt und er bekommt die Milch aus dem Fläschchen.
Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Schweren Herzens habe ich mich vor ein paar Tagen entschieden, abzustillen bzw. das Abpumpen zu beenden. Leander zu füttern, ist mit viel Geduld verbunden. Es kann passieren, dass er sich nach zwei, drei Schlucken weigert, weiter zu trinken, weil es ihm weh tut oder weil er sich verschluckt. Oder er trinkt 20 bis 40 Milliliter und hört dann ohne ersichtlichen Grund einfach auf. Dass der Hunger irgendwann groß genug sein und er dann schon trinken wird, wie uns viele versichert haben, passiert nicht unbedingt.
Ich glaube, dass es an der langen Zeit liegt, in der er intravenös ernährt wurde. Er hat einfach ein komisches Verhältnis zu Hunger und satt sein. Das alles zusammengenommen, bedeutet für meinen Mann und mich ziemlichen Stress. Es gibt Tage, an denen wir gefühlt nichts anderes machen, als Leander zu füttern oder uns anschreien zu lassen. Dass ich zwischendurch immer noch abpumpen musste, machte es für mich nicht leichter. Wir haben noch genügend eingefrorene Milch, um ihn etwa ein bis anderthalb Monate zu versorgen, so dass wir erst einmal nicht auf Milchpulver zurückgreifen müssen.
Es gibt nicht den einen Weg zu stillen
Als ich dann die Entscheidung getroffen hatte abzustillen, konnte es mir nicht schnell genug gehen. Und zu meiner Überraschung ging es auch super schnell. Einige Tage lang habe ich Salbeitee getrunken und damit war das Thema beendet. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mental das Thema Stillen bzw. Abpumpen bereits vorher beendet hatte.
Was war oder ist das Schönste für dich am Stillen?
Das Stillen war am schönsten, wenn ich mit Leander ganz alleine gewesen bin. Dann habe ich eine tiefe Verbundenheit mit ihm und eine wohltuende Ruhe gespürt. Leider ist dies nicht oft vorgekommen.
Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
In den ersten anderthalb Wochen, in denen ich Leander gestillt habe, war er noch im Krankenhaus. Dort war das Stillen extrem unentspannt, weil wir immer eine Stillprobe machen mussten. Ich musste Leander vor und nach dem Stillen wiegen, um zu überprüfen, wie viel er getrunken hat. Das Wiegen war meistens mit sehr viel Geschrei verbunden, weil Leander lieber nach dem Stillen noch eine Weile gekuschelt und geschlafen hätte. Zuhause war das Stillen dann schnell mit einer großen Anspannung meinerseits verbunden, weil er sich regelmäßig verschluckt hat und ich jedes Mal Angst hatte, dass sich die Nahtstelle verschlossen hat – was sie ja dann auch gemacht hat. Wenn ich die Zeit des Abpumpens dazu nehme, war es für mich belastend, dass ich irgendwann aus Platzgründen Teile der eingefrorenen Milch wegwerfen musste.
Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Ich würde bei einem weiteren Kind auf jeden Fall wieder versuchen zu stillen. Denn das Gefühl, sein Kind zu stillen, habe ich als angenehm und natürlich empfunden. Und ganz ehrlich: auch als praktisch. Es muss keine Milch mit einem schreienden Kind auf dem Arm erst noch aufgewärmt werden. Man muss nicht mit einer Wickeltasche voller Fläschchen und heißem Wasser das Haus verlassen.
Unser Stillweg war und ist nicht einfach, aber ich habe daraus vor allem zwei Dinge gelernt: Es gibt nicht DEN EINEN Weg zu stillen. Es muss sich nur für dich, dein Baby und nicht zu vergessen auch deinen Partner richtig anfühlen. Dann ist es egal, ob du stillst, die Flasche gibst, abpumpst oder Milchpulver verwendest. Hauptsache, ihr fühlt euch wohl. Und du brauchst Geduld. Dein Baby gibt den Takt vor. Vielleicht trinkt es mal länger oder weniger. Dann ist das so. Lass dich nicht unter Druck setzen, wenn dein Baby mal nicht dem Durchschnitt entsprechend trinkt. Oder zunimmt. Es mag zwar eine Norm geben, aber der müsst ihr nicht entsprechen – solange es deinem Baby gut geht. Wer beim Stillen und Füttern entspannt ist, hat sehr gute Chancen, dass auch das Baby entspannt sein wird.
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