Dies ist der 22. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem die 30-Jährige Nora ihre Stillgeschichte erzählt.
Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt sie in der Nähe von Düsseldorf. „Ich bin Ärztin, aktuell in Elternzeit. Im Sommer 2016 kam unser Zwillingspärchen etwas zu früh auf die Welt (34. SSW). Im Herbst 2018 gesellte sich als große Überraschung Kind Nummer 3 dazu. Nun sind wir relativ unerwartet eine Großfamilie“, schreibt sie. „Wenn mir mal alle drei Kinder gleichzeitig eine Pause gönnen, schreibe ich auf Milch & Mehr über Ernährung, Kinder- und Mama-Gesundheit sowie über unseren Familienalltag. Mein kleiner kreativ-kognitiver Ausgleich zum fordernden Mamaalltag.“ Ihr findet sie zudem bei Instagram und Facebook.
Beim Stillen mit erschwerter Ausgangslage zu unterstützen, liegt ihr nach den Erfahrungen, die sie selbst gemacht hat, sehr am Herzen. Auf ihrem Blog findet ihr noch einige weitere Stillgeschichten von Zwillings-Frühchen-Eltern.
Totales Chaos, körperlich und emotional
Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Dank meines Studiums wusste ich, dass Muttermilch das Gesündeste für Babys ist. So war es für mich selbstverständlich, die Zwillinge damit zu versorgen. In meiner Vorstellung war das Stillen an sich ein Intutionsding, was jeder weibliche Körper schon irgendwie richtet. Eine konkrete Vorstellung hatte ich nicht. Viele meiner Freundinnen waren zu dem Zeitpunkt noch kinderlos.
Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Mit der Diagnose Plazentainsuffizienz bei einem Kind konnte ich mich auf die Geburt von Zwillings-Frühchen zumindest in der Theorie ein paar Wochen lang vorbereiten. Fluch und Segen. So habe ich aber auch angefangen, mich über alternative Fütterungsmethoden, Milchpumpen und so ein Zeug zu informieren. So ließ mich das, was auf mich zu kam, nicht komplett aus den Latschen kippen. Ich war damals aber auch extremer Kopfmensch und brauchte einen Plan. Ich las viel im Internet und besuchte eine Informationsveranstaltung einer sehr guten Stillberaterin.
Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und Deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Um den Milcheinschuss kümmerte ich mich in den Tagen nach dem Kaiserschnitt alleine beziehungsweise zusammen mit der elektrischen Doppelmilchpumpe, während meine Kinder im Wärmebett zu Ende reiften. Bei mir herrschte totales Chaos, körperlich und emotional. Das Anlegen oder alternative Fütterungsmethoden wurden auf der Frühchenstation leider so gut wie gar nicht unterstützt.
Marathon aus Füttern, Abpumpen, Sterilisieren und Pflegen
So nahmen wir zwei Flaschenkinder mit einem Vier-Stunden-Trinkrhythmus mit nach Hause. Dort startete mein persönliches Trainingslager. Die Babys brachten zusammen das auf die Waage, was ein durchschnittliches Neugeborenes wiegt. Sie wussten überhaupt nicht, was sie tun sollten. Ich ebenso wenig. Es tat höllisch weh und funktionierte die ersten Tage gar nicht.
Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Das frühe Wochenbett existiert für Frühchen-Mamas nicht. Man muss auf die Beine kommen, funktionieren und alle eigenen Bedürfnisse werden vom Krankenhaus-Alltag geschluckt. Und auch die nächsten Wochen zu Hause waren ein Marathon aus Füttern, Abpumpen, Sterilisieren und Pflegen. Ich war froh um den Vier-Stunden-Rhythmus. Mehr hätte ich damals nicht leisten können. Aber so konnte das mit dem Stillen nicht klappen!
Ich kann alle Frauen, die in einer ähnlichen Situation stecken und an dieser Stelle ihre persönliche Grenze ziehen und abstillen sehr gut verstehen. Ich konnte es aber einfach nicht. Muttermilch in ausreichender Menge abzupumpen und gleichzeitig alleine zwei Babys zu versorgen ging nicht. So mussten wir uns da irgendwie durchbeißen. Ich probierte alles: Fingerfeeder, Brust-Ernährungsset, Stillhütchen, Kontrollen mit der Waage. Nach jedem kleinen Fortschritt erfolgte ein größerer Rückschritt. Ich aß und trank Unmengen, trotzdem kam ich nicht richtig zu Kräften.
Von da an war das unser Ding
Es lief, als beide Kinder etwa vier Kilogramm auf die Waage brachten. Aus der Not heraus fing ich kurze Zeit später auch mit dem Tandemstillen an. Ein Glück! Von da an war das unser Ding. Vorher gab es wochenlang viele, viele Tränen auf allen Seiten, Zufütterei und immer wieder Momente, in denen ich alles hinschmeißen wollte. Unterstützung hatte ich nachts und am Wochenende von meinem Mann. Mehr ließ ich damals nicht richtig zu, da mir das alles sehr intim erschien.
Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für Dich da? Wer oder was hat Dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Natürlich war auch die Nachsorgehebamme für mich da und ein, zwei Mal telefonierte ich mit einer der erfahrensten Stillberaterinnen der Stadt. Allerdings hatten beide keine große Erfahrung mit Mehrlingen und/oder Frühgeburten. Ich kann nur empfehlen, Kontakt mit jemandem aufzunehmen, der schon mal in dieser Situation steckte. Das ist wirklich viel wert!
Ich las einige Erfahrungsberichte von anderen Zwillingseltern in Blogs und Foren und tauschte mich mit einer Frau aus, die das Drama zeitgleich mit mir durchlebte. Mittlerweile sind wir sehr gute Freundinnen! Ich schnappte hier und da etwas auf, was sich als das gerade für uns fehlende Puzzle-Stück entpuppte und probierte sehr viel aus.
So war es Learning by Doing
Ich hätte mir gewünscht, dass öfter jemand mir neben mir sitzt und nochmal erklärt, wie ich am besten den kleinen Mund führe, zwei Kinder gleichzeitig halte, ohne dass jemand verunfallt. So war es Learning by Doing. Mittlerweile weiß ich, dass das beim Mamasein unvermeidbar ist. Nerven bewahren und vor allem an sich, den eigenen Körper und die Kinder glauben, ist sicher das Wichtigste. Ich war damals viel zu Kopflastig und verunsichert.
Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Wir starteten mit dem Getreide-Obst-Brei am Nachmittag, als die Zwillinge fünfeinhalb Monate (korrigiert vier Monate) alt waren. Ich hätte niemals geglaubt, bis dahin weitestgehend vollstillend zu kommen und mir immer nur kleine Etappenziele gesetzt. Je später der Tag, desto unzufriedener schienen mir die Babys mit dem Milchangebot. So erschien es mir logisch, dann mit der Beikost zu starten und den klassischen Weg zu verlassen.
Von mir fiel damals eine riesige Last, die Alleinversorgerin zu sein. Das hat einen Knoten gelöst. Ab dem Beikostbeginn lief das Stillen richtig rund. Ich habe übrigens nur nachts richtig nach Bedarf gestillt. Tagsüber gab ich den Rhythmus vor beziehungsweise das Kind, was zuerst Hunger hatte. Das zweite Kind musste mitziehen, hat sich aber nicht beschwert. So war der Alltag besser zu bewältigen. Zwei Kinder mal eben auf der Parkbank oder im Supermarkt zu stillen ist nicht so einfach, wenn man alleine ist.
Die Zwillinge waren begeisterte Esser
Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Die Zwillinge waren begeisterte Esser und verloren tagsüber nach und nach das Interesse am Stillen. Das war eine ganz schöne Umstellung für mich. Die ruhigen, besinnlichen Auszeiten haben mir plötzlich mehr gefehlt als den Kindern. Viele Wochen habe ich nur noch sporadisch nachts gestillt und mit dreizehn Monaten haben mein Mann und ich dann mal versucht, beim nächtlichen Erwachen Wasser und Kuscheleinheiten anzubieten anstatt Milch. Das wurde problemlos angenommen. Ich war überrascht, wie sehr mein Körper auf jede wegfallende Mahlzeit reagiert. Das Abstillen von Zwillingen bescherte mir noch diverse Milchstaus und lief nicht mal eben so nebenbei.
Was war oder ist das Schönste für dich am Stillen?
Ich fand toll, dass wir uns zu dritt so nah sein konnten. Nicht nur ich konnte mit den Kindern Zärtlichkeiten austauschen, sondern sie gegenseitig auch. Beim allerersten Mal Tandemstillen hat die Tochter – sicher unbewusst – nach der Hand des Sohnes gegriffen und minutenlang festgehalten. Das hat mich zu Tränen gerührt.
Sie sind sich immer noch sehr nah. Keine Ahnung, ob das damit etwas zu tun haben könnte. Ansonsten empfinde ich es einfach sehr, sehr praktisch und gesund. Ich hätte mir nach den ersten Wochen niemals erträumt, dass ich diese positive Stillerfahrung machen darf.
All der Stress ist es einfach wert
Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
Ich fand es schwer, den Kopf auszuschalten und der Natur zu vertrauen. Ich glaube, ich hätte einiges gelassener sehen können. Was habe ich mir Sorgen gemacht, dass mein Milchangebot nicht für zwei Kinder reicht! Die ersten Wochen sind, glaube ich, sehr hart gewesen. Aber sie sind verblasst. Ich bin froh, so viel aus dieser Zeit aufgeschrieben zu haben.
Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Ich stecke gerade wieder in einer neuen Stillzeit. Diesmal aber mit komplett anderen Voraussetzungen: Reif geborenes, normal entbundenes Riesenbaby plus meine Stillerfahrung mit den Großen. Es ist absolut nicht vergleichbar.
Ich habe nicht ein einziges Mal nachgewogen oder gepumpt. Zähle keine nassen Windeln und habe in den ersten Wochen nach Gefühl und nicht nach der Uhrzeit angelegt. Ich mache gerade alles anders, trotzdem würde ich es bei derart miesen Grundvoraussetzungen (Frühgeburt, Mehrlinge, Kaiserschnitt, fehlende Erfahrung) immer wieder genauso handhaben. All der Stress ist es einfach wert. Für die Seele und für die Gesundheit der Kinder.
Jede Familie ist einzigartig
Ich würde allerdings auf bessere Stillberatung und Unterstützung im Krankenhaus bestehen. Beim Zufüttern würde ich den Calma-Sauger von Anfang an benutzen und den Vier-Stunden-Trinkrhythmus ablehnen. Ich würde mehr Hilfe annehmen, um mehr Zeit mit den Kindern im Bett zu verbringen. Ich habe mich mit vielen Zwillingseltern über ihre Stillerfahrungen ausgetauscht. Sehr häufig scheitert es an allgemeiner Überlastung in den ersten Wochen und Leuten, die einem wirklich Mut machen.
Meine wichtigste Erkenntnis: Jede Familie ist einzigartig, jede Mutter hat ihre persönlichen Limits. Es ist wichtig, dass man diese beim Stillen nicht überschreitet, nur um irgendwem irgendetwas zu beweisen. Aber: Dranzubleiben, wenn es irgendwie geht, lohnt sich!
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