Auf der Suche nach dem „richtigen Weg“ für ihre Elternschaft fragen sich Eltern manchmal ob mit ihrem Baby vielleicht „etwas nicht stimmt“ und sie begegnen vielen Expert*innen, die scheinbar für jedes Problem eine Lösung parat haben. Sie wissen Bescheid, egal ob das Kind nicht den Erwartungen entsprechend schläft oder die Beikost ignoriert. Diese Expert*innen zeichnen sich nicht unbedingt durch Fachkenntnis aus, sondern es kann auch die Oma sein, die ja schließlich auch schon ein oder mehrere Kinder groß gezogen hat.
So hagelt es oftmals gute Tipps von allen Seiten, wenn wir als Eltern durch das Verhalten unseres Kindes an Grenzen kommen. Manche Empfehlungen sind hilfreich, andere lassen uns als Eltern ratlos zurück. Weil sie einfach nicht „funktionieren“. Nicht selten stellt man sich als Elternteil dann die Frage, „Mache ich etwas mit dem Baby falsch?“ oder „stimmt mit meinem Baby etwas nicht?“.
Bei der Beratung zu Elternthemen wird allzu oft vergessen, dass wir es mit kleinen Menschen und einer hohen Bandbreite von Individualität zu tun haben. Und weniger mit der Frage „ob mit dem Baby etwas nicht stimmt“. Viele Ratschläge an Eltern gehen davon aus, dass es „das Kind” geben würde – das ist nicht nur falsch, sondern kann Eltern auch grundlegend verunsichern. Weil sie eben merken, dass bestimmte Tipps bei ihrem Kind nicht funktionieren.
Dies wiederum kann zu negativen Verhaltenskreisläufen führen. Kinder sind keine Modelliermasse, die wir beliebig formen könnten. Jedes Kind kommt vielmehr schon mit einer eigenen Persönlichkeit zu uns, die Eltern erkennen und angemessen begleiten sollten.
Temperament und Persönlichkeit
Schon vorgeburtliche Einflüsse können sich beispielsweise auf das Stressverarbeitungssystem auswirken. Aber auch genetische Anlagen bestimmen, wie sich das Kind verhält. Das Forscherpaar Alexander Thomas und Stella Chess haben neun Temperamentsdimensionen identifiziert, in denen sich Menschen unterschiedlich bewegen:
- das Aktivitätsniveau
- ihr Bedürfnis nach Rhythmus
- Ablenkbarkeit
- die Erstreaktion bei Neuem
- die Anpassungsfähigkeit
- die Ausdauer/Aufmerksamkeit
- die Reaktionsintensität
- die Reaktionsschwelle
- und die allgemeine Stimmungsqualität
In Zusammenwirken mit der Umwelt entwickeln sich diese Temperamentsdimensionen zu Persönlichkeitseigenschaften. Dabei ist es besonders wichtig, dass Kinder, die in einer oder mehreren Dimensionen in einem Extrembereich fallen, Hilfe bekommen.
Dies wäre etwa ein Kind mit hoher Reaktionsintensität, das durch die Bezugspersonen erfährt, wie es gut damit umgehen kann. Über den Weg der die Regulation durch die Bezugspersonen wird es nach und nach lernen, wie es sich auch selbst beruhigen kann. Kinder sind darauf angewiesen, von den Erwachsenen in ihrer Individualität erkannt und passend begleitet zu werden.
Neue Erfahrungen mit jedem Kind
Gerade die Bereiche Reaktionsintensität und Reaktionsschwelle fallen vielen Eltern bei Babys ins Auge. Was das eine Baby überreizt, ist für ein anderes noch in Ordnung. Ein Baby braucht lange Zeit, um sich wieder zu beruhigen. Einem anderen reicht vielleicht ein kurzes Kuscheln. Standardempfehlungen dazu, wie oft und oder wie lange Kinder getröstet werden sollten, sind daher unpassend. Jede Familie muss für jedes einzelne Kind herausfinden, wer dieses Kind ist und was es an Zuwendung, Unterstützung und Stärkung braucht.
Eltern von mehreren Kindern machen meist ganz automatisch die Erfahrung, dass jedes Kind individuell in seinen Bedürfnissen ist. Die Beruhigungsstrategie, die beim ersten Kind so gut funktioniert hat, bewirkt bei einem weiteren Kind vielleicht wenig oder sogar das Gegenteil. Wer sich auf intensive Tragetage mit dem zweiten Kind freut, macht vielleicht die Erfahrung, dass dieses Kind das Tragen nur phasenweise mag.
Beikosterfahrungen werden in einem unterschiedlichen Tempo gemacht. Auch in Sachen Schlaf bringt jedes Kind einen ganz eigenen Schlafbedarf und entsprechende Bedürfnisse bei der Einschlaf– und Aufwachbegleitung mit. Und irgendwie ist das ja auch ganz logisch, wenn wir mal als Erwachsene darauf blicken, wie unterschiedlich unser Bedarf an Schlaf, Nahrung oder sozialer Interaktion aussieht.
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