Dies ist der zehnte Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Anja aus ihre Stillgeschichte erzählt.
Sie berichtet ehrlich von den Herausforderungen, die der Stillalltag mit sich bringt, wenn das Baby ausschließlich die Brust zum Nähren, Trösten und Einschlafen akzeptiert. Die 36-Jährige und ihr Mann sind Eltern eines elf Monate alten Sohnes. Auch ihre Gedanken und Sorgen zum Thema Abstillen erzählt sie an dieser Stelle.
Im Hormonrausch der Schwangerschaft
Von Beginn der Schwangerschaft an war für uns klar, dass ich stillen möchte, sofern dies möglich sein würde. Ich kannte vage Geschichten von Bekannten über wunde Brustwarzen oder zu wenig Milch. Als Nicht-Mama damals machte ich mir jedoch keinerlei weitere Gedanken darüber, sondern wollte es einfach auf mich zukommen lassen.
Ehrlicherweise muss ich vorweg noch zugeben, dass ich stillende Frauen in der Öffentlichkeit immer etwas befremdlich fand. Die Gründe kann ich nicht konkret benennen. Wahrscheinlich konnte ich einfach nichts damit anfangen, weil ich die Situation nicht kannte. Inbrünstig versicherte ich mir und anderen im Hormonrausch der Schwangerschaft, dass ich SO ETWAS wie so viele andere Dinge selbst nicht tun würde. Nunja, mein Kind sollte mich eines Besseren belehren.
Im Geburtsvorbereitungskurs wurde stark auf das Thema Stillen eingegangen. Unsere kleine Gruppe war sich einig, dass wir alle stillen wollen. Während sich andere jedoch auch schon Gedanken um die Stillhütchen, Sterilisieren von Fläschchen und Milchpumpen machten, ging ich völlig bedarfslos auf den Geburtstermin zu.
Zufrieden und glücklich
Vielleicht half mir die Unbeschwertheit diesbezüglich, dass ich wirklich entspannt direkt nach der (übrigens völlig komplikationslosen und schnellen) Spontangeburt mein Baby beim Bonding die Brustwarze suchen ließ. Und der Kleine auch direkt losgenuckelt hat. Im Verlauf des ersten Tages machte ich mir natürlich Gedanken, ob wirklich Milch kommt. Im Gegensatz zu manch anderen Frauen hatte ich vor dem Entbindungstermin keinerlei Milchfluss feststellen können. Die Schwester im Krankenhaus schaute nur selten vorbei und versicherte mir auf Nachfrage, dass der Kleine schon genug bekommen würde durch die Kolostrummilch. Er wirkte auch zufrieden und ich legte ihn regelmäßig an.
Nach der Entlassung kam am vierten Tag dann der Milcheinschuss. Ich konnte nicht fassen, welches Volumen meine Brüste annahmen. Und nachdem ich endlich wieder auf dem Bauch schlafen konnte, war es damit nun auch wieder vorbei. Der Kleine verschluckte sich häufig, weil der Milchspendereflex wohl sehr stark war. Meine Hebamme war sehr zufrieden mit der Gewichtszunahme.
Ich selbst hatte keinerlei Probleme mit schmerzenden Brustwarzen und wir fühlten uns mit sämtlichen Stillpositionen wohl. Ich stillte nach Bedarf, lediglich nachts pendelte sich ein Rhythmus von knapp zwei Stunden ein. Wir waren zufrieden und ich war glücklich, dass wir das so problemlos zusammen hinbekamen.
Körperlich und psychisch an meine Grenzen
Bald fingen dann leider die Drei-Monats-Koliken an. Lennard weinte und pupste sehr viel – und ab 16 Uhr bis nachts um eins war Clusterfeeding angesagt. Ich konnte ihn nur beruhigen durch Anlegen. Mein Kind begleitete mich an der Brust sogar auf die Toilette. Hier begann ich erst körperlich und dann psychisch an meine Grenzen zu stoßen. Mein Körper tat weh, vom Nacken bis in die Fingerspitzen und zu den Beinen. Ständig musste ich meine Liege- und Sitzpositionen zum Stillen wechseln. Ich entwickelte eine unsagbare innere Unruhe und Genervtheit von der Situation.
Hier kam dann auch der Punkt, an dem wir den Schnuller einsetzen wollten. Davor hatten wir keinen Bedarf. Und leider hatte nun Lennard keinen Bedarf mehr. Er hasste es. Sämtliche Schnuller aller namhaften Firmen durchliefen einen Contest. Und keiner konnte meinem Sohn die geliebte Brust von Mama ersetzen. Um mich trotzdem zu entlasten, kauften wir eine elektrische Milchpumpe. Die Idee war, dass Papa/Oma/Opa die regulären Mahlzeiten damit füttern könnten, während ich mich erholen würde. Ein Lichtblick für mich.
Der Moment der Ernüchterung kam, als wir bemerkten, dass er auch keine Flasche akzeptieren würde. Es war grausam. Auch hier versuchten wir alle Tipps und Tricks. Nichts half. Ich stillte also mehr oder weniger tapfer weiter, mit vielen Tränen und Beteuerungen an mein Kind, dass wir das schaffen würden und ich ihm mit der Muttermilch ja schließlich das Beste tun würde. In seltenen Fällen überkam mich die Wut und ich drückte meinem Mann das weinende Baby in den Arm und verließ das Zimmer, um fünf Minuten allein sein zu können.
Falsche Erwartungen zum Thema Beikost
Mein Mann versuchte mich zu unterstützen wo er ging. Aber das ständige Stillen konnte er mir nunmal nicht abnehmen. Insgeheim fragte ich mich immer öfter, ob ich ihm damit jetzt schon eine „schlechte Angewohnheit“ beigebracht hatte. Von meiner Hebamme wurde ich beruhigt, dass man Kinder in diesem Alter nicht verwöhnen könne und es völlig in Ordnung sei, seine Bedürfnisse zu befriedigen.
So kam es, wie ich es nie gedacht hätte und wie ich nie sein wollte: Ich hatte (wenn überhaupt), nur noch hässliche und nicht sehr schön formende Still-BHs an und stillte gefühlt ständig und überall. Beim 70. Geburtstag meines Vaters im Restaurant, im Baumarkt auf einer zu verkaufenden Gartenbank sowieso im Auto und überhaupt an jedem Ort, den wir besuchten. Ich fühlte mich nur noch als unattraktive Milchbar. Die Kilos, die ich durchs Stillen zu Anfang so schnell weg hatte, waren noch schneller wieder drauf durch Frustessen.
Nach vier Monaten waren die Koliken überstanden. Tagsüber stillte ich nun etwa alle zwei Stunden, nachts alle fünf bis sechs Stunden. Meine ganze Hoffnung, tagsüber ebenfalls eine Verlängerung der Zeiten herbeizuführen, lag in der Beikosteinführung. Ich wollte wieder ab und an etwas für mich unternehmen und für mich tun. Und auch hier wurden meine (zugegebenermaßen falschen) Erwartungen schwer enttäuscht. Er aß nur minimal und wollte sofort die Brust. Es gab viele Tränen, seinerseits und meinerseits.
Andere Mamas mit ähnlichen Erfahrungen
Ich hatte mich von der Gläschenwerbung blenden lassen, die verspricht, dass nach und nach Mahlzeiten ersetzt werden. Hier bei uns wurde lange nichts ersetzt. Heute kann ich akzeptieren, dass es BEIkost heißt und meine Milch einfach noch Hauptnahrung ist. Obwohl sich die Verhältnisse tatsächlich mittlerweile drehen und er sehr gut seine Breimahlzeiten isst und auch Fingerfood vom Tisch probiert.
Das größte „Problem“ haben wir seit dem achten Monat eigentlich nachts und mit dem Einschlafen. Er schläft plötzlich nur noch maximal drei Stunden am Stück und lässt sich nur mit der Brust beruhigen. Einschlafen geht sowohl tagsüber als auch nachts nur an der Brust. Es gibt Tage, an denen genieße ich das verlässliche Einschlafstillen, den Geruch meines leicht verschwitzen Babys in meinen Armen. Genauso oft aber wünschte ich, mein Mann könnte ihn ab und zu wieder in den Schlaf wiegen.
Für mich ist es hilfreich zu hören, dass fast alle anderen Mamas aus unserem Geburtsvorbereitungskurs ähnliche Erfahrungen machen und noch keine Mutter es „geschafft“ hat, abzustillen und das Einschlafstillen zu ersetzen. Vielleicht kommt es so (wie oft behauptet wird), dass es sich von allein ergibt, weil es das Kind entscheidet. Vielleicht aber muss mein Leidensdruck einfach größer werden, damit ich aufhören kann. Ich weiß es nicht.
Ein Stück mehr „Freiheit“
Bestätigung und Halt gibt mir bis heute die Tatsache, dass mein Kind so aufgeschlossen, fröhlich und nicht zuletzt gesund ist. Ich hoffe und wünsche mir, dass dies (auch) unserer (teils zwangsläufig) innigen Stillbeziehung zuzuschreiben ist. Ich war und bin nach wie vor überzeugt, dass Muttermilch das Beste ist, was wir unseren Kindern geben können.
Aktuelles Fazit ist: Bei einem weiteren Kind würde ich wieder stillen, dem Kind zuliebe. Ich würde jedoch sofort auch mit der Gabe von Muttermilch aus dem Fläschchen und einem Schnuller beginnen um, egoistisch gesagt, ein Stück mehr „Freiheit“ zu haben. Ich verstehe heute jede Mutter, die die Möglichkeit hat und wahrnimmt „abzustillen“. Ich verurteile es nicht. Stillen ist ganz oft unheimlich praktisch. Und ganz oft bringt es einen an seine persönlichen Grenzen. Man geht eine Verbindung ein, die man im Voraus nicht mal erahnen kann und deren Rolle man jeden Tag aufs Neue gerecht werden muss.
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