Dies ist der 32. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier, in dem Pia ihre Stillgeschichte erzählt. Die Lehrerin ist Mutter eines Kindes und verwitwet. Ihr bereits vor der Schwangerschaft schwer erkrankter Mann starb wenige Wochen nach der Geburt. Pia erzählt von ihrem Stillweg in dieser schweren Zeit.
Sie kam fünf Wochen zu früh
Obwohl oder weil mein Mann schon schwer krank war, haben wir uns bewusst für ein Kind entschieden. Anscheinend sollte es so sein, denn schon die erste ICSI war erfolgreich.
Meine Schwangerschaft war beschwerdefrei. Mir ging es immer sehr gut, ich nahm mir teilweise bewusst Zeit für dieses kleine Baby in mir und konnte so den Alltag mit einem pflegebedürftigen Mann schaffen. Sein Zustand verschlechterte sich nämlich rapide während der Schwangerschaft.
Noch bevor ich mich wirklich mit der anstehenden Geburt beschäftigen konnte, machte sich unser Baby auf den Weg. Sie kam fünf Wochen zu früh, hatte aber mit fast 3000 Gramm ein gutes Gewicht und startete gut in ihr Leben. Mein Mann war bei der Geburt dabei, neben dem kleinen Wesen in meinem Arm das größte Geschenk.
Ich stillte also alle vier Stunden
Über das Stillen machte ich mir vorher keine großen Gedanken bzw. kam ich gar nicht dazu. Mir war klar, dass ich ungefähr sechs Monate stillen möchte und ich ging einfach davon aus, dass dies ein Selbstläufer wird. Wie kompliziert es tatsächlich ist, ahnte ich nicht.
Noch im Kreißsaal legte ich meine Tochter an. Sie saugte direkt los. Da sie ein Frühchen war, kam sie auf die Intensivstation, während ich auf die Wöchnerinnenstation kam. Das Krankenhaus ist ein sehr stillfreundliches Krankenhaus. Da ich stillen wollte, erhielt ich direkt jegliche Unterstützung, um dieses Vorhaben zu erreichen.
Auf der Intensivstation ist es üblich, dass die Kinder alle vier Stunden Nahrung bekommen. Ich stillte also alle vier Stunden, pumpte dann ab und fütterte noch etwas aus der Flasche zu. Das Thema „Saugverwirrung“ hatte ich noch nie gehört, entsprechend machte ich mir darüber keine Gedanken. Abpumpen und zufüttern war allerdings notwendig, da meiner Tochter die Kraft zum Stillen fehlte und sie so schon nur sehr zaghaft zunahm. Wenn ich nicht genug Milch abgepumpt hatte, bekam sie auch Pre-Nahrung. Dies war allerdings nur nachts der Fall. Da mein Mann aufgrund einer schweren Erkältung, die ihm sämtliche Kräfte raubte, kaum zu uns ins Krankenhaus konnte, waren meine Tochter und ich sehr viel zu zweit.
Ich stillte meine Tochter und pflegte meinen Mann
Damit sie es noch etwas leichter hat, verwendete ich zudem Stillhütchen. Am dritten Tag kam eine Stillberaterin zu mir. Sie bestärkte mich nochmal und sagte mir, dass alles richtig ist. Nach fünf Tagen entwickelte meine Tochter eine Neugeborenen-Gelbsucht. Ihr fehlte die Kraft zum Stillen. Ich legte sie zwar an, aber sie trank kaum und ich pumpte mehr ab. Wieder kam eine Stillberaterin, die mich beruhigte und erklärte, dass meine Tochter einfach nur schwach ist und nach der UV-Therapie wieder mehr stillen wird. Sie sollte Recht behalten.
Schon nach einer Woche durfte meine Tochter nach Hause. Unsere Stillsituation war so, dass wir alle vier Stunden mit Stillhütchen stillten, abpumpten und zufütterten. Das funktionierte an sich sehr gut, aber meine Hebamme bestärkte mich darin, nach Bedarf zu stillen. Dies entsprach mir sehr, denn der starre Vier-Stunden-Rhythmus stresste mich fast schon. Nach und nach pumpte ich immer weniger ab und nach vier Wochen stillte ich voll ohne Pumpe. Nach weiteren zwei Wochen benötigte ich auch keine Stillhütchen mehr. Wenn wir stillten, stillten wir immer sehr lange. Eine Mahlzeit konnte bis zu 60 Minuten dauern. Sie trank einfach sehr langsam.
Meinem Mann ging es zunehmend schlechter. Ich war also im Wochenbett, kämpfte um meine Stillbeziehung zu meiner Tochter, pflegte meinen Mann und habe es irgendwie doch alles geschafft. Aberwitzig war die Situation, als ich links meine Tochter stillte und mit rechts meinen Mann fütterte – und dazwischen auch noch selbst aß.
Ich kämpfte mit der Trauer
Meine Tochter war neun Wochen alt, als die Situation zuhause nicht mehr tragbar war und mein Mann zum Sterben auf die Palliativstation eines naheliegenden Krankenhauses kam (es ist nicht mein Entbindungskrankenhaus). Wir begleiteten ihn. Ich stillte und nahm Abschied. Eine Woche lang. Im Moment des Todes hatte meine Tochter Hunger. Sie weinte furchtbar, aber ich konnte in diesem Moment einfach nicht stillen. In dieser psychischen Ausnahmesituation war einfach keine Milch da. Vorsorglich hatte ich Pre-Nahrung mit ins Krankenhaus gebracht, sie bekam eine Flasche.
In den folgenden Wochen kämpfte ich mit der Trauer, mit meinem neuen Leben, der Leere und um das Stillen. Es gab Situationen (zum Beispiel vor der Trauerfeier), da konnte ich einfach nicht stillen bzw. hatte ich das Gefühl, dass ich nicht genug Milch produzieren würde. In diesen Situationen fütterte ich mit Pre-Nahrung zu. Ich würde sagen, sie bekam ungefähr eine Flasche täglich. Nach und nach pendelte sich alles ein, auch das Stillen, sodass ich nach ungefähr fünf Wochen wieder voll stillte. Ich habe mich eigentlich nie bewusst dazu entschieden, alles für das Stillen zu tun, irgendwie war das für mich selbstverständlich. Und es klappte ja gut.
Mit 6,5 Monaten begannen wir mit der Beikost. Sie aß okay, aber immer nur kleine Portionen Brei. Ich stillte immer im Anschluss an die Brei-Mahlzeit. Mit zunehmender Anzahl an Brei-Mahlzeiten wurde das Stillen weniger. Mit zwölf Monaten aß sie mehr und mehr bei mir mit und auch der Kita-Start veränderte ihr Essverhalten. Wir stillten morgens, nach der Kita, abends zum Einschlafen und nachts. Als nächstes fiel das morgendliche Stillen weg, dann mit 19 Monaten das nächtliche Stillen. Ich stillte sie aber noch nach der Kita, als Pause für sie, und abends zum Einschlafen. Mit 20 Monaten ließ ich das mittägliche Stillen weg.
Mein Stillweg, unser Stillweg
Schon länger bekam sie abends eine Vollmilch aus der Flasche, sodass ich dann nur zwei bis drei Minuten stillte, um sie in den Schlaf zu begleiten. Mit 22 Monaten trank sie eines Abends wieder ihre Milch, gab mir die leere Flasche und drehte sich weg. Das war das Ende unserer Stillbeziehung, welches ich mir schöner nicht hätte vorstellen können. Ich war schon länger bereit für das Abstillen und sie war es anscheinend auch.
Unsere Stillbeziehung war lang, viel länger als erwartet, aber immer von beiden gewollt. Sie war holprig und nicht immer einfach am Anfang, aber wir haben alle Hürden genommen und ich bin sehr glücklich darüber. Belastend empfand ich das Stillen nie, nur das Pumpen zu Beginn nervte mich und ich war froh, als ich die Pumpe wieder abgeben konnte. Dadurch, dass meine Tochter auch ohne weiteres die Flasche nahm und auch Pre-Nahrung und zu meckern trank, hatte ich nie den Druck, dass es auf mich ankommt, wenn ich in psychisch schwierigen Momenten nicht stillen konnte.
Mein Stillweg, unser Stillweg, passt genauso wie er war zu uns. Er lehrte mich, großes Vertrauen in mich zu haben. Wenn ich noch einmal ein zweites Kind bekommen darf, dann würde ich vor dem Stillen keine Angst haben, denn ich weiß, dass ich es kann und ich weiß, dass der Weg von meinem Kind und mir der richtige sein wird.
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