Von Carearbeit oder Sorgearbeit zu sprechen, ist für viele Eltern erst einmal eine merkwürdige Vorstellung: “Mein Kind ist doch keine Arbeit!”… “Ich liebe mein Kind doch!” Dabei wollen diese Begriffe keineswegs etwas von dem emotionalen Anteil der Eltern-Kind-Beziehung wegnehmen. Sich um andere kümmern ist auch Arbeit.
Sie wollen vielmehr den Blick dafür schärfen, dass das Umsorgen eben viele Ressourcen bindet. Und das dementsprechend emotional und finanziell wertgeschätzt und innerhalb von Familien darauf geachtet werden sollte, dass Lasten gerecht verteilt sind. Jene Person, die mit Kind zu Hause ist, macht sich weder “einfach eine schöne Zeit” noch tut sie “nichts Richtiges”.
Sich um einen anderen Menschen zu kümmern erfordert, mit diesem Menschen in Beziehung zu gehen. Gerade in der Eltern-Kind-Beziehung ist das bedeutsam für den Aufbau der Beziehung. Das Kind sendet ein Signal aus, die Bezugsperson nimmt es wahr und reagiert passend darauf. Das Kind ist zufrieden und bildet ein Vertrauen in die Bezugsperson aus. Der Erwachsene ist aus dieser Zufriedenheit des Kindes bestärkt in seinem Tun und erlebt sich als kompetent.
Durch diese positive Erfahrung geht das Elternteil sicherer auf die nächste Situation zu. Dieser Kreislauf führt bei allen Beteiligten zu Hormonausschüttungen, die das entstehen lässt, was wir Bindung nennen. Das Umsorgen eines Babys oder Kindes in diesem Sinne erfordert viel Engagement, das uns auf verschiedenen Ebenen beansprucht. Wir haben körperliche Lasten zu tragen durch das Tragen, Wiegen, Hochheben und die vielen Handgriffe unseres Alltags.
Mental Load, Emotional Load, körperliche Beanspruchung
Wir haben eine emotionale Last zu tragen durch die Co-Regulation der Gefühle des Kindes, die es noch nicht selbst regulieren kann. Gerade starke Gefühle von Kindern können auch bei Eltern starke Gefühle hervorrufen, mit denen Eltern zusätzlich zur Co-Regulation des Kindes umgehen müssen. Manchmal ist das sogar so anstrengend, dass eine Beratung oder Therapie nötig wird, um mit den eigenen Emotionen besser umgehen zu können.
Und Eltern haben mentale Last zu tragen in Form all der vielen Dinge, an die es im Familienalltag zu denken gilt. Wann steht die nächste U-Untersuchung und Impfung an? Wo kaufe ich eine Matschhose? Kaufen wir normale Schuhe oder Barfußschuhe. Wo ist der Unterschied und welche gibt es wo preiswert? Überhaupt ist das Elternsein vor allem eines: eine Lernaufgabe über viele Jahre, bei der das Wissen um Bedürfnisse und Entwicklung fortlaufend erweitert werden muss.
All diese Tätigkeiten mentaler, emotionaler und körperlicher Art binden unsere Kräfte. Das ist Sorgearbeit und bedeutet: Sich kümmern ist Arbeit. Auch wenn wir es gerne tun, wenn wir unsere Kinder lieben und gerne mit ihnen zusammen sind, steht diese Kraft und Zeit, die wir investieren, nicht anderen Dingen und Beschäftigungen zur Verfügung. Sie fließt zielgerichtet und aus sehr guten Gründen in eine Richtung.
Sorgearbeit = Bedingungslose Begleitung
Durchaus bekommen wir innerhalb des Kreislaufs einer Beziehung auch etwas zurück an Liebe und dem Gefühl der Selbstwirksamkeit. Aber das Begleiten von Kindern ist keine Kosten-Nutzen-Rechnung. Wir können und sollten unseren Kindern nicht auferlegen, dass sie uns die Fürsorge, die wir ihnen haben angedeihen lassen, auch gleichermaßen zurückbekommen.
Selbst wenn wir das Familienleben dementsprechend nicht in “heutige Kosten – späteren Nutzen” aufteilen und selbst keinen späteren Kostenausgleich erwarten, dient das bestmögliche Begleiten von Kindern und damit die Sorgearbeeit dennoch nachhaltig einer Gesellschaft.
Diese Kinder werden später ihre Energie zum Wohl der Gemeinschaft einbringen durch ihr (soziales) Handeln. In diesem Sinne sind all die Energie und Zeit, die wir jetzt aufbringen und nicht in etwas anderes investieren können, mit Anstrengung verbunden. Leider fehlt die finanzielle Entlohnung. Oft wird zudem nicht emotional honoriert, was uns eventuell später nicht mal selbst nutzt. Dennoch ist es gesellschaftlich höchst relevant: Sich kümmern ist Arbeit. Es macht überhaupt erst möglich, dass andere Bevölkerungsteile einer Erwerbsarbeit nachkommen können, während wir uns um den gesellschaftlich so bedeutsamen Nachwuchs kümmern.
Trotz der enormen Bedeutung des Umsorgens sind Sorgende benachteiligt
Gerade Mütter, die statistisch betrachtet die Hauptlast der persönlich und gesellschaftlich bedeutsamen Sorge-Arbeit tragen, sind weiterhin systematisch benachteiligt. Der Equal-Care-Gap ist beteiligt am Equal-Pay-Gap, der zum Renten-Gap führt. Selbst einen Sleep-Gap mit seinen Folgen für Erwerbsarbeit und damit auch Altersabsicherung erleben wir dort, wo Sorgearbeit nachts ungleich verteilt ist.
Wird die Sorgearbeit nicht als Arbeit betrachtet, summieren sich Lasten an: “Du hast ja nichts zu tun, da kannst du doch noch…” Gerade Sorgende, die auch noch erwerbstätig sind, sind daher schnell überlastet. Aber gerade auch Alleinerziehende leiden. Die Anzahl erschöpfter bis kurbedürftiger Mütter steigt. Für diese Ungerechtigkeit brauchen wir dringend politische Lösungen.
Gleichzeitig können wir aber auch in unseren nahen Beziehungen damit beginnen, die ungerechte Lastenverteilung aufzuheben. Dafür ist es wichtig, sich selbst den Gedanken zu erlauben, dass das Umsorgen eben auch Arbeit ist. Und das Arbeitslast innerhalb des Familiensystems gerecht verteilt werden sollte.
Ein Anfang zur Entlastung: Mentale Lasten besser verteilen
Ein guter Ansatzpunkt für eine gerechtere Verteilung ist die Aufteilung des Mental Load innerhalb einer Familie: Die vielen Aufgaben des Familienlebens sollten auf mehreren Schultern lasten, um die einzelnen Personen vor Überlastung zu bewahren. Dies kann damit beginnen, dass wir miteinander ins Gespräch gehen: Welche Aufgaben der Carearbeit gibt es in unserer Familie? Welche Aufgaben sind planbar und fallen regelmäßig an, welche Aufgaben entstehen eher spontan?
Welche einzelnen Schritte sind notwendig, um eine Aufgabe zu erfüllen? Betrachten wir beispielsweise die Weihnachtsfeier als nur eine Aufgabe, geht dabei verloren, dass das Familienfest bedeutet, dass Essen geplant, eingekauft, gekocht und aufgetischt werden muss. Geschenkideen müssen gesammelt werden, Geschenke gekauft und verpackt werden. Ein einzelnes Ereignis besteht, wenn wir genau hinsehen, aus vielen Aufgaben.
Es ist in Ordnung, das Umsorgen nicht wie Erwerbsarbeit zu betrachten und sich nicht emotional davon distanzieren zu wollen. Gleichzeitig können wir aber auch erwarten, dass die Aufgaben, die es mit sich bringt, gesehen und als Arbeit anerkannt werden. Eben damit es uns langfristig gut geht und wir an ungesehener (unter anderem mentaler) Sorge-Arbeit nicht ausbrennen. Denn: Sich kümmern ist Arbeit.
Weitere Artikel von Susanne Mierau findet ihr auf Ihrem Blog „Geborgen Wachsen“.
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