Kaum ein Thema ist für Eltern so herausfordernd und über viele Jahre präsent, wie das Schlafverhalten des eigenen Kindes. Schließlich sind damit nicht nur Sorgen und Ängste um die kindliche Entwicklung, Gesundheit und das Wohlergehen verbunden. Der Kinderschlaf steht auch in Verbindung mit den eigenen Möglichkeiten zur Regeneration.
Wenn es Eltern gelingt, von Anfang an die Weichen für einen guten Familienschlaf zu stellen, ist dies eine Ressource, die durch die gesamten Elternschaftsjahre leiten kann. Denn der Schlaf von Babys, Kindern und selbst Jugendlichen ist anders als der von Erwachsenen. Darum birgt dieses Thema immer wieder Konfliktpotential, wenn wir es nicht ganzheitlich angehen und betrachten.
Übrigens: Hier könnt Ihr in das Schlafbuch für die ganze Familie von unserer Autorin Susanne Mierau, das im März 2024 erscheint, reinhören:
Viele Jahre lang wurde der Schlaf von Babys, Kindern und Jugendlichen defizitorientiert betrachtet: Es wurde davon ausgegangen, dass der Schlaf von Erwachsenen die gesunde Norm sei. Kinder sollen sich schnellstmöglich daran anpassen – notfalls mit Druck. Glücklicherweise wissen wir heute aus der Schlafforschung, dass es aus Sicht der kindlichen Entwicklung durchaus sinnvoll ist, dass Babys, Kinder und Jugendliche anders schlafen als Erwachsene.
Babys, Kinder und Jugendliche schlafen anders
Betrachten wir beispielsweise den Schlaf von Neugeborenen, stellen wir fest, dass sich die meisten Neugeborenen quasi “ins Leben schlafen”. Sie schlafen durchschnittlich etwa 16 Stunden am Tag mit vier bis fünf Schlafphasen. Dieser Schlaf ist aus Sicht des Babys genau richtig: Die Welt, in die es hineingeboren wurde, ist grundlegend anders als alles, was es vorher im Uterus erlebt hat. Jede Sekunde erfährt das Baby neue Reize über Geruch, Tastempfinden, Gehör, Sehen.
Durch die vielen kleinen Schlafeinheiten hat das Baby die Möglichkeit, die Masse an neuen Informationen zu verarbeiten und das Gehirn im Schlaf an die neue Lebensumgebung anzupassen. Für Lernprozesse, Gedächtnisbildung und das emotionale Gleichgewicht eines Menschen ist besonders die Phase des REM-Schlafs wichtig.
Am Anfang des Lebens findet diese wichtige Schlafphase gleich am Anfang eines Schlafzyklus statt. Bei Erwachsenen liegt der REM-Schlaf am Ende eines Schlafzyklus. In diesem aktiven Schlafstadium sind Menschen aber auch leicht weckbar – wenn wir versuchen, das Baby abzulegen, sobald es die Augen geschlossen hat, wird es wahrscheinlich wieder aufwachen.
Sicherheit geht immer vor
Dass Babys sich nicht einfach ablegen lassen und selbst größere Kinder unsere Nähe beim Schlaf suchen, ist ebenfalls eine sinnvolle Strategie, die nichts anderes als das Überleben dieser kleinen Menschen sichern soll. Das Baby ist – auch wenn es schon über einige Kompetenzen verfügt – dennoch recht schutzlos.
Es benötigt Nahrung nach Bedarf durch eine Person, die sich darum kümmert. Das Neugeborene kann gerade am Anfang des Lebens die Körpertemperatur noch nicht selbst ausreichend stabilisieren. Es muss von Ausscheidungen befreit werden, da es sich daraus noch nicht selbst wegbewegen kann. Das Baby ist also auf das Umsorgen angewiesen – gerade auch nachts.
In der Nähe einer erwachsenen Bezugsperson zu sein, gewährleistet die Versorgung, auf die das Baby angewiesen ist. Zudem ist es sinnvoll, wenn die Bezugsperson recht nah ist, damit sie schon auf Feinsignale des Babys eingehen kann. Wenn das Baby erst einmal lange schreien musste, um auf seinen Hunger aufmerksam zu machen, lässt es sich schwerer anlegen/füttern. Und es braucht länger, um beruhigt zu werden, als wenn es zeitnah versorgt wird. So kann es auch schneller wieder einschlafen und den wichtigen Schlaf konsumieren.
Schlafvereinbarkeit ist das Stichwort
Selbst jenseits der Babyzeit bedeutet Nähe zu den Bezugspersonen Schutz, beispielsweise wenn in der Kleinkind- und Vorschulzeit Alpträume drücken oder das Kind aufgrund der magischen Phase daran glaubt, dass Monster oder wilde Tiere nachts bedrohlich sein könnten.
Wir sehen also: Die wichtigste Zutat für einen guten Familienschlaf ist zunächst die Annahme, dass der Schlaf von Babys und Kindern in seiner Abweichung vom Erwachsenenschlaf durchaus seine Berechtigung hat. Deswegen lautet die Frage nach einem gesunden Familienschlaf nicht: “Wie bekomme ich das Baby oder Kind dazu, so zu schlafen, wie ich schlafe?”, sondern: “Wie können wir unsere unterschiedlichen Bedürfnisse in Balance bringen?”
Und hier liegt der eigentliche Knackpunkt unserer elterlichen Schlafprobleme, da unsere Gesellschaft schlechte Rahmenbedingungen für die Herstellung dieser Balance bietet. Wenn das Baby schläft, ruhen wir uns oft nicht selbst aus. Wir erledigen den Haushalt, überweisen Rechnungen, erledigen endlich mal wichtige Telefonate. Gerade das gesellschaftliche Ideal, dass eine gute Familie einen aufgeräumten und blitzblanken Haushalt haben muss, ist ein großer Störfaktor für Ruhe. Das gilt insbesondere für viele Mütter, auf denen das Ideal der ordentlichen Hausfrau und Mutter besonders lastet.
Alltag ohne stützende Gemeinschaft
Da wir so wenig Zeit in unserem Alltag für uns selbst und unsere Bedürfnisse haben, weigern wir uns, abends früh schlafen zu gehen. Wir wollen noch Partnerschaftszeit auf dem Sofa haben oder endlich mal ein Buch lesen, statt schlafen zu gehen. Überhaupt ist das Fehlen anderer erwachsener Bezugspersonen ein großes Problem. Wir leben als Menschen eigentlich in Gemeinschaft. Wir brauchen andere Menschen, die uns unterstützen und das Baby mal abnehmen. Oder um uns mit anderen auszutauschen und unser Bedürfnis nach sozialer Interaktion zu nähren.
Unser überfüllter und mit Aufgaben aufgeladener Alltag ohne stützende Gemeinschaft, der uns keine Zeit zum Ruhen oder gar Schlafen lässt, ist eines der größten Probleme. Mit dieser Aufgabenlast einher geht der große Mental Load von Familien. Man liegt abends im Bett und erinnert sich, dass man ja noch dieses hätte erledigen sollen und dringend noch an jenes denken muss morgen. Und Grübeleien lassen uns noch schwerer einschlafen.
Was uns aus diesem Problem herausführen kann, ist der Aufbau eines guten, stützenden Netzwerkes, damit Eltern, die aufgrund der Begleitung eines Babys weniger oder anders schlafen, möglichst viele zusätzliche Aufgaben abgenommen bekommen. Auch innerhalb der Partnerschaft müssen gute Absprachen getroffen werden, um Aufgaben gerecht zu verteilen. Dem abendlichen Aufgabendurchgehen im Bett kann etwas Abhilfe geschaffen werden, wenn Aufgaben tagsüber in einem Kalender oder auf einer To-Do-List vermerkt werden.
Aufgaben müssen raus aus dem Kopf aufs Papier. Sie müssen gerecht auf mehrere Schultern verteilt werden. Vor allem ist wichtig, dass wir uns selbst erlauben, uns auszuruhen, wann immer es geht. Wenn uns dies gelingt, können wir unseren Kindern nämlich auch mitgeben, wie wichtig und schön das Ausruhen ist. Und damit beginnen, die transgenerationale Weitergabe negativer Selbstfürsorgeeinstellungen zu durchbrechen.
Schreibe einen Kommentar