Reduktion von Komplexität. Es ist einer meiner Lieblingssätze aus dem Studium, der sich auf sehr vieles im Leben lose anwenden lässt. Und gerade dann, wenn man ein oder mehrere Kinder bekommen hat, ist es ein Satz von großer Relevanz. Kinder sind etwas hochkomplexes. Sie wirbeln das Leben durcheinander mit ihrer herrlich unangepassten, freien Grundeinstellung, noch unverdorben von jenen zahllosen sozialen Regelsystemen, die ihnen eine Gesellschaft von Erwachsenen auferlegen will, weil sie sich diese selbst auferlegt haben oder es jemand für sie getan hat.
Diese Regelsysteme sagen uns Erwachsenen, wann wir arbeiten sollen, wann die Bahn fährt, die Tagesschau kommt, es in etwa Abendessen gibt und wir ins Bett zu gehen sollten. Ein Teil dieser Regelsysteme wird nach und nach aufgeweicht, weil genug Menschen die Sinnlosigkeit dahinter erkannt haben. Auch Kinder „dürfen“ heute essen, wenn sie Hunger haben und nicht dann, wenn Mutti das Essen aus dem Herd holt, weil Vati von der Schicht kommt. Nicht, dass wir uns missverstehen: Natürlich will ich nicht ernsthaft ein Leben ohne Regeln für alle, das führt zwangsläufig und schnell ins Chaos. Aber ich plädiere, gerade im Kontext von Kindern, für etwas mehr Gelassenheit und Freiheit. Und eben für Reduktion von Komplexität, nicht nur in der Kommunikation.
Je weniger konkrete Aufgaben in Regelsystemen gerade kleine Kinder erfüllen müssen, um so besser können sie sich frei entfalten (was sie auch dringend tun sollten). Kein Kind muss schlafen lernen mit eineinhalb Jahren und auch nicht mit drei Jahren. Kein Kind soll allein in seinem Zimmer über vermeintlich gemachte Fehler nachdenken müssen, weil es den Erwachsenen nicht gelingt, ihr eigenes Unvermögen in einem Konflikt einer gelernten Regel zu opfern, die nun wirklich sinnlos ist. Und die Erwartungshaltung an ein Kind muss immer wieder neu justiert werden. Es gibt schließlich einen Unterschied, ob ein Kind im Alter von zwei oder acht Jahren mit dem Essen wirft. Es gibt auch einen Unterschied, ob ein Kind noch aufnahmebereit ist oder völlig müde am Esstisch sitzt.
Mein Plan ist nicht dein Plan
Ich plädiere im Kontext von Kindern auf Schlichtheit. Nicht zu viel erzählen und keine Verbote und Regeln aufstellen, die gerade kleine Kinder überhaupt nicht sinnvoll erfassen können. Eine Dreijährige versteht nicht, warum sie ihrer Mutter jetzt genau keine Fragen stellen soll, während diese gerade telefoniert. Ein Dreijähriger versteht nicht, warum Papa lieber eine gut strukturierte Holzeisenbahnlinie mit perfektioniertem Liniennetz bauen will, während er selbst einfach nur die Bahn immer wieder aus der Spur fahren lassen will, weil es eben geht. Will sagen: Wir Eltern sollten häufiger im Geiste einen Schritt zurück treten und schauen, was unsere Kinder wollen. Und ihnen nicht versuchen zu erklären, was wir gerade wollen. Denn allzu oft gilt: „Mein Plan ist nicht dein Plan“.
Das geht einfacher, je weniger komplex der eigene Alltag ist. Im Regelfall ist der durch schwieriger zu kontrollierende Faktoren wie Arbeit und soziale Aufgaben schon hinreichend komplex. Da kann man wenigstens zuhause versuchen, die Dinge einfacher zu gestalten. Möglichkeiten gibt es viele, man muss sie individuell finden. Ausmisten und reduzieren im Wortsinn hat bei uns viel geholfen. Weniger Spielzeug zu haben etwa, so dass wir uns alle besser konzentrieren und sowohl ein Spiel als auch uns selbst in diesem Spiel besser wertschätzen. Das genießen von gemeinsamer Zeit mit möglichst einfachen und überschaubar vielen Dingen führt dazu, dass man auch gemeinsam ins Spielen kommt, wenn man das möchte. Und man sollte immer auch mal rein faktisch zwei Schritte zurück treten und seinen Kindern beim Spielen zuschauen und das einfach nur genießen. Ganz ohne die Idee im Hinterkopf, dass man diese Zeit, in der das Kind „so schön alleine spielt“, für dieses und jenes nutzen könnte. Es wird irgendwann ganz bald schon nicht mehr so sein. Dann wird einem die Tür vor der Nase zugepfeffert mit dem Verweis auf dringend nötige Privatsphäre. Und vielleicht erst wieder zum Ende der Pubertät aufgemacht, wenn es schlecht läuft.
Reduktion von Komplexität heißt also, ein paar sinnlose Regeln über Bord zu werfen und sich auf ein paar wenige zu konzentrieren, die einem fokussiertes Handeln ermöglichen. Das Smartphone in den Schrank legen, wenn man nach Hause kommt. Das Abendessen spontan den Bedürfnissen aller und dem Füllungszustandes des Kühlschranks anzupassen statt starren Essensplänen zu folgen – auch wenn es hier bei uns einen groben, gemeinsam erstellten Essenswochenplan gibt. Schlafanzüge abschaffen, wenn das Kind diese ohnehin als überflüssig betrachtet. Abends spontan rausgehen in den Schneesturm und sich vollschneien lassen, einfach weil es geht. Abends mit dem Kind einschlafen ohne schlechtes Gewissen, denn die eigentlich geplante Schreibtischarbeit wird garantiert nicht davonlaufen. Den Kindern zuschauen und von ihnen lernen, mal wieder die Augen zu öffnen für die einfachen und wirklich wichtigen Dinge. Die sind nämlich wunderschön und grundgut. Ganz so wie es die eigenen Kinder sind.
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