Die Situation der durch Hebammen geleiteten Geburtshilfe in Deutschland sieht nach wie vor düster aus. Immer wieder werden Kreissäale geschlossen, die allermeisten Hebammen arbeiten seit Jahren unterbezahlt und leisten zahllose Überstunden. Wer als Schwangere eine Betreuung sucht, muss sich in den meisten Regionen Deutschlands sehr zeitig kümmern, sonst bleibt von einer selbstbestimmten Geburt nur die Idee übrig. Und selbst, wer früh schaut, hat beileibe keine Garantie, eine passende Beleghebamme fürs Wunschkrankenhaus oder gar eine Hebamme im Geburtshaus oder für eine Hausgeburt zu bekommen. Auch mit der Betreuung vor der Geburt und im Wochenbett sieht es mittlerweile nicht besser aus.
Kein Wunder also, dass die Hebammen gegen diesen Zustand protestieren. Seit Jahren tun sie das. Immer wieder. Allerdings ohne messbaren Erfolg. Ich schreibe das als Mann einer Hebamme, der das seit Jahren immer wieder miterleben muss. Regelmäßig schwankt meine Wahrnehmung zu den Hebammendemos und „Hebammenstreiks“ (ganz bewusst in Anführungszeichen) zwischen Lachen und Weinen. Warum? Weil sich die Hebammen, diese selbstbewussten, selbstbestimmten und schlauen Frauen, die die meisten von ihnen nun einmal sind, von einem Berufsverband vertreten lassen, der in puncto Demonstrationsfähigkeit in etwa so viel Druck aufbaut, wie ihn ein Hai inmitten eines Sardinenschwarms verspürt. Das dachte ich schon, als ich vor Jahren an einer dieser „Demos“ teilnahm, die von einem Trommler untermalt wurde. Ein paar Jahre später war es ein Leierkastenmann.
Zum sich anbahnenden Welthebammentag am 5. Mai 2016 wurde nun erneut auf der durchaus sinnvollen Kampagnenwebsite Unsere-Hebammen.de ein tragisch-hilfloser Leitfaden mit Ideen vorgestellt, wie man auf die Hebammen und ihre Misere aufmerksam machen kann. Es sollen Schilder gebastelt werden. Ein Infostand wird als „Anfang des Lebensweges“ gestaltet und „mit Girlanden und Happy Birthday-Buchstabenketten geschmückt. […] Zur Ansprache von Passanten (insbesondere mit Kindern) werden Plätzchen, Gummibärchen o. ä. verteilt, typische Süßigkeiten einer Geburtstagsfeier. Aufgelöst wird die Gestaltung durch gelbe Kreisschilder und/oder Transparente: ,Ich war dein allererster Geburtstagsgast. Deine Hebamme.’“
Demonstrativ die Geburtshilfe zu Grabe getragen
Nun. Was soll ich sagen? Alles nett gemeint, und vielleicht findet sich sogar jemand, der ein Selfie schießt und es dann via Facebook teilt. Vielleicht dreht sogar eines der angesprochenen Kinder einen Snapchat-Clip mit Mama. Aber niemand, der an irgendeiner Stelle sitzt und wirklich etwas zu entscheiden hat, lässt sich durch solche Aktionen beeindrucken. Derjenige (meist ein Mann), hat auch schon über den liebevoll drapierten Sarg gelacht, der demonstrativ die Geburtshilfe zu Grabe getragen hat. Irgendwelche Aktionen mit Plakatwänden weggegrinst. Twitter-Shitstorms einfach ausgesessen ohne zu antworten. Und wohl selbst 2014 über die vielen Plakate und Menschen vor dem Bundesgesundheitsministerium hinweg gesehen.
All diese Aktionen werden wahrgenommen, natürlich. Auch die Petition wurde wahrgenommen, von vielen. Unterzeichnet haben sie über 430.000 Menschen, aber was hat das seither verändert? Die Versicherungssituation ist weiter unbefriedigend und unklar! Die Entlohnung wurde kaum verbessert! Die durch Hebammen geleitete Geburtshilfe steht immer noch vor dem Aus (noch muss zu jeder Geburt gesetzlich fixiert eine Hebamme hinzugezogen werden, aber woher nehmen…?)!
Ich glaube, die Hebammen müssen hier endlich konsequent selbstbewusster sein und eine härtere Gangart einschlagen. Genau an dieser Stelle müssen sie den sonst so wichtigen und richtigen Kurs der Menschlichkeit verlassen. Sie müssen das Storchenkostüm ausziehen und einsehen, dass mit dem Verteilen von Ringelblumensamen – auch so eine Demo-Aktion aus der Vergangenheit – nichts besser wird. Die Hebammen können und dürfen nicht mehr Rücksicht nehmen, um niemanden seelisch zu verletzen oder emotional zu destabilisieren. Hier müssen die Hebammen an allen verfügbaren Stellen und Punkten auf Konfrontationskurs gehen. Sie müssen Kosten im System verursachen, die irgendjemandem weh tut. Vielleicht müssen sie auch großflächig richtig streiken. Angestellte und verbeamtete Ärzte im Marburger Bund streiken ja auch unter der Vorgabe, die „Versorgung in Notfällen sicherzustellen und jeglicher Gefährdung von Patienten vorzubeugen“. Und sie sprechen vom Streik als „schärfste Form des Arbeitskampfes“.
Hebammen müssen die Arbeit niederlegen, vielleicht auch mal längerfristig, so dass es die Gesellschaft real spürt – und damit auch die Herren, die entscheiden. Und wenn sie bisher dafür nicht gewerkschaftlich organisiert sind, muss das wohl geschehen. Hebammen dürfen auch im Wochenbett nicht mehr in Dauerrufbereitschaft erreichbar sein und müssen Hausbesuche grundsätzlich nach den wirtschaftlich sinnvollen zwanzig Minuten beenden. Ganz egal, ob Eltern anschließend oder stattdessen noch mit ihrem Neugeborenen zum Arzt fahren müssen, um die noch vorhandenen Fragen zu stellen. Sie müssen vielleicht den Frauen im Kreißsaal knallhart sagen: „Ich werde heute kaum Zeit für sie haben“, anstatt einen Spagat zu versuchen, der zwangsläufig zu ihren Lasten geht. Und womöglich muss, so traurig das ist, die Karre einfach an die Wand knallen, damit sich das offenkundig ohnehin mehr als marode System danach selbst erneuern kann. Denn die Geburt eines Kindes wird, wenn es so weitergeht und den Hebammen Stein um Stein in den Weg gelegt wird, zu einer deutlich risikoreicheren Angelegenheit werden, als sie es sein müsste. Und das werden am Ende Eltern und Kinder ausbaden müssen.
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