„Eigentlich müsste ich doch glücklich sein…“ seufzt die werdende Mutter, als ich mich in der achten Schwangerschaftswoche mit ihr zum Vorgespräch treffe. Durch den Hebammenmangel melden sich die Frauen viel häufiger in den allerersten Schwangerschaftswochen. In jener Phase, in der sie sich selbst gerade noch an den Gedanken gewöhnen, ein kleines Leben in sich zu tragen. Eine Zeit, die von Hoffnung und Vorfreude, aber auch von Angst und Sorgen geprägt ist. Sorgen, die oft dem Umfeld nicht anvertraut werden können, weil dieses vielleicht noch nicht erfahren soll, dass ein Baby unterwegs ist. Auch die werdenden Väter müssen sich erst an diesen Gedanken gewöhnen. Und auch ein bisschen an die Hilflosigkeit, die sie als engster Begleiter dieser Schwangerschaft immer wieder spüren werden.
Nicht ohne Grund heißt das erste Schwangerschaftsdrittel auch die „Phase der Anpassung“. Damit ist nicht nur gemeint, dass sich Zellen rasant teilen. Oder dass Kinder sich in der Gebärmutter einnisten und Hormone vieles im Körper deutlich spürbar verändern. Auch die Psyche muss sich in dieser Zeit anpassen. Deshalb gehören alle Gefühle in den ersten Wochen mit dazu. Große Freude kann in plötzliche Panik oder sogar Ablehnung gegen das Kind kippen. Es ist eine emotionale Berg- und Talfahrt. Denn ab dem Moment, in dem der Schwangerschaftstest ein positives Ergebnis anzeigt, verändert sich das Denken und Fühlen der Schwangeren. Bei manchen Frauen ist das schon Tage vor dem Test der Fall. Bei anderen löst der zweite rosafarbene Streifen ein emotionales Chaos aus.
Kaum eine Frau wird ab diesem Zeitpunkt nicht täglich mehrfach an das kleine Wesen in ihr denken. Für manche Frauen ist es da schon ein winzigkleines Baby. Für andere ist der Gedanke noch etwas abstrakt, wenn sie Bilder aus der ganz frühen Schwangerschaft sehen und sich vorstellen, dass das Kind zu dem Zeitpunkt die Größe eines Mohn- oder Sesamkorns hat.
Mütter unter „Bindungsdruck“
Eine von Anfang an wahrgenommene tiefe Verbindung zum Kind ist genauso okay wie eine gewisse Distanz zu dem Geschehen im eigenen Körper. Alles darf sich anpassen und muss nicht von Anfang an da sein. Da in meiner Wahrnehmung die Mütter heute ein bisschen unter „Bindungsdruck“ stehen, ist es mir persönlich wichtig, Frauen immer wissen zu lassen, dass genug Raum für alle Gefühle da ist. Und dass sich diese verändern und mit der Zeit anpassen an das, was Mutter und Kind später brauchen. Es muss nichts forciert werden und keine Frau muss sich zum dauerhaften Glücklichsein zwingen, egal wie lange sie zuvor vielleicht auf das Wunschkind gewartet hat.
Genauso ist eine schon ganz stark gespürte Verbundenheit zu dem winzig kleinen Kind im Bauch real und in Ordnung. Manche Frauen fühlen zum Bespiel für sich schon ganz früh, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen erwarten. Einige Frauen empfinden sich durch diverse körperliche Veränderungen schon recht früh als sehr schwanger. Andere brauchen das Bild des pochenden Herzchens auf dem Ultraschall, um zu realisieren, dass sie überhaupt schwanger sind. Und keine Mutter ist eine Rabenmutter, wenn sie denkt, dass es ihr irgendwie schwer fällt, auf das Glas Wein zu verzichten, wo sie sich doch noch so unschwanger fühlt. Natürlich sollte trotzdem darauf verzichtet werden.
Auch die Beschwerden in den ersten Schwangerschaftswochen können diese Phase mehr oder weniger angenehm machen. Die bleierne Müdigkeit, die einen im Job und auch sonst im Leben ausbremst, kann als sehr unangenehm empfunden werden. Für Mütter, die bereits Kinder haben, ist es noch mal eine besondere Herausforderung, sich nur so halbwach durch den Tag zu schleppen.
Übelkeit kommt häufiger vor als Lust auf saure Gurken
Übelkeit und Appetitlosigkeit kommen viel häufiger vor als später anekdotisch erzählte Essgelüste in der allerersten Zeit. Das ständig flaue Gefühl im Magen oder das gelegentliche Erbrechen verschwindet zwar meistens jenseits der 12. Schwangerschaftswoche mit dem Absinken des dafür verantwortlichen HCG-Spiegels wieder, aber auch „nur“ ein paar Wochen Übelkeit können wirklich belastend sein. Davon abzugrenzen ist das Krankheitsbild der Hyperemesis Gravidarum. Denn das wirklich große Leid der davon betroffenen Frauen ist tatsächlich nicht mit der recht häufig vorkommenden Schwangerschaftsübelkeit im ersten Trimenon vergleichbar.
Aber auch kleinere Beschwerden können einem die ersten Schwangerschaftswochen schwer machen. Dazu kommt immer wieder die Sorge, ob sich alles gut und regulär entwickelt. Während manchen Frauen vor allem die Vorsorgen beim Arzt oder der Hebamme ein gutes Gefühl geben, verunsichern andere genau diese „Kontrollen“. Auch hier gibt es kein „falsch“ oder „richtig“. Da ist genug Spielraum, in dessen Rahmen jede Frau ihre eigene für sie passende Betreuung finden sollte. Der erste reguläre Ultraschalltermin ist zwar erst zwischen der 9. bis 12. Schwangerschaftswoche vorgesehen, doch brauchen viele Frauen aber auch die Partner früher einen „ersten Blick“ auf das Baby. Zu früh kann natürlich auch bedeuten, dass man erst einmal nicht allzu viel sieht, was zusätzlichen Stress verursachen kann.
Ratschläge, was diesbezüglich am besten konkret zu tun ist in den ersten Schwangerschaftswochen, kann man also nicht geben. Aber man kann zuhören, was die Frühschwangere gerade beschäftigt. Und dann gemeinsam überlegen, was eine Frau braucht, damit es ihr gut geht. Mal kann das eine Freistellung von der Arbeit sein, mal die entlastende Aussage, dass das Baby auch so alles bekommt, was es braucht, wenn gerade die Übelkeit den Speiseplan bestimmt. Auch einfache Dinge wie eine entspannende Massage können in der Frühschwangerschaft das Wohlbefinden der Frau steigern. Es gibt also auch in den allerersten Wochen neben den regulären Vorsorgeuntersuchungen viel zu tun für Hebammen, wenn Schwangere Unterstützungsbedarf haben. Gesprächsbedarf über die vielen Veränderungen haben ohnehin die meisten Schwangeren.
Zwischen Vorfreude und Zukunftsängsten
Denn neben den ganz konkreten körperlichen Beschwerden und Sorgen gibt es auch viele Dinge in der Zukunft zu bedenken. So schön sich die eine Frau vielleicht das Leben mit dem Baby an der Seite konkret vorstellen kann, so sehr kann es bei einer anderen große Ängste auslösen, daran zu denken, wie der Alltag mit Baby sein wird. Wird das Geld reichen? Haben wir genug Platz? Wie wird es dem Geschwisterkind gehen? Wird die vielleicht gerade ohnehin angespannte Beziehung durch das Baby zusätzlich belastet? Wie soll es beruflich weitergehen?
Das alles sind Fragen, die sich werdende Eltern vor allem in den ersten Monaten stellen. Gefühlsschwankungen in alle Richtungen können und dürfen an der Tagesordnung sein. Und nein, es sind nicht nur die Hormone. Es sind die persönlichen Erfahrungen und Voraussetzungen, die dafür sorgen, dass ein gewisses Gefühlschaos entsteht – durch die Gedanken, die sich jede Schwangere ganz individuell macht. Gedanken, die gedacht werden müssen, damit dem kleinen wachsenden Kind nicht nur im Bauch, sondern auch im Leben dieser Eltern Platz gemacht werden kann.
Diese ersten Schwangerschaftswochen sind eine besondere Zeit. Körper und Seele der schwangeren Frau sollen und dürfen sich anpassen. Es darf sich alles entwickeln und wachsen. Es muss sich also nicht alles perfekt und dauerglücklich anfühlen, selbst wenn dieses Kind lange und sehnsüchtig erwartet wurde. Wenn dies so wäre, dann wäre wohl auch gar keine Steigerung mehr möglich, wenn mit dem zweiten Trimenon „Die Phase des Wohlbefindens“ beginnt…
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