People Pleasing und die Familie

Das Bindungssystem ist der Kern unseres menschlichen Seins. Wir wollen uns als Individuum mit anderen verbinden. Zu einer Gruppe gehören, von einer Gemeinschaft getragen und geschützt werden – und uns selbst darin einbringen. Das ist vollkommen normal und richtig. Manchmal aber spüren wir, dass dieses sich sorgen um andere nicht in einer guten Balance mit unseren eigenen Bedürfnissen steht.

Wir spüren, dass wir vielleicht mehr geben, als wir unterstützt werden. Oder dass wir unsere eigenen Bedürfnisse immer wieder hinter anderen zurückstellen. People Pleasing eben.

Wir wollen also unbedingt, dass alles schön und harmonisch ist – und gehen dafür immer wieder über unsere Grenzen. Im Familiensystem (aber auch in Freundschaften und bei der Arbeit) kann dieser Fokus darauf, es anderen besonders recht machen zu wollen, letztlich zu einer großen Last werden. Dieses Vorgehen kann sich negativ auf das eigene Wohlbefinden, die Beziehungen und auch auf die Gesundheit auswirken.

Neige ich zum People Pleasing?

Die vier psychologischen Grundbedürfnissen nach Klaus Grawe (Bindung, Orientierung und Kontrolle, Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz, Lustgewinn und Unlustvermeidung) können wir unterschiedlich gewichten in unserem Alltag. Dass einige davon mal mehr, mal weniger im Vordergrund stehen, ist normal.  Bei einigen Menschen stehen allerdings Bindung und die Erhöhung des Selbstwertgefühls durch das Gefühl, von anderen gemocht zu werden, im Dauerfokus.

Psychologin Dr. Ulrike Bossmann hat über diese Tendenz, die als People Pleasing bezeichnet wird, ein ebenso benanntes Buch geschrieben. Darin beschreibt sie: „People Pleasing geht mit permanenten Sorgen daher einher, was andere von einem denken. Das eigene Verhalten wird ständig durch die Augen der anderen betrachtet. Und das eigene Denken, Fühlen und Handeln wird von dem Ergebnis dieser Bewertung bestimmt.“

People Pleaser ahnen oft selbst schon, dass sie zu dieser Gruppe von Menschen gehören. Dennoch empfiehlt die Psychologin, sich selbst zwei ganz einfache Fragen zu beantworten, um sicher zu gehen, ob man dazugehört. Wie wichtig ist es mir, dass andere mich mögen? Und möchte ich durch mein Verhalten sicherstellen, dass ich andere nicht enttäusche, kränke oder belaste?

Zeitweise Fokussierung aufs Baby ist normal

Wie oben schon beschrieben, ist es durchaus wichtig, dass wir auch die Bedürfnisse und Grenzen anderer Menschen im Blick behalten und um funktionierende Gemeinschaften bemüht sind. Verlieren wir dabei aber uns selbst aus dem Blick und vernachlässigen eine ausgewogene Balance der vier Grundbedürfnisse, kann das verschiedene negative Folgen haben.

Es gibt durchaus Phasen im Leben, in denen wir andere der Gruppe mehr in den Blick nehmen und eigene Bedürfnisse eher verschieben. Die Balance der Bedürfnisse kann daher auf mehreren Zeitebenen betrachtet werden: im Jetzt, aber auch über längere Zeiträume hinweg.

Viele Eltern kennen es wahrscheinlich, dass sie am Anfang der Babyzeit ihren Fokus ganz auf das Baby ausrichten. Sie wollen es sanft an das neue (Er-)leben gewöhnen. Sie finden es okay, dabei vielleicht eigene Lustgewinn-Bedürfnisse erst einmal aufzuschieben.

Umsorgen des Baby als Lernaufgabe

Die Umstellung vom Leben im Uterus auf das Leben außerhalb ist enorm anstrengend. Es hilft dem Baby, seine Umgebungserfahrungen von vor der Geburt noch eine Weile nachzubilden, um den Übergang zu erleichtern. Dazu gehören beispielsweise viel Körperkontakt, sanfte Schaukelbewegungen in den Armen oder der Trage, vertraute Geräusche und Reizreduktion.

Oft sind besonders Mütter für diese Sorgearbeit zuständig, obwohl das Umsorgen des Babys eine Lernaufgabe ist, die alle Elternteile erlernen sollten und können. Die Sorgearbeit ist so zeitintensiv und erfordert so viel Energie für das Lernen neuer Verhaltensweisen, der Entschlüsselung von Babybedürfnissen und dem Erfüllen selbiger. Dabei geraten schnell die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick geraten. Wir sind ja – durchaus sinnvollerweise – auf das Baby fokussiert.

Allzu viele Bedürfnisse sollten aber nicht lange aufgeschoben werden. Deswegen ist es hilfreich, wenn mehrere Personen den Bindungsaufbau und die Sorgearbeit erbringen können. Oder zumindest eine andere Person wie eine Wochenbettunterstützung/Mütterpflegerin verfügbar ist, die für die Erfüllung der weiteren Bedürfnisse sorgt.

People Pleasing ist keine normale Fokussierung

Sie kann Essen kochen, aufräumen, Zeiten für Körperpflege und Ruhepausen schaffen, einkaufen. So können Eltern im Wochenbett sich auf das Baby und den Bindungsaufbau fokussieren und einer Überlastung vorbeugen, die sich sonst nachteilig auf Psyche, körperliche Gesundheit und auch die Bindungsbeziehung zum Kind auswirken kann.

Doch People Pleasing meint nicht die normale, zeitweise Fokussierung auf das Baby in der Wochenbettzeit. Oder eine Rückstellung der eigenen Bedürfnisse, wenn eine erwachsene Bezugsperson erkrankt ist und wir für eine gewisse Zeit ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen.

People Pleasing ist die generelle Tendenz, uns selbst in den Hintergrund zu stellen – auch vor der Schwangerschaft und nach dem Wochenbett. Dies tritt in vielen Bereichen unseres Alltags zutage, so auch in der Elternschaft.

Immer alles für die Familie

People Pleasing in der Familie beschreibt die Situation, wenn wir einfach alles dafür geben wollen, ein gutes Elternteil zu sein und es der Familie und anderen Recht machen zu wollen. People Pleaser lächeln bei der Familienfeier auch dann, wenn der alte Onkel wieder einen fiesen Kommentar über den After-Baby-Body macht. Sie trauen sich nicht, der Schwiegermutter zu sagen, dass sie das Parfum, das diese ihnen seit fünf Jahren zu Weihnachten schenkt, gar nicht mögen

People Pleaser verleihen immer wieder die Spielsachen, auch wenn sie schon mehrmals kaputt zurückkamen. Sie wollen die Freundschaftsbeziehung ja nicht belasten. Der Fokus auf andere und die Beziehung zu ihnen führt zu ständiger Anpassung, Anspannung und Stress. Dennoch geht man diese negativen Aspekte ein, um eben Bindung und Harmonie nicht zu gefährden. 

Die innere Unsicherheit, die People Pleaser mit sich tragen, kann im Kontext Familie auch damit einhergehen, Elternschaft unbedingt „richtig machen“ zu wollen. Es werden möglichst viele Bücher gelesen über Erziehung. Alle Entscheidungen werden genau abgewogen. Auf Social Media wird vielen Erziehungskanälen gefolgt.

Wut und Tränen aus dem Weg gehen?

Dieser Versuch der dauerhaften Erziehungs-Selbstoptimierung kann ermüdend sein und mehr Zweifel säen als beseitigen. Je mehr wir konsumieren, desto mehr potentielle Fehler werden entdeckt. Desto mehr muss man an sich arbeiten, um noch achtsamer und besser zu werden. Eine negative, erschöpfende Spirale. Gerade People Pleaser sind besonders von Burnout bedroht.

Auch auf das Erziehungsverhalten kann sich People Pleasing auswirken. Wenn wir es nicht aushalten, nicht zu gefallen, fällt es schwer, dem Kind die eigenen Grenzen und auch Grenzen anderer aufzuzeigen. Auch unsere Kinder verfügen über die vier Grundbedürfnisse und benötigen nicht nur Bindung und Nähe, sondern auch Orientierung.

Wenn Eltern versucht sind, Wut und Tränen aus dem Weg zu gehen, weil sie für sie Ablehnung oder Anzeichen sind, etwas falsch gemacht zu haben, erhalten Kinder keine passende Begleitung im Jetzt. Zudem behindert es sie daran, auch zukünftig einen guten Platz in der Gemeinschaft zu finden, weil sie Regeln des Zusammenlebens und der Rücksicht nicht kennenlernen durften.

Eine gute Balance entwickeln

„Jetzt achte doch auch mal auf dich!“ ist vielleicht eine nett gemeinte Aussage, hilft aber People Pleasern nicht. Die Ursache für die Ausrichtung auf andere liegt meist schon in der eigenen Kindheit. Psychologin Dr. Ulrike Bossmann sieht Ursachen in einer Erziehung mit wiederholter Beschämung und Anpassungsdruck, aber auch erlebte Parentifizierung, bei der Kinder entweder früh die emotionale Verantwortung für ihre Eltern übernehmen, oder auch (Haushalts-)Tätigkeiten übernehmen mussten, die über das normale Maß in diesem Alter hinausgingen.

Gerade die Erziehung von Mädchen ist noch immer stark auf eine Anpassung und Ausrichtung auf andere ausgerichtet, die eben auch später häufiger unter People Pleasing leiden. Um der Harmoniefalle zu entkommen, ist es daher wichtig, die eigenen Prägungen in den Blick zu nehmen und schrittweise wieder ein Gespür für sich und die eigenen Bedürfnisse zu bekommen.

Es kann im ersten Schritt  gelernt werden, welche Signale der Körper sendet und was sie bedeuten. Dann kann sanft damit begonnen werden, selbst für sich zu sorgen, sich mit allen Eigenheiten selbst wertzuschätzen und letztlich Grenzen zu setzen. Denn dein Alltag darf auch für dich selbst schön sein, nicht nur für andere.

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