Schwangerschaftsübelkeit ist für viele Frauen eine Herausforderung, doch Hyperemesis gravidarum stellt alles in den Schatten: Unstillbares Erbrechen und extreme Erschöpfung machen den Alltag zur Qual. Diese Situation erfordert oft eine intensive, medizinische Betreuung. Warum diese schwere Form der Übelkeit in der der Schwangerschaft so oft verkannt wird und welche neuen Forschungsergebnisse Hoffnung machen, erklärt Hebamme Carolina Fink.
Übelkeit in der Schwangerschaft betrifft circa 75 Prozent aller Schwangeren in unterschiedlicher Intensität und an unterschiedlichen Zeitpunkten. Die Übelkeit ist unangenehm, erschwert den Alltag und sorgt nicht gerade für Wohlbefinden. Und doch ist es vergleichsweise eine gut beherrschbare Beschwerde gegen das, was Schwangere erleben, die an Hyperemesis gravidarum leiden.
Diese Erkrankung wird zunächst oft mit der als normales Schwangerschaftssymptom bekannten Morgenübelkeit (die aber durchaus den ganzen Tag auftreten kann) verwechselt. Und das ist wirklich tragisch für die Betroffenen. Sie werden oft erst spät ernst genommen – und erhalten ebenso zu spät die nötige Hilfe.
Emesis und Hyperemesis
Als Emesis gravidarum wird neben der Übelkeit auch schwangerschaftsbedingtes Erbrechen bezeichnet, jedoch ohne Krankheitsgefühl und Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Bei den meisten Betroffenen verschwinden die Symptome nach den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft wieder.
Hyperemesis gravidarum hingegen betrifft nur 0,5 bis 2 Prozent der Schwangeren. Sie leiden unter unstillbarem Erbrechen, oft mehr als fünf Mal täglich, manchmal bis zu 50 Mal. Dies wiederum führt zu einer Gewichtsabnahme von mehr als fünf Prozent. Die Übergänge zwischen Emesis und Hyperemesis sind fließend – und die Verläufe individuell. Manche Schwangere erbrechen „nur“ einige Monate, bei anderen hält das Erbrechen bis zur Geburt an.
Ständiges Erbrechen allerdings stört den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt und führt zu Nährstoffmangel. Deshalb erfordert die Hyperemesis eine ärztliche Behandlung und oft einen Krankenhausaufenthalt. Ein wirklich belastendes Szenario in einer Zeit, in der man eigentlich einfach guter Hoffnung sein möchte.
Folgen und Ursachen der Hyperemesis
Die Schwangeren mit einer Hyperemesis sind stark erschöpft, nehmen ab und leiden unter Kreislaufproblemen. Ein normaler Alltag ist unmöglich. Besonders belastend ist das, wenn bereits Kinder im Haushalt leben, die ja auch versorgt werden müssen. Und natürlich kommt die Sorge um das Baby im Bauch hinzu. Die betroffenen Schwangeren sind also nicht nur von etwas Übelkeit geplagt, sondern sie fühlen sich und sind wirklich richtig krank.
Die Ursachen sind immer noch nicht ganz klar. Das Schwangerschaftshormon HCG steht im Verdacht, da die Symptome mit seiner Konzentration im Blut korrelieren und bei Zwillingsschwangerschaften häufiger auftreten. Auch scheint es eine familiäre Disposition zu geben. Von der Hyperemsis betroffene Schwangere bekommen oftmals einen ähnlichen Verlauf schon von ihren Eltern erzählt.
Eine neue Studie zeigt, dass die Konzentration des Hormons GDF15 das Risiko für starke Übelkeit und Erbrechen bei Schwangeren erhöhen kann. GDF15 ist auch ohne Schwangerschaft im Körper vorhanden, ist beteiligt an der Regulierung von Entzündungsprozessen. Die Schwere der Symptome hängt davon ab, wie hoch der Anstieg des Hormonspiegels in der Schwangerschaft ist. Schwangere, die bereits vor der Schwangerschaft viel GDF15 im Blut hatten, leiden weniger an Übelkeit und Erbrechen als jene, die einen steilen Anstieg des Hormons erleben.
Hilfe bei Übelkeit und Erbrechen
Auch wenn man sich zwischendurch fragt, ob das Kind überhaupt noch gut versorgt wird, ist das normale Schwangerschaftserbrechen dahingehend kein Problem. Es scheint sich im Gegenteil sogar das Risiko für eine Fehlgeburt zu verringern, wenn Frauen unter Schwangerschaftsübelkeit leiden.
Dennoch kann man einiges tun, um die Auswirkungen von Übelkeit und Erbrechen zu lindern.
1. Entlastung im Alltag
Wichtig ist, Schwangere sowie auch die nächsten Angehörigen in dieser besonderen Lebenssituation gut zu unterstützen. Können Geschwisterkinder am Morgen anders betreut werden? Lassen sich die Arbeitszeiten an die Übelkeit angepassen? Hier gilt es, allerhand individuelle Lösungen finden, die die Schwangere entlasten.
2. Häufige kleine Mahlzeiten und schluckweises Trinken
Trotz der Übelkeit sind regelmäßige und häufige kleine Mahlzeiten sinnvoll. Denn die Beschwerden verschlimmern sich meist mit dem Abfall des Blutzuckerspiegels. Manchmal hilft es, bereits im Liegen vor dem ersten Aufstehen einen am Vorabend vorbereiteten Snack zu essen. Auch schluckweises Trinken kann helfen.
3. Die Auswahl der Lebensmittel
In Bezug auf geeignete Lebensmittel gibt es 1001 Tipps, welche gegen Übelkeit helfen. Die Nahrungsaufnahme sollte sich rein nach dem Appetit und etwaigen Gelüsten der Schwangeren richten, weil damit die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass Speisen und Getränke nicht sofort erbrochen werden. Ingwer kann helfen, aber nur, wenn er vertragen wird. Typischerweise haben Schwangere auf Lebensmittel, die die Situation verschlimmern, meist ohnehin keine Lust: Kaffee, Fettes, Süßes oder stark gewürzte Speisen meiden sie meist instinktiv.
4. Raus in die Natur
Bewegung und frische Luft helfen nicht nur etwas gegen die Übelkeit, sie wirken sich auch positiv auf die bleierne Müdigkeit in den frühen Schwangerschaftswochen aus.
5. Vitamin B6
Studien zeigen, dass Vitamin B6 Übelkeit reduziert, nicht aber das Erbrechen. Auch wenn bereits Vitamin B6 eingenommen wird, oft reicht da die Menge, die in den üblichen Schwangerschaftspräparaten enthalten sind, nicht aus. Die Dosierung sollte mit dem Arzt, der Ärztin oder der Hebamme abgesprochen werden.
6. Aromaöl
Ein Riechfläschchen mit Minze, Limette oder Grapefruit kann gerade unterwegs hilfreich sein – auch hier muss die eigene Nase entscheiden, was passt.
7. Akupunktur und Akupressur
Akupunktur kann ebenso wie Akupressur eine positive Wirkung haben. Druck auf den Akupunkturpunkt „Perikard 6“ am Handgelenk üben auch Sea-Bands aus, die man über einen längeren Zeitraum einfach wie ein Armband trägt.
Therapien bei Hyperemesis
Außerhalb der oben genannten Möglichkeiten der Therapie von Übelkeit und Erbrechen benötigt es bei einer Hyperemesis zusätzliche Therapien.
1. Ausgleich des Flüssigkeits- und Nährstoffmangels
Oft muss der Flüssigkeits- und Nährstoffmangel durch eine Infusionstherapie ausgeglichen werden. Manche Schwangere gehen dafür in ihre gynäkologische Praxis, manchmal ist ein Klinikaufenthalt notwendig.
2. Medikamente
Die Ärztin oder der Arzt in Praxis oder Klinik erstellen einen Behandlungsplan – natürlich immer auch im Sinne des Babys im Bauch. Fundierte Informationen zu geeigneten Medikamentenwirkstoffen finden sich bei Embryotox. Die Gabe von Antihistaminika und Vitamin B6 kann helfen.
Die neuen Studienergebnisse zum Hormon GDF15 machen Hoffnung auf bessere Behandlungsmöglichkeiten für schwere Verläufe. Weitere Forschung soll klären, ob sich die Wirkung des Hormons im Gehirn blockieren lässt oder sich Personen vor einer Schwangerschaft desensibilisieren lassen können. Bis diese Ideen in die Praxis umgesetzt werden, wird es allerdings sicher noch etwas Zeit brauchen.
3. Psychische Unterstützung
Die Hyperemesis ist keine psychische Erkrankung, aber belastet natürlich die Psyche der Schwangeren. Die mit der Hyperemesis verbundene Isolation kann depressive Verstimmungen verursachen. Darum kann auch eine psychotherapeutische Begleitung hilfreich sein.
4. Noch mehr Entlastung und Ruhe
Die Hyperemesis ist eine klare Indikation für die Notwendigkeit einer Haushaltshilfe, insbesondere wenn bereits weitere Kinder im Haushalt leben. Alles, was der Schwangeren hilft, in einen Entspannungszustand zu kommen, ist sinnvoll. Das kann eine Massage sein oder das Erlernen einer Entspannungstechnik. Dies ist aber meist nur möglich, wenn es der Frau wieder ein wenig besser geht. Denn in der Akutphase verstärken oft alle auch positiven Reize die Symptome.
Neben der medizinischen Behandlung ist es am wichtigsten, Verständnis für die von Hyperemesis betroffenen Frauen zu haben. Und ganz klar zu sehen, dass dies nicht einfach „nur ein bisschen Morgenübelkeit“ ist. Die betroffenen Frauen kommen wirklich an ihre Grenzen und mit ihnen auch oft ihre Partner und Partnerinnen. Denn statt guter Hoffnung bestimmt die Hyperemesis oftmals komplett den schwangeren Alltag.
Wissenschaftliche Quellen:
ACOG Practice Bulletin No. 189: Nausea And Vomiting Of Pregnancy. Obstetrics & Gynecology 131(1):p e15-e30, January 2018. | DOI: 10.1097/AOG.0000000000002456
Hinkle SN, Mumford SL, Grantz KL, et al. Association of Nausea and Vomiting During Pregnancy With Pregnancy Loss: A Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2016;176(11):1621–1627. doi:10.1001/jamainternmed.2016.5641
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