In der letzten Zeit habe ich viele Mütter nach der Geburt des zweiten Kindes betreut. Meist sind es unkomplizierte, entspannte Wochenbettverläufe. Und oft fragen die Mütter sich, warum es denn nicht schon beim ersten Kind „so einfach“ sein konnte. Wie viel Stress hätte man sich vielleicht ersparen können…
Doch so einfach ist es nicht, denn mit der Geburt des ersten Kindes (oder den ersten Kindern bei Mehrlingen), werden auch wir Frauen als Mutter erst einmal geboren. Und genauso, wie das Neugeborene seine Zeit braucht, um anzukommen, müssen Eltern sich in ihre neue Rolle einfinden. Ebenso wie bei neuen Jobs, braucht es einfach etwas Einarbeitungszeit, in der wir uns zugestehen sollten, nicht gleich alles zu können und zu wissen oder auch einfach nach Hilfe zu fragen. Im Berufsleben sind wir durch Studium oder Ausbildung zumindest theoretisch sogar ganz gut vorbereitet.
Elternwerden ist nun ein viel größerer Sprung ins kalte Wasser. Bevor wir eigene Kinder haben, können wir nur erahnen, wie schön aber auch unglaublich anstrengend und schwer es manchmal ist. Doch mit den Wochen, Monaten und Jahren und den vielen Erfahrungen mit unserem Kind werden wir „klüger“, „besser“ und dadurch kompetenter. Wir gewöhnen uns allmählich an unser neues, zum Teil komplett anderes Leben. Wir lernen Prioritäten zu setzen und im besten Fall auch, gut auf uns selbst zu achten. Denn dem Kind kann es immer nur so gut gehen wie seinen Eltern.
Das Kind als Lehrmeister
All das sind Prozesse, die bei der folgenden Familienerweiterung bereits vollzogen sind. Beim ersten Kind sind wir nach der Geburt eine Frau mit Baby, die in ihre Mutterrolle erst einmal hinein wächst. Beim zweiten Kind sind wir dort längst angekommen.
Genau wie sich das Baby entwickelt, entwickeln wir uns auch. Dieser große Prozess findet nur einmal statt. Auch wenn jedes weitere Kind natürlich eine große Umstellung bedeutet, sind wir als Mutter gefestigter und fühlen uns kompetenter. Und ja, das macht es leichter. Wir haben meist realistischere Erwartungen und geben uns trotz faktisch weniger Zeit doch mehr Zeit, auch dieses neue Baby kennen und lieben zu lernen.
Das gilt natürlich auch für die Väter. Aber da wir als Frauen die Kinder schon lange Zeit im Bauch in uns tragen, sind unsere Erwartungen oft ungleich größer. Und wenn sie sehr hoch sind, sind natürlich auch entsprechende Enttäuschungen vorprogrammiert. Das erste Kind ist und bleibt wohl der größte Lehrmeister für seine Eltern, denn mit ihm durchlaufen sie eine der größten Veränderungen im Leben. So intensiv wird es bei keinem weiteren Kind mehr sein.
Von vollen Hebammenkoffern…
Es ist also müßig zu denken: „Wäre ich nur beim ersten Kind schon so tiefenentspannt gewesen…“ – bei jedem nachfolgenden Kind sind wir einfach schon ein bisschen mehr Profis als Eltern. Genau so ist es ja auch im Berufsleben. Wenn ich da zum Beispiel an die ersten Schwangerschaften, Geburten und Wochenbetten zurückdenke, die ich als Hebamme begleitet habe. Der Hebammenkoffer war randvoll gefüllt mit zahlreichen Mittelchen, die ich letztlich doch nie brauchte. Ähnlich geht es oft Ersteltern, denen diverse (sich später als größenteils überflüssig herausstellende) Anschaffungen vielleicht ein bisschen Sicherheit vermitteln. Beim zweiten Kind kommt die Sicherheit dann meist aus ihnen selbst heraus.
Also müssen wir wohl gar nicht bedauern, warum und weshalb man sich das Leben beim ersten Kind manchmal so schwer gemacht hat. Es ist einfach eine intensive Lernphase – für den wichtigsten und anstrengendsten Job des Lebens ohne Kündigungsoption. Entwicklung braucht Raum und Zeit, dazu viele verschiedene gute und eben auch manchmal nicht so gute Erfahrungen. Das gilt für die Kinder genauso wie für die Eltern.
Schreibe einen Kommentar