Eigentlich halte ich die taz ja für eine der besseren und lesbaren Tageszeitungen. Doch vielleicht hätte ich mich schon wundern müssen, als vor ein paar Tagen in der Rubrik Streitfrage nach der persönlichen Meinung der Leser zum Thema Hausgeburt gefragt wurde. Ich kenne die Grabenkämpfe dazu und bin es bisweilen ein bisschen leid, immer wieder zu erklären, was eigentlich wichtig ist. Trotzdem habe ich ebenfalls ein Statement an die Redaktion geschickt. Und zwar folgendes:
„Meine Jahre als Kreißsaalhebamme haben mir leider bestätigt, dass die Klinik definitiv nicht unbedingt der sicherere Ort ist, um ein Kind zu gebären. Es ist einfach Glückssache, ob eine Hebamme kontinuierlich für mich da ist und damit auch eventuelle Risikofaktoren entsprechend schnell erkennt. Das gilt auch für die Ärzte, die zwischen OP, gynäkologischer Ambulanz und Kreißsaal hin und her springen.
Die vielen ,lebensrettenden Eingriffe und Kaiserschnitte‘ sind zum Teil hausgemacht. Es geht aber letztendlich nicht um den Geburtsort, sondern darum, was dort geschieht und wie gut, einfühlsam und respektvoll die Gebärenden begleitet werden. Eine Hebamme, die zwischen drei Geburten gleichzeitig hin und her rennt, kann einfach keine gute Betreuung gewährleisten. Das könnte sie weder zu Hause noch in der Klinik.
Es geht also nicht um ideologische Grabenkämpfe, sondern um eine gute Versorgung aller Mütter und ihrer Babys – egal wo. Doch die Bedingungen dafür werden in Deutschland gerade systematisch zerstört, so dass Fragen nach dem Geburtsort wohl in ein paar Jahren erst gar nicht mehr gestellt werden müssen…“
Hebamme und Mutter von drei Kindern (in der Klinik, im Geburtshaus und zu Hause geboren)
Generell freut es mich ja , wenn die Presse das Dilemma der Geburtshilfe in Deutschland aufgreift und bei der taz habe ich einen guten und differenzierten Artikel erwartet. Leider trat das genaue Gegenteil ein. Schon die Online-Ankündigung der heutigen Wochenendausgabe mit der Überschrift „Stirbt das älteste Gewerbe der Welt aus?“ irritierte mich sehr. Denn Hebammen sind keine Gewerbetreibenden, sondern freiberuflich tätig. Wir üben selbständig einen Beruf mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten aus und unterliegen keiner Gewerbeordnung.
Hebammen sind keine Gewerbetreibenden
Eine kurze Netzrecherche oder Anfrage bei einer Hebamme hätte diese falsche Überschrift verhindern können. Zudem ist der Begriff des „ältesten Gewerbes der Welt“ landläufig mit der Prostitution verbunden. Aber auch die wird ja meist von Frauen ausgeübt und dies oft unter schwersten Bedingungen. Mit der unpassenden Überschrift hätte man noch leben können, wenn danach nicht ein mehrseitiger Verriss der außerklinischen Geburtshilfe gekommen wäre.
Eingebettet ist das ganze in die wirklich tragische Geschichte eines kleinen Jungen, der nach einer abgebrochenen außerklinischen Geburt nahezu leblos geboren wurde. Er konnte reanimiert werden, ist aber als Folge eines Sauerstoffmangels schwerst behindert. Die taz-Autorin nimmt uns mit in den belasteten Alltag dieser Familie, die ihr drittes Kind seit nun acht Jahren zu Hause pflegt. Der Text geht nah. Ich bin selbst Mutter von drei Kindern…
Der Geburtsverlauf des Kindes ist retrospektiv in die Geschichte eingebunden, primär aus Sicht der betroffenen Eltern. Die Hebamme selbst äußert sich nicht zu dem Fall. Doch es geht mir gar nicht darum anzuzweifeln, dass hier sehr wahrscheinlich medizinisch falsch gehandelt wurde mit dramatischen Folgen. Doch aus dem Geschriebenen klärt sich die alleinige Schuldfrage nicht, weil auch in der Klinik noch über eine Stunde verging, bevor die Geburt per Kaiserschnitt beendet wurde. Viele Fragen bleiben offen, aber auch darum geht es hier gar nicht. Die Beschreibung dieses Falls ist im Artikel immer wieder mit der aktuellen berufspolitischen Lage der Hebammen verknüpft. Was da zwischen den Zeilen über die außerklinische Geburtshilfe und auch allgemein über die Hebammen gesagt wird, ist sehr eindeutig.
Die Anklage zwischen den Zeilen
Der Autorin ist scheinbar auch entgangen, dass es mitnichten „nur“ um die knapp zwei Prozent der außerklinischen Geburten in Deutschland geht. Auch in Kliniken arbeiten Hebammen. In Bayern arbeiten knapp 60 Prozent der Klinikhebammen im Belegsystem und damit freiberuflich. Richtig abenteuerlich wird der Artikel aber an dieser Stelle:
„Jährlich landen etwa 100 Personenschäden nach außerklinischen Geburten vor Gericht. Das ist etwa jede hundertste außerklinische Geburt. In den meisten Fällen sind es Kleinigkeiten, bei denen Gerichte den Geschädigten bis zu 1.000 Euro zusprechen. Rund zwölf Fälle allerdings gelten als Personengroßschäden, in denen die Geschädigten mehr als 100.000 Euro bekommen. Diese Zahlen dienen den Versicherern als Grundlage, ihre Beitragssätze zu berechnen…“
Würde ich das als Schwangere lesen, bekäme ich große Sorge, wenn ich über eine außerklinische Geburt nachdenke und lesen muss, dass jede 100. Geburt vor Gericht landet. Die zwölf genannten Schadensfälle beziehen sich aber auf alle Geburten die durch freiberufliche Hebammen begleitet wurden, also auch die Klinikgeburten. Dies ergibt ein völlig anderes Bild. Für die Schadensfälle durch von angestellten Gynäkologen, Belegärzten oder auch angestellten Hebammen verursachten Fehler gibt es gar keine konkreten Zahlen. Diese Zahlen wären aber wichtig, um objektiv zu vergleichen, wie es generell mit der Sicherheit in der Geburtshilfe aussieht.
Auch falsche Zahlen wirken
Doch für diesen Artikel wurde scheinbar überhaupt nicht mit Geburtshelfern gesprochen, sonst hätte es nicht zu solchen eklatanten Falschaussagen kommen können. Auch eine Anfrage beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungsgesellschaft hätte hilfreich sein können. So bekam die Elterninitiative Hebammenunterstützung folgende Antwort vom GDV auf Nachfrage nach den Ursachen für die drastische Erhöhung der Versicherungsprämie: „Entscheidend für die heutige Situation ist die Entwicklung des Schadenvolumens: Von 2003-2012 stiegen die Kosten für schwere Geburtsschäden um fast 80 Prozent.“ Die Anzahl der Schadensfälle ist also nicht gestiegen. Zudem gibt es zu den im Artikel genannten Zahlen weder konkrete Angaben der GDV zum Geburtsort, noch ob der Schaden bei der Geburt oder im anschließenden Wochenbett entstanden ist. Deshalb ist wohl auch keine nachvollziehbare Quelle genannt..
Auch wenn ich und sicher viele Kollegen und einige Eltern wissen, dass die im Artikel genannten Zahlen falsch sind – die Mehrheit der Leser wird es einfach glauben. Und sich denken, wie gut dass diese riskante Variante der Geburtshilfe sich nun scheinbar endlich selbst abschafft. Zahlen wirken, auch falsche. Das haben wir anhand von Studien gesehen, die jahrelang die spontane Geburt aus Beckenendlage fälschlicherweise als wesentlich riskanter gegenüber einem Kaiserschnitt einstuften oder aber auch, als etliche Mütter mit der Studie zum Eisenmangel bei Stillkindern verunsichert wurden.
Vorurteile und Falschaussagen
Ich habe in meiner Arbeit täglich damit zu tun, die Ängste von Eltern zu relativieren, weil in der Apothekenzeitschrift oder an anderer Stelle wieder etwas stand, was einfach nicht stimmt. Doch im heutigen Fall betrifft es mich selbst und ich merke, wie es mich wütend und irgendwie hilflos macht. Gefühlt rechtfertige ich unseren Beruf seit Jahren, auch auf diesem Blog immer wieder. Vielleicht werden mich Leute auf den taz-Artikel ansprechen und man kann es erklären. Doch die meisten werden es lesen und glauben, was da steht. Weil sie unterstellen, das gut recherchiert wurde. Was nicht der Fall ist. Sie werden denken, dass außerklinische Geburten hochgefährlich sind und Hebammen recht häufig schwere Fehler in ihrer Arbeit unterlaufen und sie deshalb zu Recht keiner mehr versichern will.
Artikel wie diese werden auch wieder etliche Kolleginnen dazu bewegen, den Hebammenkoffer endgültig hinzuwerfen. Einen Beruf, mit dem man sich finanziell ohnehin nur mehr schlecht als recht nur über Wasser halten kann, auch noch ständig gegen Vorurteile und Falschaussagen verteidigen zu müssen, macht mürbe. Auch ich merke, wie ich immer müder werde, solche Artikel zu lesen und noch etwas dazu zu sagen. Oft spüre ich eine richtige Hilflosigkeit gegenüber der Macht der Medien, der Lobbyisten und der Politik. Der Mehrheit ist es scheinbar völlig egal, wie gut begleitet unsere Kinder ins Leben kommen oder wie es Müttern nach der Geburt geht. Doch wenn das so weiter geht, wird man ohnehin bald nur noch über die Hebammen aus der Retrospektive schreiben können. Einfach weil es dann keine mehr gibt…
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