Morgens bei meiner kleinen Laufrunde im Park beobachte ich allerlei absurde Alltagssituationen. Da gibt es Hundebesitzer, die mit ihren Vierbeinern längere Diskussionen führen als ich mit unserer Sechsjährigen – und deren Hunde am Ende auch nicht darauf hören. Es gibt die Sportler, die von ihrem Personal Coach bei eher kläglich aussehenden Liegestütze begeistert angefeuert werden. Und es gibt auch die Eltern, die versuchen, wie auch wir einst Baby und Sport zu kombinieren, in dem sie mit dem Kinderwagen durch den Park rennen.
Gestern morgen sah ich eine Mutter, die ihre Laufrunde unterbrach, um ihr weinendes Baby aus dem Wagen zu nehmen und es im Stehen zu stillen. Als ob das nicht schon Herausforderung genug wäre, begann sie dabei auch noch auf der Stelle zu traben, so wie das viele Jogger machen, wenn sie an der Ampel warten müssen. Es war schon ein merkwürdiges Bild – diese im auf der Stelle im Dauerlauf stillende Mutter. Mein erster Gedanke war: „Wie bekloppt ist das denn…“ – allerdings ist das Ganze wahrscheinlich wesentlich weniger lustig als es aussah. Denn irgendwie steht diese Situation doch exemplarisch für den Dauerdruck, unter dem viele Eltern heute stehen. Es ist diese Idee, alles mit dem Babyalltag vereinbaren zu müssen und zu können – und dabei am Ende doch immer wieder kläglich zu scheitern.
Auf alles vorbereitet – nur nicht auf die Realität
Eltern heute sind auf vieles vorbereitet, nur nicht auf die Realität, wie ich immer wieder in meinem Arbeitsleben feststelle. Auch für Fachpersonal ist es immer wieder ein Balanceakt, Eltern gut vorzubereiten, ohne gleichzeitig Ängste zu schüren. Doch wie sinnvoll ist eine Geburtsvorbereitung noch, die den Schwerpunkt auf die Stärkung der eigenen Kraft zum Gebären legt – wenn doch gerade mal noch acht Prozent aller Geburten interventionsfrei ablaufen oder fast ein Drittel in einem Kaiserschnitt endet?
Kann man den Frauen überhaupt noch die Wichtigkeit des Wochenbettes vermitteln, wenn der Partner nach zwei Wochen spätestens wieder arbeiten geht, die Großeltern ewig weit weg wohnen und somit die Mutter recht schnell wieder alleine im Babyalltag da steht? Müssten werdende Mütter nicht eigentlich auch viel mehr auf wahrscheinliche Stillprobleme vorbereitet werden, weil in der Klinik nicht genug Personal da ist, um ausreichend bei kleinen und meist leicht zu behebenden Anfangsschwierigkeiten zu unterstützen? Und die Väter? Soll man weiter so deutlich betonen, wie wichtig ihre „Nestbeschützerrolle“ gerade in der sensiblen ersten Anfangszeit ist? Wahrscheinlich wird es das schlechte Gewissen vergrößern, wenn sie recht bald wieder für den Brotjob das Nest verlassen. Eltern sollen natürlich guter Hoffnung sein und das nicht nur in Bezug auf die Schwangerschaft, sondern auch auf die Geburt und vor allem die Zeit danach.
Dafür muss man ihnen wahrscheinlich noch viel ehrlicher sagen, was für Auswirkungen ganz banale Alltagsdinge haben können. Sei es zu viel Besuch im Wochenbett, der den schmerzhaften Milchstau nach sich zieht, oder sei es die Tatsache, dass zum Beispiel ein Umzug in ein anderes Lebensumfeld in dieser Zeit das Risiko für eine postpartale Depression verstärken kann.
Beziehungsstatus: es ist kompliziert
Die Phase, in der wir heute Eltern werden, wird nicht umsonst als „Rushhour des Lebens“ bezeichnet. Deshalb hoffen nicht wenige Eltern auf ein „pflegeleichtes“ Baby, das sich in diesen vollgepackten Alltag einfügt. Aber ich bin weder als Mutter noch als Hebamme diesem vermeintlichen Idealmodell jemals begegnet.
Jedes Baby hat doch recht ähnliche Bedürfnisse und die erfordern immer Aufmerksamkeit und Zeit von den Eltern. Zeit, die nicht mehr für Beruf, Freizeit, Hausbau oder auch für Sport zur Verfügung steht. Dazu kommt die Tatsache, dass der Nachtschlaf erst mal für eine gewisse Zeit qualitativ und quantitativ schlechter sein wird. Aus einer Zweierbeziehung wird mindestens eine Dreierbeziehung und das ist nicht unbedingt einfach. Oder wie es so schön bei Facebook heißt „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“. Und das ist es nicht nur gefühlt. 40 Prozent der Trennungen von Paaren mit minderjährigen Kindern finden bereits im ersten Jahr nach der Geburt statt.
Was also tun? Werdenden Eltern die Wahrheit ungefiltert vor den Kopf knallen? Die Schwangerschaft wirkt allerdings oft wie ein Filter, der wenig vermeintlich Negatives durchlässt. Ich behaupte mal, die Eltern in meinen Geburtsvorbereitungskursen schon recht realistisch auf den Babyalltag vorzubereiten. Trotzdem sind 75 Prozent des Gesagten bereits im Wochenbett wieder vergessen. Deshalb ist es dann so wichtig, die Eltern auch weiter zu begleiten und ihnen immer wieder klar zu machen, dass dies alles normal ist und alle zumindest temporär Abstriche in anderen Lebensbereichen machen müssen. Ansonsten steuert man schnell in eine Spirale aus Erschöpfung und Frustration mit allen Konsequenzen hinein.
Alltagsentschleunigung
Doch gerade heute, wo wir scheinbar alles auf einmal machen können, fällt es uns zunehmend schwerer, uns mal wirklich und ganz auf andere Menschen oder Situationen einzulassen. Schon im Kreißsaal kommt das erste Smartphone-Foto in die Timeline, noch vor dem ersten Stillen. Vereinbarkeit ist ja weiter ein Trendwort in Elternkreisen, meist bezogen auf Kind und Karriere, aber ebenso exemplarisch für alle anderen Lebensbereiche, in die Kinder möglichst gut integriert werden sollen. Nur, dass Kinder das nicht immer unbedingt so mitmachen. Und das ist letztendlich gut so, weil sie uns dadurch immer wieder daran erinnern, was wirklich wichtig ist. Sie können unseren vollgepackten Alltag einfach mal ein bisschen entschleunigen. Den meisten Menschen tut das gut – egal ob sie Kinder haben oder nicht….
Jedes Ding im Leben hat seine Zeit – die Herausforderung ist, sich darauf einzulassen. So gibt es halt Zeiten zum Stillen und irgendwann auch wieder Zeiten zum Joggen. Bei unserer mittlerweile doch recht hohen Lebenserwartung in Deutschland können wir es uns eigentlich auch gut leisten, für die kurze Zeitspanne, in der wir so kleine und bedürftige Kinder haben, manch andere Dinge mal etwas mehr zu vernachlässigen.
Schreibe einen Kommentar