Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass es schwieriger und schwieriger wird, eine Hebamme zu finden, die einen rund um die Geburt begleitet. Viele Familien bedauern das. Aber manchmal wird in diesem Kontext auch die Sinnhaftigkeit der Hebammenarbeit in Frage gestellt – zumindest, wenn es nicht nur um die Geburt geht.
Gerade im Wochenbett, so der Einwand, könne doch auch die eigene Mutter oder Schwiegermutter die „Rolle der Hebamme“ übernehmen. Und überhaupt, meist habe die eigene Mutter doch auch keine Hebamme gehabt, die nach der Geburt nach Hause gekommen ist. Nun, oft wird vergessen, dass die meisten Frauen „damals“ wesentlich länger nach der Geburt in der Klinik geblieben sind. So lag die durchschnittliche Verweildauer im Jahr 1980 in den alten Bundesländern bei 9,7 Tagen. Das waren fast die gesamten ersten zehn Tage, die das Frühwochenbett umfasst.
Inzwischen ist die durchschnittliche Verweildauer nach einer Geburt in der Klinik von noch 5,4 Tagen im Jahr 2000 auf 3,3 Tage im Jahr 2014 gesunken. Und 2018 ist sie nicht angestiegen, darf man vermuten. Dafür ist gleichzeitig die Kaiserschnittrate in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Aber selbst nach einer operativen Geburt gehen die Mütter mittlerweile nach wenigen Tagen wieder mit ihrem Baby nach Hause.
Nähe wird zum Stressfaktor
Sie tun das zusammen mit ihren Fragen oder Sorgen, die sich nach der Geburt des ersten, aber oft auch jeden weiteren Kindes stellen. Diese Fragestellungen gehen weit über rein medizinische Aspekte hinaus. Die Hebamme richtet den Blick auf das körperliche Befinden und die Heilungsprozesse der Mutter. Sie schaut nach der Entwicklung und dem Gedeihen des Kindes. Und es gibt es darüber hinaus viele Aspekte, für die die Hebamme Ansprechpartner ist. Die Bindung zum Kind oder die Veränderung der Partnerschaft gehören dazu. Oft sind es aber auch ganz praktische Aspekte, die das Leben mit dem Baby betreffen.
Und ja, auch ich denke, dass vieles davon auch die Mutter, Tante oder gute Freundin erklären oder zeigen könnte, wenn wir weniger in kleinfamiliären Strukturen leben würden. Auch bei Stillproblemen hat die stillerfahrene Cousine vielleicht einen guten Tipp. Aber in der Realität gibt es diese Familienmitglieder mit entsprechender Erfahrung in der unmittelbaren Nähe nur selten. Oder gerade diese Nähe wird zum Stressfaktor. Denn ungefragt erteilte Ratschläge von Angehörigen oder Freunden in der sensiblen Wochenbettzeit bewirken oft das Gegenteil von dem, was ihr Absender eigentlich gemeint hatte.
Und nicht zu vergessen ist der Aspekt, dass vieles sich auch geändert hat im Umgang mit unseren Kindern, wenn man ein oder zwei Generationen zurückblickt. Schnell wird das Abweisen von „gut gemeinten“ Tipps dann zum Konfliktpunkt. Alle Eltern müssen mit ihrem Kind ihren eignen Weg finden. Und so werden sicherlich auch nicht alle Empfehlungen der Hebamme passend sein. Aber diese sind mehr ein Informationsangebot, aus dem sich Eltern das nehmen sollen, was für sie stimmig ist. Die professionelle Distanz macht es wesentlich einfacher, den eigenen Weg zu verfolgen.
Großfamilie im Wochenbett als wunderbare Unterstützung
Die Großfamilie im Wochenbett kann aber eine ganz wunderbare Unterstützung nach der Geburt sein. Nämlich dann, wenn sie die jungen Eltern so versorgt und unterstützt, dass diese sich gut um ihr Baby kümmern können. Das Abnehmen von Haushaltsarbeiten, das Kochen gesunder und gut schmeckender Mahlzeiten oder Unterstützung bei der Betreuung der Geschwister können die Wochenbettzeit wirklich erleichtern.
Mich berührt es jedes Mal, wenn ich Frauen in einem so gut funktionierenden familiären Netz im Wochenbett begleiten darf. Aber wahrscheinlich berührt es mich so, weil es gerade in der Großstadt doch eher eine Ausnahme ist. Weitaus häufiger erlebe ich das Konfliktpotential und eine zusätzliche Belastung, wenn die familiäre Unterstützung nicht an den Bedürfnissen der frisch geborenen Familie ausgerichtet ist, sondern eher ein „Besserwissen“ die elterliche Kompetenz schwächt.
Die Familien, in denen es gut läuft mit der „Großfamilienunterstützung“, haben häufig auch eine eher wertschätzende Meinung gegenüber der Hebammenbetreuung. Sie sind oft sehr interessiert und offen für neue Informationen. Wie gerne habe ich auch schon Großeltern gezeigt, wie sie ihr Enkelkind im Tuch tragen können. Und schon oft habe ich von Großmüttern gehört: „Ach, das hätte ich mir früher auch gewünscht, dass jemand kommt und nach uns sieht und bei Problemen Ansprechpartner ist“.
Wichtig, wertvoll und wohltuend im Wochenbett
Gerne sage ich auch den liebevoll unterstützenden Großeltern oder anderen helfenden Familienmitgliedern, wie wichtig und wertvoll ihr Tun ist. Und das nicht, weil es die Hebammenarbeit ersetzt, sondern weil es Mutter und Kind einfach Raum und Zeit gibt, sich von der Geburt zu erholen und in ihrem Tempo im Babyalltag anzukommen.
Die sensible Phase Wochenbett kann so viel gute Unterstützung gebrauchen. Auch die Nachbarin, die jeden Tag eine Mahlzeit mehr mitkocht und vor die Tür der Wöchnerin stellt, ist ein Segen. Die gute Freundin, die einfach zuhört und nicht bewertet, wenn die junge Mutter von den vielen neuen Erfahrungen und Veränderungen in ihrem Leben erzählt. Oder die Oma, die das Baby in ihren Armen liebevoll in den Schlaf wiegt und sagt: „Lass dir Zeit“ – damit die Wöchnerin endlich mal in Ruhe duschen kann.
All diese Menschen sind wichtig, wertvoll und wohltuend im Wochenbett. Die Hebamme kann sie nicht ersetzen. Aber sie ersetzen auch nicht die Arbeit der Hebamme. Frauen haben also im besten Fall beides, wenn sie es wünschen.
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