Als Stillberaterin IBCLC rege ich mich schon längst nicht mehr auf, wenn mal wieder die Mär von der Stillmafia verbreitet wird. Also jene These, die behauptet, dass die Stillberaterin mit gezogener Pistole vor der Mutter steht und sie zum Stillen nötigt. Als Hebamme muss man sich ja noch viel mehr an dummen Vorurteilen anhören, wenn einen andere Menschen gleich mal mit Hexen und Scharlatanen gleichsetzen. Darum hat mich der Artikel mit dem Titel „Weib, Du sollst stillen!“ von Katharina Bracher in der Neuen Zürcher Zeitung nicht sonderlich erschüttert.
Auch als Mutter von Stillkindern treffen mich die Worte der Autorin nicht mehr. Die Frau behauptet, dass Stillen und Nähe nicht nur die Selbstbestimmung der Eltern verhindern, sondern schließt sich auch noch der wilden These der Soziologin Elisabeth Badinter an, dass eine stillende Mutter zur Schimpansin degradiert wird. Ich halte Schimpansen für ziemlich kluge Tiere, aber das wollte die Autorin wahrscheinlich nun gerade nicht ausdrücken. Oder doch, denn der ebenfalls bei der Neuen Zürcher Zeitung erschienene Artikel „Schimpansen: Klug genug zum Kochen“ bekräftigt ja noch die Theorie, dass sich Frauen nach der Geburt nur noch ausschließlich mit Kindern und Küche beschäftigen.
Was ich im Bracher-Text aber wirklich negativ bemerkenswert finde, ist folgende Aussage:
„Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass sozusagen alle Studien, die im letzten halben Jahrhundert zu den Vorzügen des Stillens erschienen sind, Beobachtungsstudien sind, deren Aussagekraft wissenschaftlich umstritten ist.“
Ihre Zweifel an sämtlichen Stillstudien haut sie natürlich ohne Belege heraus. Aber da sie sich dazu einigermaßen eloquent ausdrückt, könnten ihre teils falschen Behauptungen glaubhaft klingen.
Durch Stillterror zum willenlosen Säugetier?
Ihr Stück zeigt exemplarisch das Ergebnis einer halbherzigen Recherche. Was, wenn nun vielleicht die von Stillproblemen geplagte Mutter bei ihrer Recherche im Wochenbett nur diesen einen Artikel liest? Und dann ins Trudeln gerät, weil sie gerade Hebamme oder Stillberaterin für Hilfe kontaktiert hat. Beugt sie sich damit dem im Artikel genannten Stillterror oder wird sie gar gleich zum willenlosen Säugetier? Wäre sofortiges Abstillen nicht die bessere und schnellere Lösung?
Ich jedenfalls möchte so etwas wirklich nicht in einer instabilen Hormonlage lesen. In einer Situation, die sich die Autorin wahrscheinlich selbst nicht vorstellen kann. Sonst würde sie nicht eingangs schreiben:
„…und sah vor meinem geistigen Auge glückselige Mütter, die, vom Hormonbad eingelullt, ihre quietschfidelen Babys stillen. Meine Bekannte fand ich mit hohlen Wangen und verquollenen Augen, den Säugling neben sich an die Brust gebettet. Auf die Frage, wie es ihr gehe, kommen ihr die Tränen.“
„Erlösung“ von den Anstrengungen der Elternschaft
Wenn sie nicht die Bilder von Werbemodellen, denen man ein meist schon älteres, glattes, rosiges Baby in die Hand gedrückt hat, vor Augen hätte, würde sie verstehen, was gerade mit ihrer Freundin los ist. Sie würde wissen, dass die Freundin auch nicht nach einem Kaiserschnitt gestylt und strahlend in reinweißen Laken im Bett sitzen würde. Sie würde wissen, dass die Freundin genauso müde und verweint aussehen könnte, wenn sie sich von Anfang an für die Flaschenfütterung entschieden hätte. Sie würde wissen, dass Schwangerschaft und Geburt anstrengend sein können. Und das Wöchnerinnen gerade um den dritten Tag herum – einem beliebten Besuchertag – durch den Hormonabfall sehr nah am Wasser gebaut sind.
Und wahrscheinlich würde sie wissen, dass die Freundin jetzt einfach nur eine Umarmung braucht oder ein „Du machst das gut“. Ganz egal, wie sie geboren hat oder wie sie ihr Kind gerade ernährt. Kaiserschnitte und Abstillen sind mitnichten die „Erlösung“ von den Anstrengungen der Elternschaft. Die Zeit, die Katharina Bracher in Recherche und das Schreiben ihres Artikels gesteckt hat, hätte sie auch darin investieren können, der Freundin im Wochenbett etwas zu kochen. Oder mit dem Erstgeborenen zu spielen oder einfach zu fragen, ob und welche Form von Hilfe gebraucht wird.
Aber es ist ja auch wahrlich nicht so einfach, zwischen Wunsch und Wirklichkeit seinen Weg als Eltern zu finden. Oder den von anderen Eltern gewählten Weg als Freundin einfach ein Stück unterstützend mitzugehen…
Linkempfehlungen zum Thema Stillen:
Stillkinder | Berufsverband der Still-und Laktationsberaterinnen IBCLC | Europäisches Institut für Stillen und Laktation
Von Guten Eltern zum Thema Stillen:
Stillen ist an allem schuld! | Die „perlende“ Muttermilch und andere Milchmärchen | Stillzwang? Abstillzwang! Was denn nun? | Stillzeiten – lang, länger, am längsten? | Abstillgrund: Personalmangel?
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