Immer wieder lese ich im Netz Texte junger Mütter, in denen sie beschreiben, was sie in den ersten Wochen nach der Geburt alles schaffen und machen. Ich staune, wenn ich dabei an meine eigene Wochenbettzeit denke. Und an die vieler Mütter, die ich als Hebamme begleiten durfte. Doch es scheint den jungen Müttern gut damit zu gehen. Oft beschreiben sie, dass ihnen schnell die Decke auf den Kopf fallen würde, wenn sie neben dem Baby nicht noch arbeiten oder andere Dinge tun „dürften“.
Als Hebamme – aber auch als Mutter – ist das Wochenbett für mich ein bisschen eine heilige Zeit. Eine Zeit des Ankommens vor allen Dingen, nicht nur für das Baby, sondern auch für die Eltern in ihrer neuen Rolle. Es ist jene Zeit, in der sich der gerade außerordentlich kraftvoll arbeitende Körper der Mutter erholen soll. Schließlich hat er einen kleinen Menschen in sich wachsen lassen, geboren und sorgt nun durch das Stillen dafür, dass dieser kleine Mensch ernährt wird. Was für eine Leistung!
Das Wochenbett ist eine Zeit des Kennenlernens und des sich noch intensiver Ineinanderverliebens. Das was als „Liebe auf den ersten Blick“ direkt nach der Geburt beginnt, wird im Wochenbett fortgesetzt und intensiviert. Es ist eine Zeit, um langsam wieder in den Alltag zurückzukommen. In einen Alltag, der vertraut und doch jetzt so ganz anders mit Baby ist. Doch vielleicht passt diese totale Entschleunigung gar nicht mehr in unser hektisches und sich ständig weiter drehendes Leben? Den meisten von uns fällt es schon schwer, mal wirklich innezuhalten.
Wenn es Körper und Seele zu viel wird…
Ist es also womöglich eine altmodische Idee, wenn wir Hebammen darauf pochen, möglichst ausgiebig Wochenbett zu halten? Stresst es Frauen heutzutage vielleicht viel mehr, gefühlt tatenlos zu Hause zu sein, während auf Instagram oder wo auch immer scheinbar alle mühelos und gut gelaunt mit dem Baby durch den Alltag rennen? Fast könnte man es meinen.
Doch dann denke ich auch an die vielen Frauen, die ich durchs Wochenbett begleitet habe. Die unterschiedlichsten Frauen mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen und Voraussetzungen. Doch sie alle vereinte nach der Geburt, dass sie emotional offen und deshalb auch schneller verletzlich waren in diesen ersten Lebenswochen. Genau diese Offenheit sorgt dafür, dass sie sich einfühlsam und liebevoll auf ihr Baby einlassen können.
Doch gleichzeitig prallen der Stress und die Belastungen des Alltags nicht mehr so leicht wie bisher an einem ab. Ganz im Gegenteil nimmt man sich vieles doppelt zu Herzen. Und wenn es dem Körper oder der Seele zu viel wird, zeigt sich das. Etwa durch einen Milchstau, eine verzögerte Rückbildung oder andere Symptome. Nicht wenige Frauen schlittern im ersten Babyjahr genau deswegen von einem Infekt in den nächsten hinein.
Wochenbetthöhle möglichst selten verlassen
Und vielleicht möchten wir Hebammen die Frauen genau davor bewahren, wenn wir ihnen empfehlen, in der ersten Zeit die „Wochenbetthöhle“ möglichst selten zu verlassen. Und ihnen raten, sich nur mit Leuten und Dingen zu umgeben, die gut tun. So werden nicht nur der Bauch und der Beckenboden, sondern die ganze Frau nach und nach wieder etwas stabiler.
Ich erlebe es oft, dass nach ein paar Monaten ein großer Einbruch kommt, wenn diese erste und wichtige Schutzphase ausgelassen wird. Mal drückt sich das in immer wiederkehrenden Milchstaus aus. Mal in Schlafstörungen oder depressiven Verstimmungen. Eine unzureichende Erholung nach der Geburt hat viele Gesichter. Es muss klar sein: Ein kleines Baby zu versorgen ist eine Vollzeitaufgabe. Selbst dann, wenn sich ein Paar dies möglichst paritätisch teilt.
Der Körper leistet so viel in dieser Lebensphase und hat deshalb auch Erholung verdient. Die meisten Frauen erwischt irgendwann die große Erschöpfung, wenn sie von Anfang an Vollgas geben. Und für eine sich ohnehin gerade neu definierende Beziehung ist es auch nicht die beste Ausgangssituation, wenn beide Eltern sich kaum Zeit zum Ankommen gönnen. Natürlich gibt es auch die wenigen Ausnahmen, die das alles wirklich nahezu mühelos mit links wuppen. Aber es ist nicht vorhersehbar, ob man selbst zu diesen seltenen Ausnahmen gehören wird.
Sich für den Anfang Zeit nehmen
Darum werde ich weiter für das Wochenbett „werben“. Denn der Anfang ist nicht nur für das Kind, sondern auch für die Eltern eine sehr wichtige Zeit. Und für die sollte man sich Zeit nehmen. Ich kann den Drang, „mehr“ tun zu wollen, durchaus nachvollziehen. Ich habe aber gleichzeitig auch immer vor Augen, wozu das häufig führt. Natürlich muss das nicht so sein. Aber die Gefahr, sich komplett zu übernehmen, ist einfach sehr hoch.
Es ist wichtig, sich immer wieder klar zu machen, was man gerade alles schon leistet. Es ist sicher die wundervollste aber auch die anstrengendste Aufgabe, umfassend für ein kleines Baby zu sorgen. Und selbst, wenn Partner, Oma oder andere liebe Bezugspersonen einen dabei unterstützen, bleibt nicht viel Zeit. Denn im Babyalltag kommen die einfachsten Dinge wie schlafen oder essen schnell zu kurz. Wenn dann noch zig andere Dinge oder gleich ein ganzer Job auf der To-do-Liste stehen, ist die Gefahr groß, dass man selbst einfachste Grundbedürfnisse vernachlässigt.
Die Geburt eines Babys darf die jungen Eltern also ruhig ein bisschen ausbremsen und zur Ruhe „zwingen“. Der normale Alltag nimmt ohnehin schnell genug wieder Fahrt auf. Leider sieht dies das Umfeld drumherum nicht immer so und baut damit unbeabsichtigt Druck auf. Deshalb ist es wohl wichtig, nicht nur den Eltern immer wieder zu erklären, was für eine besondere und schützenswerte Zeit das Wochenbett ist. Sondern auch dem Umfeld.
Wie wunderbar und entspannt kann diese Zeit verlaufen, wenn sie von Familien und Freunden gut unterstützt wird. Wenn ein gekochtes Essen nach Hause gebracht wird, anstatt zu erwarten, dass die Eltern mit Baby zum Brunchen ins Restaurant gefahren kommen. Wenn einfach alles, was stressen könnte, ein bisschen ferngehalten wird von der jungen Familie. So können im Wochenbett die Akkus gut aufgeladen werden, um bald die Alltagsherausforderungen mit Baby meistern zu können. Genau deshalb werde ich wohl nicht müde zu erzählen, warum das Wochenbett acht Wochen dauert.
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