Nähe und Nahrung sind zwei der zentralen Bedürfnisse von Babys. Stillen kann beides geben. Ein Großteil der Mütter entscheidet sich dafür, das Baby nach der Geburt zu stillen und bringt auch alle notwendigen Voraussetzungen dafür mit. Zumindest theoretisch, denn es gibt biologisch nur wenige Gründe, warum eine Mutter ihr Kind nicht mit der eigenen Muttermilch ernähren kann.
Die erlebte Realität sieht anders aus. Oft ist als Folge von zu wenig Unterstützung in der Anfangszeit der Stillstart mehr als schwierig. Manchmal ist es aber auch trotz eines optimalen Stillmanagements nicht möglich, dass eine Mutter ausreichend Milch für ihr Baby bilden kann. Ob nun biologisch oder anders begründet, kann es also erforderlich werden, dass ein Baby zugefüttert werden muss – entweder mit zusätzlich abgepumpter Muttermilch oder mit einer künstlichen Säuglingsnahrung.
Für die Mütter ist das oft gar nicht so einfach, weil sie die „Schuld“ sofort bei sich suchen. Und sich dadurch in ihrer Mutterrolle manchmal nicht mehr kompetent fühlen. Anstatt mit der zu diesem Zeitpunkt besonders verletzlichen Frau einfühlsam zu besprechen, warum und wie das momentane Stillen unterstützt werden kann, damit das Baby gut gedeiht, bekommen Frauen oft etwas anderes zu hören. „Ihre Milch reicht nicht.“ – „Ihr Baby wird nicht satt von Ihrer Muttermilch.“ – „Sie haben nicht genug Milch für Ihr Kind.“ Oder: „Wollen Sie, dass Ihr Baby an der Brust verhungert?“
Die alte Angst und Verunsicherung
Diese und andere Sätze bekommen nicht wenige Mütter zu hören. Sie sind so schlimm, weil sie genau in die größte mütterliche Urangst hineintreffen. Die nämlich, dass das eigene Kind verhungert, auch wenn das faktisch hier in Deutschland nicht geschehen wird, weil wir genug Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung haben. Aber solche rationalen Überlegungen hat man als junge Mutter im frühen Wochenbett nicht. Darum treffen diese Sätze mitten ins Mutterherz. Mit den Tagen und Wochen wird sich das Stillen im Regelfall einspielen. Manchmal wird langfristig weiter zugefüttert, oft ist bei guter Begleitung das Vollstillen doch noch möglich. Das Kind gedeiht gut. In der Regel ist es rund und gesund, wenn ich kurz vor dem Halbjahresgeburtstag zur Beikostberatung vorbeikomme.
Und trotzdem ist sie plötzlich wieder da: die alte Angst und Verunsicherung, dass man das Baby nicht adäquat ernähren kann. Wenn das Kind sich nicht an irgendwelche Beikostpläne hält, was übrigens sehr viele Babys nicht tun. Das zwischen Mutter und Kind entstandene Vertrauen wird erneut erschüttert, wenn die liebevoll gekochten Mahlzeiten vom Baby nur in homöopathischen Dosen probiert werden. Der Stress am Esstisch ist vorprogrammiert, wenn Eltern in großer Sorge sind, dass ihr Kind nicht genug Nahrung bekommt. Und dabei ist es völlig egal, ob da ein halsloses Baby mit kleinen Speckfingerchen sitzt oder ein eher schlankes, zartes Kind.
Die Sorge, dass das Kind nicht zunimmt, sie bleibt
Ich spreche den gespürten Druck der Eltern beim Essen an. Oft höre ich als Antwort genau die oben zitierten Sätze. Diese haben Frauen ganz am Anfang zu hören bekommen und nie vergessen. Selbst wenn sich das Stillen längst gut und scheinbar problemlos eingespielt hat. Die Sorge, dass das Kind nicht zunimmt, sie bleibt. Und so werden nicht selten zu Hause Gewichtstabellen geführt, obwohl das Baby bei allen U-Untersuchungen alle Kriterien für ein gutes Gedeihen erfüllt.
Und ich rede hier nicht von früh- oder krankgeborenen Babys, bei denen sich für die Eltern oft noch einmal eine besondere belastende Still- und Füttersituation ergeben kann. Es geht um Familien, bei denen der Stillstart „nur“ etwas holperig war, aber dennoch nicht einfühlsam begleitet wurde. Mütter wurden auf ihre „Defizite“ hingewiesen, anstatt sie zu loben und zu stärken. Ganz egal, wie viel Muttermilch sie für ihr Kind bildeten. Der Stress aus diesen ersten Tagen hält lange an. Viel länger als die Stillprobleme, die bestanden.
Darum ist gute Stillberatung so viel mehr, als dafür zu sorgen, dass eine bestimmte Menge Nahrung ins Kind hinein kommt. Und gerade in schwierigen Situationen ist es umso wichtiger, nicht nur darauf zu achten, was gesagt wird, sondern auch wie es gesagt wird. Damit Mütter ein gutes Vertrauen in ihr Kind in Bezug auf die Nahrungsaufnahme bekommen, müssen sie erst einmal ein gutes Selbstvertrauen entwickeln dürfen. Die Wertschätzung, dass sie ihr Baby gut mit Nahrung, Nähe und Liebe versorgen, tut allen Mütter gut. Ganz unabhängig von der gerade produzierten Muttermilchmenge.
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