Meine Freundin Luise habe ich seit Wochen nicht mehr gesehen. Sie lernt und arbeitet nur noch – sie will Hebamme werden und absolviert den dualen Studiengang „Hebammenkunde“ in Berlin. Die ersten Prüfungen stehen an und sie selbst, ihre Familie und ihre Freunde kommen gerade mehr als zu kurz, weil viel zu lernen ist. Neben den nicht gerade familienfreundlichen Arbeitszeiten im Schichtdienst eines Kreißsaales sitzt sie teilweise bis abends in der Hochschule, um sich das für den Hebammenberuf erforderliche Fachwissen anzueignen.
Aber meine Freundin muss für einen Beruf lernen, bei dem gerade unklar ist, ob er zum Zeitpunkt ihres Examens überhaupt noch existieren wird. Und bei aller momentanen positiven Berichterstattung zum Thema liest auch sie genauso wie ich immer wieder Sätze und Kommentare, die nur so strotzen voller Vorurteile und Unwissen über unseren Berufsstand. Hebamme ist einer der ältesten Berufe, die wir kennen, aber weder Ärzte noch Hebammen leben 2014 noch in mittelalterlichen Zuständen oder auf Bäumen. Trotzdem haben manche Menschen immer noch die Idee, dass wir eigentlich nur Kurse durchhecheln, anschließend fahrlässig alle Frauen zur Hausgeburt nötigen und mögliche Komplikationen mit dem Auflegen eines Edelsteines heilen.
Die meisten geburtshilflich arbeitenden Hebammen arbeiten in der Klinik und genau deshalb betrifft das ganze Hebammendilemma nicht nur die zwei Prozent der Frauen, die ihre Kinder im Geburtshaus oder zu Hause zur Welt bringen. Die hohe Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe ist ausreichend belegt und hat nicht zum Anstieg der Haftpflichtversicherung geführt, wie manche Schlaumeier immer wieder zu argumentieren versuchen und damit für die Abschaffung der außerklinischen Geburtshilfe plädieren. Damit wäre ihrer Meinung nach das Haftpflichtproblem doch ganz einfach behoben. Wäre es aber nicht!
Ich habe selbst ein Kind im Krankenhaus, ein Kind im Geburtshaus und ein Kind zu Hause geboren – und alle drei Optionen würden wegfallen. Auch die Klinikhebammen, die dort im Belegsystem arbeiten, wird es nach dem momentanen Stand ab Sommer 2015 nicht mehr geben. Aber selbst die im Krankenhaus angestellten Hebammen können ohne entsprechende Versicherungsoption nicht arbeiten, denn die Klinikversicherungen sind in vielen Fällen nicht ausreichend in ihren Deckungssummen, was eine zusätzliche Haftpflichtversicherung notwendig macht. Auch Vorsorge, Wochenbettbetreuung und Stillberatung durch Hebammen wird es dann ebenso nicht mehr geben wie Kurse zur Geburtsvorbereitung oder zur Rückbildung. Aber über all dies ist genug geschrieben worden in den letzten Tagen…
Nix mit Räucherstäbchen und Edelsteinen
Wenn die Hebammen wegfallen, fällt nicht die diejenige weg, die die Räucherstäbchen im Kreißsaal anzündet, sondern eine speziell für diese Lebensphase ausgebildete medizinische Fachkraft. Ein großer Teil der Hebammenausbildung widmet sich den pathologischen Geschehnissen in der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett. Das ist wichtig zu wissen, damit die Abweichungen vom Normalzustand erkannt werden. Trotzdem ist nun mal Tatsache, dass die meisten Schwangerschaften und Geburten ganz normale Lebensvorgänge sind, wenn wir sie nicht selbst pathologisieren…
Die Arbeit der Hebammen ist es, das Normale und Gesunde zu fördern und zu unterstützen. Dort wo es Abweichungen, Komplikationen und Handlungsbedarf gibt, handeln wir und leiten auch entsprechend weiter an die jeweiligen Experten für diesen Bereich. Also nix mit Räucherstäbchen und Edelsteinen. Auch meine außerklinisch arbeitende Hebamme hat mich bei der verstärkten Nachblutung nach der Geburtshausgeburt des zweiten Kindes mit einem Venenzugang und dem entsprechenden Medikament versorgt – weil es notwendig war. Zu meinen Kreißsaalzeiten haben die Frauen dieses Medikament routinemäßig bekommen – prophylaktisch sozusagen. Oft war ja auch nicht genug Zeit da, sich ausreichend über Blutungsstärke und Gebärmutterzustand zu versichern, wenn parallel noch andere Geburten liefen. Das macht aber die Geburtshilfe keinesfalls sicherer.
Anders als sonst in der Medizin muss man in der Geburtshilfe viel wissen, um wenig zu tun. Also bitte, liebe Kritiker – realisiert endlich mal, dass die Hebammerei kein Hexenhandwerk ist und wir garantiert nicht jede Komplikation mit Kräutern, Ohrkerzen und Kristallen heilen. Manchmal kann aber ein Tee auch ausreichend sein – genauso wie der Hausarzt auch empfiehlt, bei einer Erkältung dies oder das zu trinken und sich einfach ins Bett zu legen. Ist er deshalb ein Zauberer? Nein, und Hebammen eben keine Hexen. Sicher gibt es vereinzelt auch Hebammen, die vielleicht ihre Kompetenzen überschätzen. Solche Menschen gibt es aber in allen Berufen. Deshalb ist aber nicht gleich ein ganzer Berufsstand in Frage zu stellen.
Darum bin ich gerade mehr als sauer und empört, dass sich ein Beruf, der nur mit einem staatlich anerkannten Examen ausgeübt werden darf, in so großer Existenznot befindet. Auch wenn ich den Vorschlag meiner Hebammenkollegin Jana sinnvoll finde, den Verein „Hebammen für Deutschland“ mittels einer Spende zu unterstützen, kommt mir das Ganze mittlerweile nur noch skurril vor. Warum muss ich Unterschriften sammeln, mich ständig erklären und jetzt auch noch spenden, um einfach nur meinen Beruf auszuüben? Dass es kein Beruf zum reich werden ist, wissen Hebammen schon lange. Aber nun auch noch kämpfen, damit man überhaupt arbeiten kann? Das ist für mich nicht mehr normal. Aber irgendwie passt es in eine Welt, in der Kinderkriegen und Kinderhaben zunehmend auch nicht mehr als normal angesehen werden. Aber vielleicht ist der (erfolgreiche) Kampf für die Hebammenarbeit ein guter Anfang, sich mal wieder auf das Wesentliche im Leben zu besinnen.
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