Es wäre mir gar nicht aufgefallen, wenn ich nicht gemerkt hätte, dass mein Geschwisterkinder-Büchlein-Vorrat aufgebraucht ist und ich dringend neue bestellen muss. In diesem Jahr habe ich nämlich bisher ausschließlich Betreuungsanfragen angenommen, die von Frauen kamen, die bereits ein oder zwei Kinder haben. Natürlich sind es zum Teil Mütter, die ich von den vorherigen Kindern kenne. Aber auch alle „Neuen“ haben bereits Kinder. Dahinter steckt kein Plan meinerseits, weil man vielleicht denken könnte, dass Ersteltern arbeitsintensiver wären. Auch Mehrfacheltern haben viele Fragen – es sind nur andere.
Der entscheidende Punkt, der zu dieser einseitigen Verteilung führt, ist die Tatsache, dass sich Ersteltern in der Regel später melden. Frauen, die bereits geboren haben, haben meist bereits Erfahrung mit Hebammenbetreuung gesammelt und haben wahrscheinlich auch viel mehr mitbekommen, wie es sich mit der Hebammenversorgung aktuell verhält. Auch wenn Tageszeitungen und andere Medien über die Hebammensituation schreiben, in Elternzeitschriften oder -portalen wird meist eindringlicher beschrieben, dass das eigentliche Dilemma nicht nur ein für Neueltern wahrscheinlich eher abstraktes Versicherungsproblem ist, sondern dass es einfach zunehmend weniger Hebammen gibt.
Natürlich informieren sich auch erstmalig schwangere Frauen, aber in der Regel brauchen sie erst mal etwas Zeit, um in der neuen Situation anzukommen. Logisch: Wenn ich übermüdet in der siebten Schwangerschaftswoche mit Übelkeit auf dem Sofa liege, ist der Gedanke an meine Betreuung während oder nach der Geburt noch ziemlich weit weg. Auch wenn die Vorsorge durch Hebammen von Anfang an möglich ist, geht der größte Teil der Mütter erst einmal nach dem positiven Schwangerschaftstest zum Frauenarzt. Und auch der weist nicht unbedingt beim ersten oder zweiten Termin darauf hin, sich doch besser fix eine Hebamme zu suchen.
Ausgebucht
Und zack ist die Frau in der zwölften oder vierzehnten Schwangerschaftswoche angekommen, was mittlerweile in manchen Regionen Deutschlands viel zu spät ist, um überhaupt noch eine Hebamme zu bekommen. Insbesondere dann, wenn eine Hebamme für die Geburtsbegleitung gesucht wird. Doch auch für die Vorsorge und die Wochenbettbetreuung sind zu diesem Zeitpunkt bereits sehr viele Kolleginnen „ausgebucht“.
Und wenn dann eine Schwangere die zehnte Absage bekommen hat, ist vielleicht die Energie für die Hebammensuche schon erloschen. Schließlich gibt es noch so viel anderes zu tun. Oder die werdende Großmutter tut das Ganze mit einem: „Wir haben das schließlich früher auch ohne Hebamme hinbekommen“ ab. Natürlich kann man bei medizinischen Fragen auch zum Gynäkologen, zum Kinderarzt oder in die Klinik gehen. Hebammenbetreuung ist aber durchaus noch ein bisschen mehr, als Schwangerschaftsbeschwerden zu lindern oder die Wundheilung nach einem Kaiserschnitt zu kontrollieren. Auch in Bezug auf das Baby geht die Betreuung weit über Gewichtskontrollen und Nabelpflege hinaus. Gerade die Stillberatung nimmt beim ersten Kind viel Zeit in Anspruch.
Fehlende Hilfe in den ersten Tagen und Wochen hat hier oft weitreichende Folgen. Die privat zu zahlende Still- und Laktationsberaterin wird meist erst dann kontaktiert, wenn gar nichts mehr funktioniert. Aber es ist natürlich trotzdem gut, sich überhaupt Hilfe zu suchen. Doch hier ist es bisweilen auch genauso schwer, eine Stillberaterin zu finden, die im Akutfall auch zeitnah kommt. Ersteltern müssen sich zudem erst überhaupt einmal orientieren, welche Hilfsangebote und Beratungsoptionen es überhaupt gibt. Als Hebamme sind wir hier oft Impulsgeber, sich weitere Unterstützung zu suchen, zum Beispiel bei psychischen Problemen im Wochenbett oder nach einer traumatischen Geburt. Auch der Gang in die Schreiambulanz, wenn ein Baby mit sehr großen Bedürfnissen zu einer zu hohen elterlichen Belastung führt, wird oft von der Hebamme angestoßen.
Hebammenhilfe nur noch beim ersten Kind?
Und so frage ich mich bei jeder Absage schon, wie es diesen Frauen wohl ergehen wird. Ich hoffe natürlich immer, dass sie doch noch irgendwie irgendwo eine Kollegin finden. Allerdings können die Kolleginnen, die aus Mitgefühl jede Betreuung annehmen, irgendwann auch nicht mehr gut arbeiten, da die Arbeitsbelastung viel zu hoch wird. Das spüren am Ende auch die Mütter. Es ist also deshalb sehr gesund, wenn man als Hebamme sein noch gut machbares Arbeitspensum kennt und entsprechend plant. Planen kann man ohnehin nie wirklich, da weder die errechneten Geburtstermine verlässlich sind, noch die Tatsache, dass eine Frau keinen Bedarf mehr hat, weil das Wochenbett beendet ist. Der Milchstau kommt immer plötzlich und bevorzugt an frei eingeplanten Wochenenden.
Immer weniger werdende Hebammen können also nicht immer mehr Frauen betreuen. Somit bringt es wahrscheinlich gar nicht all zuviel, werdende Ersteltern darauf hinzuweisen, sich ganz, ganz früh um die Hebamme zu kümmern. Denn wenn sich dann alle in der fünften Schwangerschaftswoche melden, gehen halt künftig die leer aus, die eine Woche weiter sind…
Sollte es deshalb zukünftig Hebammenhilfe nur nur noch beim ersten Kind geben, in der Hoffnung, dass die Mehrfacheltern schon zurecht kommen werden? Nein, auch das kann und soll und darf keine Lösung sein. Es würde sicherlich auch nicht dazu anregen, weitere Kinder zu bekommen. Gerade nach der Erfahrung einer schweren Geburt beim ersten Kind ist es oft besonders wichtig, bei einer weiteren Geburt gut für sich zu sorgen und zum Beispiel durch eine Beleghebamme die zuvor fehlende 1:1-Betreuung unter der Geburt abzusichern. Dies betrifft natürlich auch die Schwangerschaft und die Zeit nach der Geburt. Es ist und bleibt schwierig mit den Hebammen. Aber da es ja momentan ab Sommer nächsten Jahres scheinbar wirklich keinen Versicherer mehr für die Hebammen gibt, müssen wir uns vielleicht um dieses neu durch die Hebammenmisere entstandene Problem auch keine Sorgen mehr machen…
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