Der digitale Schwangerschaftstest ist gemacht und sagt einem mehr oder weniger zuverlässig an, wie lange man wohl schon ungefähr schwanger ist. Früher hat das mal eine Hebamme anhand der letzten Regelblutung ausgerechnet. Beim Frauenarzt gibt es die Ultraschallflatrate gerade im Angebot und so kann eine schwangere Frau zumindest bei den häufigen Kontrollen ein bisschen Zuversicht gewinnen, wenn sie das wachsende Leben in ihr auf dem Bildschirm sieht. Niemand muss mehr ihren Bauch anfassen, um zu ertasten, wie das Baby liegt und weiter wächst.
Wenn zwischendurch mal Fragen und Zweifel in der Schwangerschaft aufkommen, aktiviert sie einfach ihre Schwangerschafts-App. Denn schließlich verspricht der Hersteller: Das intelligente Schwangerschaftstagebuch enthält anhand Deiner Eintragungen die Übersicht über Dein Befinden. OneLife achtet auf Deine Werte und berät Dich jederzeit und überall mit nützlichen Tipps. Wir arbeiten eng mit Ärzten und Kliniken zusammen, um sicherzustellen, das unsere Vorschläge medizinisch validiert und aktuell sind.
Früher konnte man bei Beschwerden seine Hebamme anrufen, heute wartet man auf die Auswertung der App, nachdem man sein Befinden dort eingegeben hat. Wenn die Geburt dann ansteht, wird die Wehen-App einem schon sagen, wann es Zeit ist, den Geburtsort aufzusuchen. Hausgeburten und Geburtshäuser gibt es schon lange nicht mehr und so ist die Fahrt in das weit entfernte Perinatalzentrum unabdingbar. Doch die modernen Apps haben weite Wege mit einkalkuliert, nachdem in den letzten Jahren die meisten kleineren geburtshilflichen Abteilungen abgeschafft worden sind.
Kurzer Auftritt der Hebamme
Auf die Geburt sind die werdenden Eltern gut vorbereitet, denn schließlich kann man längst Geburtsvorbereitungskurse online machen. Somit sind diese wenigstens endlich mal das Image vom Hechelkurs los, das ihnen ja früher, als sie noch von Hebammen angeboten wurden, oft anhaftete. In der Klinik angekommen, trifft man dann sogar vielleicht noch auf echte Hebammen, wenn das Gesetz bezüglich der Hinzuziehungspflicht von Hebammen bei jeder Geburt nicht inzwischen gekippt wurde. Doch man wird die Hebamme auch hier nur kurz sehen. Längst ist man online in der Klinik angemeldet und muss nur noch seine Krankenkassenkarte abgeben, um der richtigen digitalen Dateikarte zugeordnet zu werden.
Dann wird die wehende Frau an das CTG angeschlossen und die Hebamme kann endlich wieder zu ihrem Bildschirmarbeitsplatz zurückkehren. Von dort aus überwacht sie drei Geburten gleichzeitig, indem sie auf dem Monitor die medizinischen Daten auswertet, die das CTG liefert.
Wenn eine Frau nicht so gut mit den Wehen zurecht kommt, erhält sie großzügig eine Periduralanästhesie, die sie selbst mittels einer Pumpe selbstständig dosieren kann. Durch die PDA ist es für die Frau auch einfacher, im Kreißbett liegen zu bleiben und die Wehen auszuhalten. Bewegung kann nämlich die Ableitung des CTGs erschweren. Ungenaue Daten führen dann dazu, dass die Hebamme immer wieder im Kreißsaal erscheinen muss, um die Ableitung zu optimieren. Und diese direkte Anwesenheit kostet wertvolle Personalzeit. Je besser also die Ableitung ist, umso seltener müssen Hebamme oder Arzt im Kreißsaal erscheinen. Umso mehr Geburten können gleichzeitig betreut werden.
Ein Häkchen im Stillkalender
Für die letzte Phase der Geburt ist dann doch noch mal eine ständige Präsenz des Kreißsaalpersonals bei der Frau vorgesehen. Schließlich muss auch irgendwer danach Werte erheben, die besagen, dass es Mutter und Kind gut geht und die Klinik anschließend auch von niemanden verklagt werden kann. Die Hebamme lädt nach der Geburt noch schnell mit dem Einverständnis der frisch gebackenen Eltern ein paar digitale Babybilder auf die Krankenhaushomepage hoch, bevor sie zurück an den Schreibtisch kehrt, um alle relevanten Daten ins Klinikprogramm einzugeben. Die junge Mutter hat noch mal schnell in ihrer Still-App nachgeschaut, worauf sie beim ersten Anlegen achten muss. Es tut vielleicht ein bisschen weh, doch immerhin kann sie ein erstes Häkchen im integrierten Stillkalender setzen. Auf der Klinikhomepage hatte sie sich zwar schon alle Infovideos zur Babypflege angeschaut, fühlt sich nun aber trotzdem etwas hilflos mit dem kleinen Bündel im Arm.
Die Hebammen und Schwestern auf der Wochenbettstation sitzen am Schreibtisch und geben stundenlang die von den Eltern erfassten Daten ein – sei es die Stillhäufigkeit oder die Stuhlfrequenz des Kindes. Außerdem muss im Sinne des Qualitätsmanagements alles doppelt und dreifach dokumentiert werden. Denn auch so ein Wochenbett ist voll potenzieller Gefahren für Mutter und Kind – und die könnten hinterher zu Klagen führen. Mit einem großen Stapel Entlassungspapieren und diversen Informationsblättern mit zahlreichen Links darauf geht es nach ein paar Tagen für die Familien nach Hause.
„Hebammen braucht man doch immer…“
Dann sitzen die Eltern dort mit ihrem Baby und versuchen einen Alltag hinzubekommen. Bei Fragen oder Problemen schauen sie auf ihre Baby-App oder fragen sich notfalls in einem Forum durch. Anhand von Checklisten und Tabellen lässt sich schon heraus finden, ob das Baby Bauchweh hat und die Mutter am Babyblues oder einer Wochenbettdepression leidet.
Auch die rückständigen Rückbildungskurse auf der Yogamatte einer Hebammenpraxis müssen längst nicht mehr sein. Der Afterbabybody-Planner wird schon dafür sorgen, dass die Mutter schnell wieder fit und in Form ist. Bei der U4 beim Kinderarzt werden die Eltern schon mal daran erinnert, sich die Beikost-App mit integriertem Brei-Kalkulator herunterzuladen. Und wenn die Eltern erschöpft aufgrund der schlaflosen Babynächte sind, wird die Sleepy-Sounds-App schon für die richtige Beruhigungsstrategie sorgen. Die Hebammen, die nicht am Kreißsaalmonitor Geburten überwachen, sitzen jetzt übrigens als fachliche Beratung bei den App-Entwicklern mit im Büro. Damit haben die Leute also irgendwie Recht behalten, die damals im Jahr 2015 gesagt haben: „Ach, die Hebammen werden doch nicht einfach abgeschafft, die braucht man doch immer…“
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