Neulich morgens bin ich im Kiez an der Praxis eines Orthopäden vorbeigegangen. Gemerkt habe ich das nur, weil um 8.50 Uhr eine Schlange von etwa 25 Menschen vor der unscheinbaren Praxis stand. Ein Mann saß fröstelnd auf einem kleinen Hocker und guckte sehr traurig. Gemeinsam mit Anja schlenderte ich weiter auf unserem kleinen Morgenspaziergang mit nicht mehr so kleinen Baby im Tragetuch. Und überlegte.
Ich musste durch die Warteschlange unweigerlich an die Geburten unserer Kinder denken. An das Warten auf die Geburt. An das Warten nach dem Blasensprung unserer vierten Tochter, die es ja sehr spannend gemacht hat. Und daran, dass wir zum Glück nicht warten mussten auf die Zusage einer Hebammenbetreuung, weil Anja als Hebamme natürlich früh gefragt hatte. Natürlich bei allen Schwangerschaften, so dass alle Geburten hervorragend von Hebammen begleitet waren. Ich habe mich als Vater immer sicher und gut gefühlt, ernst genommen und als Teil des großen Ganzen.
Diese Geburten waren die wertvollsten Erfahrungen in meinem Leben. Miterleben zu dürfen, wie meine Kinder geboren werden. An einem selbstbestimmten Ort, zu unseren Regeln im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten. Ohne Hebammen wäre das kaum möglich gewesen. Und diese Warteschlange beim Orthopäden nun, sie steht symptomatisch für die Probleme des Gesundheitssystems und auch den Problemen mit der Hebammenbetreuung für Schwangere und junge Eltern. Denn für eine ganze Reihe von Familien in Deutschland ist es bittere Realität, dass sie 2018 keine Chance (mehr) haben, selbstbestimmte Geburtserlebnisse im Geburtshaus oder der Klinik ihrer Wahl mit der Hebamme ihrer Wahl zu haben. Oder gar, wenn denn gewünscht, mit einer Hebamme eine Hausgeburt zu machen.
2018 keine Chance (mehr) auf selbstbestimmte Geburtserlebnisse?
Warum? Nun, rein sachlich werden viele Menschen, die ein Kind erwarten und sich nicht schon gekümmert haben, in vielen Regionen Deutschlands keine Beleghebamme oder gar ein Beleghebammenteam mehr finden können. Entweder gibt es überhaupt keine oder ihre Kapazitäten sind erschöpft. Viele Hebammen haben aufgegeben, manche wagen es trotzdem – aber insgesamt sieht es doch ziemlich düster aus in Sachen selbstbestimmter Geburt.
Es sind Fälle wie die jener Berlinerin, die ihr Kind im Krankenhaus im Alleingang ohne Hebamme und nur unter Begleitung eines Arztes gebären musste, das aber nicht wollte. Es sei „anscheinend (…) zu dieser Zeit nur eine Hebamme vor Ort“ gewesen, der Arzt aber habe gesagt, „er würde es auch allein schaffen“. Dieser Vorgang ist mitunter Alltag in deutschen Kliniken, in denen faktisch keine Geburt ohne Begleitung durch eine Hebamme erfolgen darf.
Und was tut die Politik? Die Große Koalition 2018? Sie tut nichts. Weiterhin nichts. Allein hier auf dem Blog haben wir viele Male darüber geschrieben in den letzten Jahren. Und nun? Im Koalitionsvertrag 2018 finden sich zwei Suchtreffer zum Thema Hebamme und vier Treffer zum Thema Geburt. Der designierte CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn bezeichnete diesen Vertrag als „solide Basis“. Mit Blick auf die Situation der Hebammen, geschlossene und schließende Kreissäle oder Schwangere ohne Betreuung für eine selbstbestimmte Geburt kann von einer soliden Basis keine Rede sein.
Kaum greifbares drin zum Thema Hebammenbetreuung
Die Politik möchte in der kommenden Legislaturperiode neben einer „gut erreichbaren ärztlichen Versorgung auch eine wohnortnahe Geburtshilfe, Hebammen und Apotheken vor Ort“ sicherstellen. So steht es im Koalitionsvertrag. Ebenso ist den Damen und Herren von CDU, CSU und SPD „eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe auch durch Belegärztinnen und -ärzte (…) ein Anliegen. Wir werden die Finanzierungsgrundlagen dazu überprüfen.“
In kurzen Worten heißt das: Eigentlich steht kaum greifbares drin zum Thema Hebammenbetreuung in Deutschland. Das tragische ist, dass sich daher vermutlich auch in den kommenden Jahren nichts ändern wird an der Strategie, die schon Gesundheitsminister Hermann Gröhe jahrelang nutzte: Abwarten und nichts tun. So wundert es wenig, dass Jens Spahn unlängst in einem bürgernahen Facebook-Chat das Thema Hebammen trotz zahlreicher Nachfragen einfach völlig ignoriert hat. Genauso wie weitere Nachfragen dazu auf diversen anderen Kanälen.
In jedem Fall ist es so, dass es nicht so aussieht, als ob die neue Bundesregierung einen anderen Kurs fahren wird als die alte Bundesregierung. Die Wahlfreiheit von Frauen in Sachen Geburt und Geburtsort bleibt aktuell weiter massiv eingeschränkt. Wer sich selbst davon überzeugen will, soll bitte mal versuchen, für Juli oder August noch eine Hebamme zur Betreuung zu bekommen. Aber dieses Problem wird Jens Spahn wahrscheinlich ebensowenig interessieren wie schon Herrn Gröhe zuvor. Es wird einfach nicht weiter über die Hebammen geredet. Zumindest nicht, wenn es darum geht, wirklich etwas zu verändern. Beim Wählerstimmenfang vor der Bundestagswahl wurden sie ja zumindest ganz gerne noch mal hier und da erwähnt, um ein paar der Sympathiepunkte abzugreifen, die das Thema mit sich bringt. Für die Hebammen und damit vor allem für Familien am Lebensanfang wird sich aber wohl auch in dieser Legislaturperiode nichts wirklich zum besseren wenden.
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