Wenn Mütter über traumatische Geburtserfahrungen reden, kommt oft an der einen oder anderen Stelle der Einwand, dass die Frauen heute ja auf hohem Niveau jammern. Schließlich war die Geburtshilfe, die unsere Mütter erlebten, doch ungleich schlimmer. Und diese Frauen hätten doch auch nicht alle ein Geburtstrauma. Aber ist das wirklich so?
Als Hebamme werden mir viele Geburtsgeschichten anvertraut. Das Nennen des Berufes ist oft eine Einladung, über die eigenen Geburten zu sprechen. Und das tun Frauen aus allen Generationen. Auch die heutigen Großmütter, die meist tatsächlich eine noch wesentlich weniger selbstbestimmte Geburtshilfe erlebt haben. Aber dass sie nicht so öffentlich klagen, heißt nicht, dass es deswegen gut war.
Meine eigene Mutter, die auf den ersten Blick zwei unkomplizierte Spontangeburten hatte, erinnert sich bis heute an einzelne respektlose Sätze von Ärzten und Hebammen. Diese Sätze reichten von „Die jungen Dinger brauchen immer so ewig für die Geburt“ bis hin zu „Stellen Sie sich nicht so an!“. Bis heute sagt meine Mutter, dass sie sich nur wenigstens ein einziges vertrautes Gesicht gewünscht hätte in dieser Situation. Sie aber fühlte sich „komplett fremden Menschen sehr ausgeliefert“. Mein Vater musste damals noch vor der Tür warten.
Miteinander über das Geburtstrauma reden
Und ich höre von der Mutter eines Freundes, deren primäre Aussage zur Geburt ihres Sohnes ist: „Und dann kam der Arzt herein und sprang mit Anlauf auf meinen Bauch und drückte das Kind heraus.“ Auch dieses Trauma ist längst nicht verarbeitet. Es lassen sich so viele Geschichten erzählen von Frauen, die ihre Kinder vor 30 oder 40 Jahren geboren haben. Und ja, vieles war damals wesentlich schlimmer als heute. Aber das heißt eben nicht, dass die werdenden Mütter von damals weniger verletzlich oder traumatisierbar waren als die heutigen.
Das Buch Die geprügelte Generation schildert in meinen Augen recht eindrücklich die Sprachlosigkeit und die Tabuisierung gegenüber erlebter Gewalt. Auch wenn es darin um die körperlichen und seelischen Verletzungen in Kindheit und Jugend und nicht um Geburtshilfe geht, lässt sich das Dilemma der Verdrängung gut übertragen. Die Nachkriegsgeneration hatte es in vielen Punkten wesentlich schwerer als wir. Es ist beklemmend zu lesen, wie viel Gewalt in vielen Familien an der Tagesordnung war. Nicht vergessen: Auch hier in Deutschland ist das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung erst seit dem Jahr 2000 gesetzlich verankert. Und das ist sicherlich nicht passiert, weil eine Gesellschaft dieses Vorgehen weiter unter „normaler Erziehung“ verbucht.
Ein Recht nachzuvollziehen, was geschehen ist
Frieden beginnt für mich im Kleinen. Wenn wir achtsam und respektvoll mit unseren kleinen und großen Mitmenschen umgehen, ist das die bestmögliche Prävention von Gewalt. Und ja, es ist unabdingbar, gerade in so extremen Krisensituationen wie einer Geburt äußerst feinfühlig und empathisch mit der werdenden Mutter umzugehen. Der Maßstab kann für mich da nicht „zu hoch“ sein. Und auch wenn eine bedrohliche Notsituation im Kreißsaal mal zu wenig Zeit dafür lässt, ist es doch das Mindeste, im Anschluss miteinander über das Geschehen zu reden. So viele Frauen sagen hinterher, dass sie sich das gewünscht hätten. Diejenigen, die so ein Nachgespräch hatten, haben es meist als sehr wertvoll und hilfreich erlebt.
Deshalb werde mich an dieser Stelle nicht dem immer wieder mal zu hörenden Tenor anschließen, dass die Frauen heutzutage einfach nur übertriebene Erwartungen an die Geburt haben. Es geht nicht um Spontangeburt oder Kaiserschnitt, um PDA oder keine, um die Geburt in Rückenlage oder hockend im Wasser. Es geht darum, den Frauen zuzuhören und ihre Wünsche und Sorgen ernst zu nehmen. Und gerade dann, wenn alles anders läuft, besonders achtsam zu sein. Es ist nämlich nicht zwingend der Geburtsverlauf, der das Ganze zum Trauma werden lässt. Vielmehr geht es um den Umgang mit der Frau und wie sehr ihre Selbstbestimmung gewahrt wurde, auch wenn medizinische Maßnahmen unabdingbar war. Keine Frau wird wirklich notwendige Hilfe verwehren. Aber sie hat ein Recht nachzuvollziehen, was geschehen ist. Das gilt auch für die heute meist anwesenden Väter, über deren Erleben einer traumatischen Geburt noch immer ein großes Tabu liegt.
Trauma durch gewaltvolle Geburtshilfe
Es ist und war nie egal, unter welchen Umständen Frauen ihre Kinder zur Welt bringen. Wir wissen nicht, wie Vorerfahrungen und die persönliche Resilienz einer jeden Gebärenden sind. Es gehört zur Individualität von Menschen, dass der eine schmerzhafte Erfahrungen besser verarbeitet als der andere. Unser persönliches Erleben von Krisensituationen darf aber nicht der Maßstab dafür sein, wie viel wir anderen Menschen „zumuten“.
Alle Frauen erinnern sich ein Leben lang an jede Geburt. Auch früher erlitten Frauen Traumen durch gewaltvolle Geburtshilfe. Sie hatten nur meist keinen Raum, darüber zu sprechen oder es jemals gar verarbeiten zu können. Und wenn ich manchen Müttern zuhöre, wie sie von ihren schon lange zurückliegenden Geburten berichten, muss ich unwillkürlich an den Titel des Buches der Traumatherapeutin Tanja Sahib denken: „Es ist vorbei – ich weiß es nur noch nicht“.
Diesen Text widme ich all unseren Müttern, die uns aus heutiger Sicht betrachtet teils unter wirklich unwürdigen Umständen zur Welt gebracht haben. Ich sage Danke dafür, dass ihr uns trotzdem die Stärke und das Selbstbewusstsein mitgegeben habt, jetzt hier und heute sagen zu können und zu dürfen, wie wir bei den Geburten eurer Enkelkinder gut begleitet werden möchten.
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