Eine Hebammenkollegin fragte mich, was ich von der Aussage des Babynahrungsherstellers Hipp bezüglich einer neuseeländischen Studie zur Beikosteinführung halte. Die Aussagen findet man auf einer Webseite des Herstellers. Für deren Lektüre kann man sich als Fachpersonal registrieren lassen. Außerdem wird auf das Thema im Hebammen-E-Mail-Newsletter des Unternehmens hingewiesen. In der besagten Studie wurde untersucht, ob die vom Baby geleitete Beikost das Risiko für späteres Übergewicht reduziert? Im Original lautete die Fragestellung: „Does a baby-led approach to complementary feeding reduce the risk for overweight?“
Es wurden zwischen 2012 und 2014 für die Studie 206 Kinder untersucht. Im Verlauf konnten am Ende nur noch 166 Kinder im Alter von 24 Monaten untersucht werden. Für die Daten wurde ihr Body Mass Index (BMI) im Alter von einem und zwei Jahren ermittelt. Wobei eigentlich schon vorab klar sein muss, dass der BMI sicherlich nicht allein Auskunft darüber geben kann, ob ein Kind Übergewicht hat oder nicht.
Sachlich kam bei der Studie heraus, dass im Alter von zwölf Monaten kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Gruppen bestand. Im Alter von 24 Monaten hatten in der Füttergruppe fünf von 78 Säuglingen (6,4 %) einen BMI über der 95-Prozent-Perzentile. In der Gruppe „Baby led weaning“ (BLISS) waren es neun von 87 Kindern (10,3 %). Ein Unterschied von 3,9 Prozent. Die Forscher kommen zur Schlussfolgerung, dass die vom Baby geleitete Beikosteinführung nicht zu einem dem Alter angemesseneren BMI („more appropriate“) führt als die „traditionelle“ Löffelfütterung.
Keine großen Unterschiede zwischen beiden Beikostwegen
Außerdem gaben die Eltern der nicht mit Löffel gefütterten Kinder in der Befragung häufiger an, dass die Babys „größere Freude beim Essen“ („greater enjoyment of food“) hätten. Zudem berichten die Forscher, dass eben diese Babys die Tendenz hätten, ein breiteres Nahrungsspektrum zu akzeptieren („less food fussiness“). Der Unterschied in der Kalorienaufnahme war dabei gering. So nahmen der Studie nach die nicht gefütterten Kinder mit zwölf Monaten durchschnittlich 13,15 Kilokalorien (55 kJ) und mit 24 Monaten 34,18 Kilokalorien (143 kJ) mehr auf als die gefütterten Kinder.
Grob lässt sich also zusammenfassen, dass die Studie zeigt, dass es keine großen Unterschiede zwischen beiden Beikostwegen gibt. Sicherlich ist hier noch mehr Forschung erforderlich, wenn man genauere und nachhaltigere Ergebnisse will. Zudem sagt das Gewicht von Zweijährigen letztlich erst mal noch nicht allzu viel über ein potenzielles späteres Übergewicht aus. Das werden vermutlich viele Eltern aus eigenen Beobachtungen bestätigen können. Von Kritikern der Baby geleiteten Beikosteinführung wird ja immer wieder mal gemutmaßt, dass die Kinder ohne Löffelfütterung zu wenig Nahrung aufnehmen. In diesem Licht finde ich die oben zitierte Studie sogar entlastend bezüglich eben dieses Kritikpunktes, zumindest was die Energieversorgung angeht.
Nun hat sich allerdings offenkundig auch oben genannter Babynahrungshersteller diese Studie angeschaut – und etwas eigenwillig interpretiert. So kommt Hipp in dem Portal für Fachpersonal zu dem Fazit, ein von Babys geführter Ansatz zur ergänzenden Ernährung führe nicht zu einem gesünderen Wachstum und einer besseren Gewichtsentwicklung als die traditionelle Löffelernährung, obwohl die Kinder in der BLISS (Baby-Led Introduction to Solids)-Gruppe einfacher zu ernähren waren. Stimmt. So weit, so gut. Man könnte allerdings ebenso interpretieren, dass dies auch nicht zu einem ungesünderen Wachstum oder einer schlechteren Gewichtsentwicklung führt, so dass Eltern und Kinder auch einfach weiterhin selbst entscheiden können, welcher Weg am besten für sie passt.
Fakten offensichtlich verdreht
Es folgt diesem Fazit dann noch ein Kommentar eines Pädiaters, in dem tatsächlich folgendes wortwörtlich steht:
„Die höhere Freude an der Nahrungsaufnahme und eine geringere Sättigungstendenz fördern eher eine größere Gewichtszunahme. Eine Selbstregulation der Nahrungsaufnahme ist, wie die Studie ausweist, der Adipositas-Prävention bei Säuglingen nicht förderlich. Dies mag in Zeiten der Nahrungsunsicherheit ein wichtiger Schutz sein, führt aber in Zeiten der Nahrungssicherheit wahrscheinlich eher zur Adipositas. Die BLISS-Fütterung mag für manche Säuglinge neben der Löffelfütterung eine sinnvolle Option sein. Ein Vorteil für die Prävention der Adipositas lässt sich aus der aktuellen Studie jedoch nicht erkennen. Die Evidenz, ob es sich bei BLISS um eine sinnvolle Ergänzung oder Alternative in der Säuglingsernährung zur Einübung von Selbstkontrolle und Selbstregulation in der Ernährung handelt, steht noch aus.“
Verstehen die eingangs fragende Kollegin und ich das richtig? Mehr Freude beim Essen führt wahrscheinlich eher zu Übergewicht? Und auch die Selbstregulation beim Essen ist nicht förderlich?
Hmm, sollten dann Babys auch besser nicht mehr nach Bedarf gestillt und gefüttert werden? Sollten wir den Kindern am besten schon im Säuglingsalter die Freude beim Essen abtrainieren? Und für Kinder in Ländern, die kein so sicheres Nahrungsangebot haben wie wir, ist das wahrscheinlich auch eine ganz gute Idee, aber wir brauchen das nicht?
Ich bin als Hebamme wirklich schockiert, wie hier die Fakten offensichtlich verdreht werden. Ich hoffe sehr, dass diese Aussage gerade in einem Fachportal nicht einfach unkritisch gelesen und dann so an Eltern weiter gegeben wird. Aber so ist das leider häufig mit Studien: Jeder liest sich das heraus, was er lesen möchte. Wie gut, dass die Kinder einem oft genug einfach zeigen, dass es immer wieder auch ohne ganz gut ohne Studien geht und zum Beispiel die Beikosteinführung nun wirklich keine Raketenwissenschaft ist.
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