Fragen an die Hebamme: Wie funktioniert Windelfrei?

Schon seit Jahren setzen sich werdende Eltern nicht nur mit verschiedenen Wickelvarianten auseinander. Auch das Thema „Windelfrei“ wird oft schon während der Schwangerschaft recherchiert. Schon der Begriff ist tatsächlich irreführend. Es geht nämlich gar nicht darum, komplett auf Windeln zu verzichten.

Als Hebammen werden wir immer wieder gefragt, wie Windelfrei eigentlich funktioniert. Dabei „funktioniert“ es gar nicht. Windelfrei ist viel mehr ein Angebot, bei dem Eltern und Baby miteinander in die Kommunikation gehen. In diesem Beitrag erfährst Du von Hebamme und Windelfrei-Coach Christina Hinderlich, wie du Windelfrei in euren Babyalltag integrieren kannst.

Windelfrei bedeutet, dass Eltern ihrem Baby die Gelegenheit geben, sich zu erleichtern, wenn das Baby muss. Dafür halten sie es über ein kleines Töpfchen oder ein Waschbecken – das nennt sich Abhalten. Neben Windelfrei gibt es noch die Begriffe „Ausscheidungskommunikation“, „topffit“ und „Wickeln nach Bedarf“.

Anzeichen und Signale deuten

Das Bedürfnis auszuscheiden erkennt man bei kleinen Babys oft daran, dass sie sich ganz plötzlich im Ausdruck verändern. Sie werden ungewöhnlich unruhig. Strampeln mit den Armen oder Beinchen. Ziehen Grimassen oder geben bestimmte Laute von sich. Spielende Babys werden vielleicht plötzlich mitten im Spiel ganz ruhig.

Eltern können relativ leicht lernen, die Zeichen ihres Babys zu deuten. Je nach Alter gibt es auch einen erkennbaren Rhythmus. Wer sich beim Deuten der Signale noch schwer tut, kann Standardsituationen nutzen, etwa das Abhalten direkt nach dem Schlafen. Kurz nach dem Aufwachen müssen verlässlich alle Babys.

Mit Windelfrei beginnen

Windelfrei kann direkt nach der Geburt begonnen werden. Aber Eltern dürfen sich auch hier erst mal Zeit zum Ankommen nehmen und selbst herausfinden, wann was für sie passt. Idealerweise beginnen Eltern in den ersten vier bis fünf Monaten, sobald sie sich im Umgang mit ihrem Baby sicher genug fühlen. Ältere Babys, die sich bereits drehen oder fortbewegen, sind meist erst mal mit anderen Lernfortschritten voll beschäftigt.

Generell kann aber zu jedem Zeitpunkt begonnen werden, dem Baby das Abhalten anzubieten. Das individuelle Windelfrei sollte sich nur an den gerade aktuellen Entwicklungsstand des Kindes anpassen. Aus der Erfahrung wissen wir, dass Baby einen Moment warten, wenn sie wissen, dass sie abgehalten werden. Auf ein Zeichen hin wie etwa ein Geräusch, was die Eltern machen, lassen sie dann los, wenn sie in der für sie richtigen Position sind. Wichtig ist hierbei, dass der Fokus nicht darauf liegt, lange anzuhalten sondern gezielt loszulassen.

Kein Sauberkeitstraining

Windelfrei ist kein „Sauberkeitstraining“. Viel mehr ist es ein weiterer möglicher Bindungsbaustein, der auf achtsamer Kommunikation beruht. Eltern und Kindern sollten gemeinsam Spaß und keinesfalls Stress damit haben.

Bei schon größeren Kindern müssen die Eltern den Ablauf interessanter gestalten und darauf achten, dass sie das Kind nicht einfach im Spiel unterbrechen. Sonst wird es zu Recht wenig Bereitschaft haben, sich darauf einzulassen. Ältere Kinder möchten auch schon vieles selbst machen und entscheiden: das Wo, Wann und Wie. Dies sollten Eltern entsprechend mit einbeziehen.

Windelfrei durch die Nacht

Nachts ist es am wichtigsten, dass alle in der Familie ausreichend Schlaf bekommen. Deswegen sollten Eltern besonders darauf achten, dass Schlaf immer Priorität vor dem Abhalten hat. Es ist auch völlig in Ordnung, tagsüber abzuhalten und nachts Windeln zu benutzen.

Für das nächtliche Abhalten sollten sowohl die Kleidung sowie der Schlafsack möglichst einfach handhabbar sein. So gibt es Schlafsäcke, die sich unten mit zwei Zippern öffnen lassen. Ein Nässeschutz im Bett sowie Wechselwäsche in der Nähe sind ebenso hilfreich. Abhaltetöpfchen und eine dezente Lichtquelle sollten ebenfalls gut erreichbar sein, wenn nachts abgehalten wird. 

Babys machen sich nachts bemerkbar, wenn sie müssen. Gemeinsam schlafende Eltern-Kind-Paare synchronisieren im Laufe der Zeit ihre Schlafrhythmen, so dass man durch die beginnende Unruhe des Kindes nicht unbedingt aus dem Tiefschlaf geweckt wird. Vielleicht sind die Zeichen auch so fein, dass sie von den Eltern „verschlafen“ werden. Das ist auch völlig okay. Und es ist gut zu wissen, wenn dann eine Windel oder eine andere Form von Backup schützt. Windelfrei ist kein Wettbewerb. Und Schlaf ist essentiell, um genug Kraft zu haben, sich feinfühlig um die Bedürfnisse von Kindern zu kümmern. 

Windelfreie Ausstattung

Für Windelfrei braucht man eigentlich nicht viel außer einem Baby und die Neugierde, sich darauf einzulassen. Dennoch gibt es Produkte, die den windelfreien Alltag erleichtern können. Abgehalten werden kann über der Toilette, dem Waschbecken, der Badewanne, einem Gebüsch oder eben auch in einem kleinen Töpfchen. Das kann eine Rührschüssel sein oder ein spezieller Abhaltetopf.

Eltern dürfen da kreativ werden. Das Baby muss auch nicht immer am gleichen Ort abgehalten werden. Viele Eltern haben das Töpfchen direkt am Wickeltisch. Andere nehmen es überall mit hin oder halten nur ab, wenn eine Toilette verfügbar ist. Hier gilt es herauszufinden, was individuell für jede Familie am besten passt. Darüber hinaus gibt es auch abhaltefreundliche Hosen, die man nicht ausziehen muss. Oder bestimmte Stoffwindeln, die beim Abhalten nicht runterfallen. Wasserdichte Unterlagen oder Trainerhosen können hilfreich sein, damit nicht gleich alles nass ist, wenn sich das Baby entleert, ohne dass es gerade abgehalten wird.

Windelfrei versus Wickeln

Windelfreie Babys, die keine oder seltener Windel tragen, sind in der Regel weniger wund und haben ein anderes Körpergefühl in diesem Bereich. Die Kommunikation mit den Eltern wird gestärkt, weil das Baby sehr früh erfährt, dass seine Eltern verstehen, wenn es anzeigt zu müssen. Das wirkt sich positiv auf die kindliche Selbstwirksamkeit aus.

Ganz praktisch bedeutet Windelfrei für die Familie weniger Kosten für Windeln und weniger Aufwand mit dem Prozess des Trockenwerdens. Wenn ein voriges Geschwisterkind Probleme hatte, trocken zu werden, entscheiden sich viele Eltern für ein frühes Abhalten, weil sie so dem Baby die Windel quasi gar nicht erst „antrainieren“.

Nicht zu vergessen ist der Nachhaltigkeitsaspekt. Davon ausgehend, dass ein Kind durchschnittlich 3800 mal gewickelt wird, können hier natürlich viele Windeln und dementsprechend viel Müll durch Wegwerfwindeln eingespart werden. Windelfrei kann auch bei Kindern, die schnell wund werden oder sich gegen das Wickeln wehren, eine gute Option sein. Und gerade bei kleinen Babys kann Unruhe beim Stillen oder beim Schlafen mit Abhalten oft gelindert werden. 

Windelfreier Alltag

Ganz klar ist das rechtzeitige Reagieren auf die kindlichen Signale und das Abhalten am Anfang aufwändiger. Gerade weil wir hierzulande andere kulturelle Gewohnheiten und Erwartungen haben, ist mit Unverständnis oder fehlender Unterstützung im Umfeld zu rechnen.

Auf längere Sicht gesehen bedeutet Windelfrei für viele Familien weniger Aufwand, weil es die Ausscheidungssituationen gerade im beginnenden Kleinkindalter oft sehr erleichtert. Es müssen keine sich wehrenden Zweijährigen gewickelt werden. Oftmals geht schon im ersten Jahr das große Geschäft verlässlich in das Töpfchen oder die Toilette. Das ist besonders erleichternd ist, wenn die Beikostzeit beginnt. 

Windelfrei in Teilzeit

Trotz dieser Vorteile sollte es jede Familie für sich abwägen, ob und wie Windelfrei in den Alltag integrierbar ist. Viele Familien leben Windelfrei in Teilzeit und benutzen zum Beispiel unterwegs Windeln. Auch bei Wideraufnahme der Berufstätigkeit lässt sich windelfrei so gestalten, dass es für alle Beteiligten passt. So gibt es Erzieher*innen oder Tageseltern, die sich auf das Abhalten nach dem Mittagsschlaf einlassen. Wenn das nicht möglich ist, können Kinder auch mit der Situation umgehen, dass es zu Hause und in der Betreuungseinrichtung unterschiedlich abläuft.

Windelfrei ist ein Angebot und kein Muss. Lass dich von deiner Hebamme zu den Basics und zum Handling beraten. Für weiterführende Informationen gibt es speziell geschulte Windelfrei-Coaches. Gemeinsam könnt ihr die Version von Windelfrei finden, die für dich und deine Familie passt. Denn Windelfrei funktioniert nicht, sondern ist ein möglicher Weg, dein Baby zu begleiten.

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