Nach der Geburt eines Kindes steht das bisherige Leben oft Kopf. Egal, ob es das erste oder ein weiteres Kind ist, ob die Schwangerschaft lange geplant, erwünscht oder überraschend war. Die ersten Wochen mit Baby sind fast immer eine Herausforderung, auf die Eltern sich nur begrenzt vorbereiten können. Der ungewohnte Mix aus Schlafmangel, Überforderung und Lebensumstellung ist vorher nur schwer vorstellbar – und kann in einer Wochenbettdepression enden.
Zusätzlich zu den körperlichen Veränderungen gesellt sich vor allem bei der Mutter fast immer auch ein seelisches Durcheinander. Glücksgefühle und Zuversicht auf der einen Seite und Ängste und Sorgen andererseits können sich regelmäßig abwechseln.
Wochenbettdepression ist mehr als Babyblues
Nicht selten gehen Familie und Freund*innen davon aus, dass neue Eltern einfach nur glücklich sind und dieses Gefühl alle Anstrengungen überstrahlt. Bei Menschen, die selbst Kinder haben, verblasst nicht selten die eigene Erinnerung an die ersten Wochen mit Kind. Kommentare wie „das geht vorbei“ oder „genießt es, sie werden so schnell groß“ sind häufig zu hören.
Doch gerade in den ersten Tagen ist das Glück selten ungetrübt. Nach der Euphorie der ersten Stunden macht sich die Hormonumstellung bemerkbar. Fast alle Frauen spüren am dritten bis fünften Tag nach der Geburt einen so genannten Babyblues.
Ein Gefühl von Dünnhäutigkeit und emotionaler Weichheit stellt sich ein. Die Tränen fließen schnell und scheinbar grundlos. Diese mentale Talfahrt ist für die meisten Frauen nach ein paar Tagen vorbei. Dennoch wird die Umstellung auf das neue Leben häufig noch ein paar Wochen das psychische Wohlbefinden bestimmen.
Unerklärliche Traurigkeit
Nicht selten bleibt ein Gefühl von unerklärlicher Traurigkeit, stellen sich immer wieder Ängste und Überforderung ein. Vielen Frauen fällt es schwer, diese diffusen schweren Gefühle zu verstehen und zu akzeptieren. Die Tage fühlen sich grau, der Alltag belastend an, ohne dass es dafür einen konkreten Grund gibt. Wenn dieser Zustand anhält, ist professionelle Hilfe wichtig.
Eine so genannte Wochenbettdepression trifft nach Schätzungen bis zu 15 Prozent der Mütter. Sie tritt unterschiedlich schwer auf. Es ist eine psychische Erkrankung, die ernst zu nehmen ist, aber mit therapeutischer Hilfe und gegebenenfalls mit Medikamenten gut behandelbar ist. Eine Wochenbettdepression kann im gesamten ersten Lebensjahr des Kindes auftreten.
Der manchmal auch „Heultage“ genannte Babyblues ist vielen Menschen ein Begriff. Es wird als normal empfunden, wenn Frauen in den ersten Tagen nach der Geburt nah am Wasser gebaut sind. Gerade wenn die Geburt schwierig war, es gesundheitliche Probleme bei Mutter oder Kind gibt, ist das Verständnis für die psychische Belastung der Eltern da. Doch wenn auf den ersten Blick alles in Ordnung ist, Mutter und Kind gesund sind, kann es für Außenstehende schwierig sein, die psychische Belastung zu verstehen.
Alle Symptome ernst nehmen
Vielen Eltern fällt es auch schwer, ihre Gefühle zu formulieren. Zu groß ist der Druck, glücklich zu sein, das Leben mit dem Neugeborenen zu genießen. Nicht selten äußert sich daher eine Wochenbettdepression in scheinbar normalen Begleiterscheinungen im Leben mit Kind:
- Schlafprobleme
- Überforderung in der Bewältigung des Alltags
- Schwierigkeiten in der Versorgung des Kindes
- Schwierigkeiten dabei, Bindung zum Kind aufzubauen
Eine Wochenbettdepression zeigt sich selten deutlich und dramatisch, sondern eher leise und an „Nebenschauplätzen“. Daher gilt es, das psychische Befinden der Mutter über die ersten Tage hinaus ernst zu nehmen und immer wieder zu erfragen. Die Hausbesuche der Hebamme (die ja bis zum Ende des Wochenbetts stattfinden können) bieten die Möglichkeit für ein Gespräch. Aber auch Familie und Freund*innen sollten versuchen, der Wöchnerin emotional beizustehen und Entlastung anzubieten.
Für eine erste Selbsteinschätzung gibt es einen seit langem erprobten Fragebogen, die so genannte Edinburgh Postnatale Depression Skala (EPDS). Mit zehn Fragen wird die Stimmung der letzten sieben Tage erfasst. Dieser Fragebogen kann helfen, sich über seine Gefühle klar zu werden und zu erkennen, ob Hilfe von außen erforderlich ist. Er kann auch den Anstoß geben, über den momentanen Zustand zu sprechen.
Schwierige Gefühle
Bei vielen Müttern äußert sich eine beginnende Wochenbettdepression unter anderem darin, dass sie Schuldgefühle gegenüber ihrem Baby empfinden. Sie spüren, dass sie ihr Kind nicht so lieben können, wie sie es sich vorher vorgestellt haben und wie es (vermeintlich) von ihnen erwartet wird.
Die Versorgung des Kindes rund um die Uhr ist anstrengender als erwartet. Das Stillen belastet, der neue Tagesrhythmus und der unterbrochene Nachtschlaf sind ungewohnt. All diese Empfindungen können normal sein. Die Erfahrung zeigt, dass sich fast alle Eltern in den ersten Wochen so fühlen. Und doch ist es nicht üblich, darüber offen zu reden.
Das führt oft dazu, dass sich die Schuldgefühle noch verstärken. Es fühlt sich nicht normal an, dem oft gewünschten und geplanten Baby gegenüber negative Gefühle zu haben. Viele Frauen sehnen sich nach ihrem alten Leben ohne Kind zurück und schämen sich dafür.
Vorbeugung in der Schwangerschaft
Zu Beginn der Schwangerschaft sollte bei der Anamnese durch Hebamme und Gynäkologin auch nach psychischen Erkrankungen der Schwangeren und in der Familie gefragt werden. Nicht selten haben Frauen in ihrem bisherigen Leben schon mal eine psychisch belastete oder depressive Phase erlebt – zum Beispiel im Zusammenhang von Umbrüchen oder Veränderungen im Leben.
Da die Geburt eines Kindes eine große Umstellung für Körper und Seele ist, kann dies ein Auslöser für psychische Veränderungen wie eine Wochenbettdepression sein. Je nach Vorgeschichte kann es hilfreich sein, schon in der Schwangerschaft Kontakt zu einer Therapeutin oder einer Beratungsstelle zu suchen.
Es kann auch eine Vorbereitung auf die Zeit nach der Geburt sein, mit dem Partner/der Partnerin, mit der Familie und Freund*innen über die psychischen Aspekte des Mutterwerdens und des Wochenbetts zu sprechen und dabei zu klären, welche Unterstützung helfen könnte.
Praktische Hilfe bei Wochenbettdepression
Wenn eine Wöchnerin an einer Wochenbettdepression erkrankt oder der Verdacht einer Erkrankung besteht, ist ein Netzwerk an Hilfe nötig.
- Die Mutter braucht Zeit für sich, für Körperpflege, ein entspannendes Bad oder eine Massage. Wenn Menschen depressiv sind, gelingt Entspannung und Beruhigung nicht auf Knopfdruck. Es braucht unter Umständen viele kleine Auszeiten, in denen das Abschalten auch nicht immer funktioniert. Wichtig ist, dass die Mutter ihr Kind gut versorgt weiß und es außer Hörweite ist.
- Familie und Freund*innen können die Versorgung des Haushalts und das Kochen organisieren. Es ist hilfreich, wenn die Wöchnerin regelmäßig isst und sich körperlich bewegt. Begleitung bei Spaziergängen oder sportlichen Aktivitäten kann eine praktische Hilfe sein.
- Ein Symptom der Wochenbettdepression sind Schuldgefühle, besonders dem Baby gegenüber. Betroffene Frauen fühlen sich hilflos und inkompetent in ihrer Mutterrolle. Es kann helfen, die Mutter in ihrem Umgang mit dem Baby zu bestärken und immer wieder zu loben.
Solch eine psychische Erkrankung wie die Wochenbettdepression als Betroffene und als Familie durchzustehen, ist ein hartes Stück Arbeit. Doch wenn offen damit umgegangen und Hilfe angenommen wird, kann die Familie mit Zuversicht in die Zukunft blicken.
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