Halten, tragen, verschließen und locker lassen: diese Aufgaben des Beckenboden sind in einer Schwangerschaft besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Oft entwickeln Schwangere in dieser Lebensphase überhaupt erst ein Bewusstsein für diesen Bereich ihrer Körpermitte. Denn Beckenbodengesundheit ist weder in der Schulzeit noch danach ein Thema. Und niemand fragt: Ist Beckenbodentraining in der Schwangerschaft sinnvoll?
Oft beginnt das Interesse daran erst mit schon wahrgenommenen Beschwerden wie Harnentleerungsstörungen, Inkontinenz oder Senkungen der Beckenorgane wie zum Beispiel dem Uterus (Gebärmutter). Ein geschwächter Beckenboden kann aber auch Schmerzen im unteren Rückenbereich oder beim Sex verursachen.
Es wäre im Sinne einer guten Gesundheitsprävention wichtig, dass vorab die Funktion und Bedeutung des Beckenbodens bekannt sind. Ebenso wie die Diagnostik- und Therapieoptionen bei schon vorhandenen Beschwerden.
Aufbau und Funktion des Beckenbodens
Der Beckenboden ist dreischichtig aus untrennbar miteinander verbundenen flächigen Muskeln und Bindegewebe aufgebaut. Harnröhre, Vagina und der Enddarm sind darin verankert mit dem entsprechenden Durchlass. Der Beckenboden passt sich seinen Aufgaben an. Mal ist er stabil und Halt gebend. Oder eben weich und durchlässig wie zum Beispiel für die Geburt erforderlich. Der Beckenboden sorgt im besten Fall dafür, dass Stuhl und Urin nur dann entleert werden, wenn es willkürlich gewünscht ist.
Von außen ist der Beckenboden nicht zu sehen. Aber manchmal lässt sich sehen, was er im Inneren gerade tut. Denn die Beckenbodenmuskulatur ist mit bestimmten Reflexzonen im Körper verbunden. Eine aufrechte Körperhaltung ist mit einem eher aktiven Beckenboden verknüpft. Im Rundrücken hingegen gehen über 50 Prozent der Beckenbodenkraft verloren. Und im Hohlkreuz sogar noch mehr.
Hebammen sehen unter der Geburt am Gesichtsausdruck, wenn die Spannung im Beckenboden hoch ist. Bestimmte Reflexzonen wirken hier gegenseitig. Ein entspannter Kiefer und ein lockerer Mundraum helfen, die Beckenbeweglichkeit zu verstärken und den Beckenboden zu entspannen. Und umgekehrt sieht man der typischen Anspannung in unserem Gesicht deutlich an, wenn wir dringend Urin lassen müssen, aber keine Toilette in der Nähe ist.
Belastung des Beckenbodens in der Schwangerschaft
Dieses Wissen wird in der Geburtsvorbereitung und beim Gebären selbst genutzt. Eine Massage zwischen den Augenbrauen, bewusstes Lockern des Mundraumes oder das Tönen fördern das Loslassen und Entspannen im Beckenbodenbereich. Das ist hilfreich bei der Geburt, kann aber auch bei einem Harnverhalt förderlich sein.
Der Körper wird auf allen Ebenen durch eine Schwangerschaft gefordert. Für den Beckenboden aber ist sie eine besondere Herausforderung. Zum einen lastet durch das Baby zunehmend mehr Gewicht auf ihm. Der Körperschwerpunkt verlagert sich, was der Beckenboden auszugleichen versucht. Zum anderen sorgen Hormone wie Progesteron, Östrogen und Relaxin dafür, dass Muskulatur, Bindegewebe und die haltenden Bänder nun weicher und aufgelockerter werden. So kann der wachsende Uterus seinen Platz im Körper finden. Und es sind dadurch gute Voraussetzungen für die Geburt gegeben. Gleichzeitig begünstigt dieses Weichwerden auch Beschwerden wie eine gestörte Kontrolle über die Harnausscheidung (Inkontinenz), Hämorrhoiden oder Krampfadern (Varizen).
Durch das wachsende Kind steigt der Druck im Bauchraum auf den Beckenboden. Die Platzverhältnisse verändern sich, was zum Beispiel dazu führt, dass im letzten Schwangerschaftsdrittel die Blasenkapazität kleiner wird. Schwangere bemerken dies an häufigeren Toilettengängen. Dies kann auch schon in der Frühschwangerschaft auftreten, ist hier aber vor allem mit der gesteigerten Durchblutung der Nieren und einer erhöhten Harnproduktion erklärbar.
Risikofaktoren für Beckenbodenprobleme
Neben der Schwangerschaft gibt es weitere Risikofaktoren für Beckenbodenprobleme, darunter höheres Alter, Übergewicht oder Bindegewebsschwäche. Anhaltend belastet wird der Beckenboden auch durch eine chronische Verstopfung oder anhaltenden Husten und den erhöhten Druck im Bauchraum.
Natürlich spielen auch die Anzahl der vorherigen Schwangerschaften sowie der Verlauf vorheriger Geburten eine Rolle bei den Risikofaktoren für Beckenbodenprobleme. So sind vor allem Faktoren wie schwere geburtshilfliche Verletzungen, vaginal-operative Eingriffe aber auch lange Austrittsphasen begünstigend.
Welcher Geburtsmodus bei einer folgenden Geburt am passendsten ist, lässt sich aber nicht pauschal sagen. Denn auch eine Bauchgeburt (Kaiserschnitt) kann nicht verhindern, dass nach der Geburt eine Beckenbodenschwäche auftritt oder anhält. Hier gilt es alle für die Betroffene relevanten Aspekte mit in eine Entscheidungsfindung einzubeziehen, um gut zwischen Nutzen und Risiken abzuwägen.
Muskeln können regenerieren
Eine Zusammenarbeit zwischen dem geburtshilflichen Team und Beckenbodenspezialist:innen ist hier wünschenswert. Das gilt natürlich schon für die Zeit vor einer erneuten Schwangerschaft. Es gibt spezielle Beckenbodenzentren, in denen interdisziplinär diagnostiziert und behandelt wird. Spezialisierte Physiotherapeutinnen können ein individuell abgestimmtes Training anbieten, das die Beckenbodenmuskulatur stärkt. Da Muskeln regenerieren können, lassen sich so auch Beschwerden wie Inkontinenz deutlich bessern.
Es ist also auf jeden Fall empfehlenswert, bei anhaltenden Beschwerden Hilfe in Anspruch zu nehmen und dies nicht als gegeben hinzunehmen. Die betreuende Hebamme oder behandelnde Gynäkologin sind hier Ansprechpartnerinnen. Unter den Suchbegriffen „Beckenbodentherapie“, „Beckenbodenrehabilitation“ und „Beckenbodenzentrum“ lassen sich geeignete Einrichtungen finden.
Der Beckenboden darf und soll in der Schwangerschaft trainiert werden. Geeignete Übungen unterstützen die Wahrnehmung und Stärkung der Muskulatur. Das Wahrnehmen und bewusste Ansteuern der Beckenbodenmuskulatur ist auch im Kontext Geburt hilfreich. Gezieltes Anspannen und Loslassen sind gleichermaßen wichtig. Ein gut trainierter Beckenboden kann beim Gebären besser wahrgenommen werden und das gezielte Loslassen fällt leichter. Auch ist es im Wochenbett einfacher, auf dieses Training aufzubauen.
Beckenbodentraining in der Schwangerschaft
Besonders Frauen mit Risikofaktoren oder schon bereits bestehenden Problemen wie Inkontinenz profitieren von einem angeleiteten Beckenbodentraining in der Schwangerschaft. Ein beckenbodenfreundliches Alltagsverhalten hilft vor und nach der Geburt dabei, den Beckenboden zu entlasten. Beckenbodentraining hat viel mit der Körperhaltung zu tun. Diese wird durch die Schwangerschaft stark beeinflusst. Eine gute Haltung beugt nicht nur Beckenbodenproblemen und Rückenschmerzen vor, sondern unterstützt zum Ende der Schwangerschaft hin auch das Baby, eine gute Startposition für die Geburt einzunehmen.
Bisweilen hört man immer noch Bedenken gegen ein Beckenbodentraining in der Schwangerschaft. Als Argument wird oftmals angeführt, dass ein zu kräftiger Beckenboden womöglich die Geburt erschweren könnte. Bei einem guten und angemessenen Training geht es nicht um eine maximale Daueranspannung im Beckenboden. Vielmehr sorgen eine gute Wahrnehmung und der Wechsel von Anspannung und Loslassen für eine entsprechende Elastizität des Beckenbodens. Dies ist eher förderlich, auch für die Geburt: an einem stabilen Beckenboden kann das Kind „vorbeirutschen“. Ein schlaffer und nachgiebiger Beckenboden hingegen wird mit dem Kind nach unten geschoben.
Bei Beschwerden oder Risikofaktoren wie vorzeitigen Wehen, aber auch einfach persönlichen Bedenken kann vorab die Hebamme oder Gynäkologin zur individuellen Situation befragt werden. Die Beckenbodengesundheit ist auch ein Thema im Geburtsvorbereitungskurs. Aufgrund des großen Themenspektrums und der doch dafür oft unzureichenden Stunden, kommt es aber hier doch eher kurz. Es ist deshalb sinnvoll, sich mehr und früher Zeit dafür zu nehmen, den in Alltag und Schwangerschaft geforderten Beckenboden zu stärken und schützen.
Schreibe einen Kommentar