Die Blase springt, das Fruchtwasser läuft die Beine herunter. Nun, so spektakulär wie in Filmen oft dargestellt, ist ein Blasensprung meist nicht. Vor allem nicht, wenn es sich um einen vorzeitigen Blasensprung vor dem Beginn regelmäßiger Wehentätigkeit handelt. Viele Frauen rätseln sogar, ob das nun wirklich Fruchtwasser ist, was da das nasse Gefühl im Intimbereich verursacht.
Trotzdem ist in vielen Köpfen fest verankert, dass sich eine Frau nach einem Blasensprung sofort hinlegen muss. Ganz egal, ob sie gerade an der Käsetheke oder eben auch in der Straßenbahn steht. Manche Frauen kommen mit dieser Information auch aus einem Geburtsvorbereitungskurs oder vom Frauenarzt oder der Hebamme. Aber warum sollten sich Schwangere eigentlich überhaupt nach einem Blasensprung hinlegen?
Auch ich erlebe oft, dass Eltern gar nicht wissen, warum diese Empfehlung eigentlich ausgesprochen wird. Nicht wenige mutmaßen, dass es darum geht, dass das Baby nicht „auf dem Trockenen“ liegt. Aber keine Sorge, auch nach einem Blasensprung wird kontinuierlich neues Fruchtwasser nachgebildet. Am Ende der Schwangerschaft wird pro Stunde das Fruchtwasser etwa zu einem Drittel ausgetauscht. Dies geschieht durch Produktion und Resorption, zum Beispiel auch dadurch, dass das Baby einen Teil des Fruchtwassers schluckt und es so über seinen Kreislauf wieder zur Mutter zurückgelangt. Gebildet wird das Fruchtwasser über die Placenta, aber auch über die kindliche Lunge und die Bildung von Urin, sobald die Nierenfunktion des Babys entsprechend entwickelt ist.
Eine sehr selten auftretende Komplikation
Die Idee hinter der Liegeempfehlung ist es, einen so genannten Nabelschnurvorfall zu verhindern. Diese sehr seltene, aber höchst dramatische geburtshilfliche Komplikation entsteht, wenn sich die Nabelschnur vor den vorangehenden Teil des Kindes schiebt. Das ist in den meisten Fällen das Köpfchen. Dies könnte zum Beispiel bei einem Blasensprung geschehen, wenn der vorangehende Teil noch keinen Bezug zum Becken hat. Das eigentliche Problem entsteht dann, wenn dadurch Druck auf die Nabelschnur kommt und diese zusammengedrückt wird. Somit wird die Versorgung des Babys unterbrochen.
Das Zeitfenster, in dem die Geburtshelfer dann handeln können, ist sehr klein. Man versucht durch Hochschieben und Halten des vorangehenden Teiles bei einer vaginalen Untersuchung die Kompression zu mindern. Außerdem werden die Wehen medikamentös gebremst (Tokolyse). Dies dient nur der kurzfristigen Überbrückung, bis man das Baby umgehend mit einem Notkaiserschnitt auf die Welt holen kann. All diese Maßnahmen sind in der Regel nur in der Klinik möglich. Oft ist auch hier der Nabelschnurvorfall ein „Zufallsbefund“, wenn die Hebamme bei der vaginalen Untersuchung plötzlich die pulsierende Nabelschnur ertastet.
Würde diese Situation zu Hause oder in der Straßenbahn auftreten, wären diese Maßnahmen alle nicht möglich. Das reine Hinlegen würde dann wenig helfen, wenn die Nabelschnur tatsächlich mit einem großen Schwall Fruchtwasser am Köpfchen vorbei gespült wird und dann noch durch Wehentätigkeit zusätzlich komprimiert wird. Der Nabelschnurvorfall erfolgt also in der Regel bereits im Moment des Blasensprunges, den man ja nun mal nicht voraussehen kann. Zum Glück ist aber so ein Nabelschnurvorfall eine sehr selten auftretende Komplikation.
Evidenz für dieses Vorgehen gibt es nicht
Es gibt Faktoren, die dieses Geschehen etwas begünstigen, wie zum Beispiel, wenn das Kind quer im Bauch der Mutter liegt. Meist stellt dann aber der Vorfall der Nabelschnur weniger gefährlich dar, weil diese nicht so stark komprimiert wird. Auch bei einer Fuß- oder Steißlage sowie bei einem Kind mit eher kleinem Kopf (etwa auch bei Frühgeburtlichkeit) könnte die Nabelschnur eher mit nach vorne rutschen. Am seltensten kommt der Nabelschnurvorfall bei Schädellagen vor. Eine Eröffnung der Fruchtblase durch die Geburtshelfer kann ein Risiko darstellen, wenn das Köpfchen noch keinen Bezug zum Becken hat. Deshalb muss hier wie generell bei jedem invasiven Eingriff unter der Geburt zwischen Risiko und Nutzen abgewogen werden.
2013 lag die Häufigkeit für das Auftreten eines Nabelschnurvorfalls in Deutschland bei 0,06 Prozent. Also ist es tatsächlich ein seltenes Ereignis. In anderen vergleichbaren Ländern sehen die Zahlen ähnlich aus. Trotzdem sind die Empfehlungen, wie Mütter sich bei einem vorzeitigen Blasensprung verhalten sollen, sehr unterschiedlich. So steht in der Deutschen Hebammenzeitschrift (10/2015), dass in Norwegen (mit eher weiten Anfahrtswegen zur Klinik) die Frauen bei Blasensprung am Termin, mit normal aussehendem und riechenden Fruchtwasser und regelmäßigen Kindsbewegungen erst mal zu Hause bleiben können. Sie werden am Telefon entsprechend beraten. In den Niederlanden wird die betreuende Hebamme kontaktiert, die dann bei einem Hausbesuch kontrolliert, wie das Baby liegt. In Deutschland wird fast allen Frauen empfohlen, sich nach einem Blasensprung hinzulegen und den Rettungswagen zu rufen, wenn sie nicht sicher wissen, dass das Köpfchen des Babys bereits relativ fest im Beckeneingang sitzt. Eine wirklich Evidenz für dieses Vorgehen gibt es nicht.
Aber was genau ist eigentlich das Problem am Liegendtransport? Die Kosten für das Gesundheitssystem lasse ich jetzt mal außen vor. Wobei man mit dem Vermeiden von nicht evidenzbasiert sinnvollen Maßnahmen eine Menge Geld einsparen würde, das man dort einsetzen könnte, wo es wirklich sinnvoll ist. So ein Liegendtransport in die Klinik jedenfalls bedeutet für die meisten Eltern doch eher Stress. Das gilt gerade dann, wenn sich die Frau tatsächlich an Ort und Stelle hinlegt und dort liegenbleibt, bis der Rettungswagen eintrifft. Oft wird der Transport auch so durchgeführt, dass die eigentliche Idee dahinter komplett verloren geht. Nämlich dann, wenn die Frau nicht mit durchgehender Beckenhochlagerung transportiert wird.
Einige Frauen laufen sogar selbst die Treppe in ihrem Wohnhaus herunter oder werden sitzend in die Klinik gebracht. Ich glaube, Situationen wie diese kennen alle Kreißsaalkolleginnen. Wenn eine Hebamme oder ein geburtshilflicher Arzt mit an Bord des Rettungswagens wären, könnte eventuell eine Untersuchung vor Ort vielleicht die Fahrt mit dem Krankenwagen komplett vermeiden. Allerdings ist nach einem vorzeitigen Blasensprung (vor Wehenbeginn) die Ultraschalluntersuchung das Mittel der Wahl, um den fetalen Zustand und die Fruchtwassermenge zu beurteilen. Eine vaginale Untersuchung könnte zwar Aufschluss darüber geben, ob die Nabelschnur vorliegt. Gleichzeitig erhöht sie aber das Infektionsrisiko und ist deshalb in den derzeitigen (sich in der Überarbeitung befindlichen) Leitlinien nicht empfohlen. In der Regel kommen jedoch Notfallsanitäter, die für diese speziellen Untersuchungen nicht ausgebildet sind. Zudem sind Ultraschallgeräte derzeit noch nicht flächendeckend im Rettungswagen verfügbar.
Liegendtransport nicht leichtfertig empfehlen
Ein weiteres „Problem“ ist, dass immer die nächste Klinik mit noch freien Kapazitäten angefahren wird. Und das ist hier in Berlin, wo es über 15 mögliche Geburtskliniken im Umkreis gibt, sehr häufig nicht die Wunschklinik, in der die Eltern zur Geburt angemeldet sind. Das bedeutet für viele Schwangere reichlich zusätzlichen Stress. Sie müssen sich in dieser Situation auf einen neuen Geburtsort einlassen. Und Stress und Angst sind immer schlechte Begleiter für eine Geburt.
Also sollte auch die Empfehlung für einen Liegendtransport nicht leichtfertig ausgesprochen werden, auch damit nicht unnötige Ängste bei Schwangeren geschürt werden. Die Kollegin Peggy Seehafer spricht sich in dem eingangs erwähnten Artikel in der Hebammenzeitschrift für die Leitlinie aus Dänemark (DSOG 2009) zum Umgang mit dem Blasenspung aus. Die erscheint auch mir sehr sinnvoll. Dort wird nur Schwangeren mit Quer- oder Schräglage oder bei Beckenendlage, wenn der Steiß noch nicht im Beckeneingang sitzt, oder bei einem Blasensprung vor der 34. Schwangerschaftswoche beim Abgang einer größeren Fruchtwassermenge der Liegendtransport empfohlen. Alle anderen Frauen können nach einem Blasensprung auf „normalem Wege“ zu ihrem Geburtsort fahren.
Dieses Vorgehen deckt sich auch mit den Ergebnissen der Arbeit der Hebamme Suniva Portz, die untersucht hat, welche Evidenzen für die Liegendtransport-Empfehlung bei vorzeitigen Blasensprung für Frauen mit einem Kind in Schädellage nach der 37+0 Schwangerschaftswoche eigentlich vorliegen. Sie fand auch keine Studien oder anderen Anhaltspunkte, die diese Empfehlung unterstützen würden.
Abschließend lässt sich also sagen, dass sich der Liegendtransport bei Blasensprung ohne Risikofaktoren eventuell sogar durch den häufig dabei entstehenden Stress negativ auf die mütterliche und kindliche Gesundheit auswirken könnte – und darum immer kritisch hinterfragt werden sollte. Eine generelle Empfehlung lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht ableiten und sollte auch so nicht an werdende Eltern weitervermittelt werden, da sie nur zu einer nicht nötigen Verunsicherung beiträgt.
Schreibe einen Kommentar