„Und dann hat sich der Arzt auf meinen Bauch geworfen und mitgedrückt“. So oder ähnlich beschreiben es manche Frauen nach der Geburt, wenn der Kristeller-Handgriff angewendet wurde. Und manchmal ist es sogar anhand von Hämatomen auf dem Bauch sichtbar, dass diese Technik zum Einsatz kam. Frauen erleben dies, ebenso wie anwesende Väter, als sehr unangenehm oder auch traumatisch.
Der Geburtshelfer Samuel Kristeller (1820-1900) entwickelte 1867 diesen Handgriff, um die Geburt in der letzten Geburtsphase zu beschleunigen. Dabei wird kräftiger Druck auf den oberen Teil der Gebärmutter (Fundus uteri) ausgeübt. Dieser wird von beiden, flach aufgelegten Händen umfasst. Dieser Druck soll die Bauchpresse der Mutter unterstützen und die Geburtsbeschleunigung herbeiführen. Natürlich muss dafür der Muttermund vollständig geöffnet sein. Zudem muss sich das Kind in entsprechender Position mit dem Köpfchen im Beckenausgang befinden. Es wird dann auf dem Höhepunkt der Wehe mitgedrückt, während die Mutter gleichzeitig mitschiebt. Idealerweise lässt sich so zum Beispiel eine vaginal-operative Entbindung (Saugglocken- oder Zangengeburt) vermeiden.
Geburtshilflich sehr umstrittener Eingriff
Natürlich muss die Schwangere auf jeden Fall vor der Anwendung darüber informiert werden. Ein „Wir drücken jetzt ein bisschen von oben mit“ ist für die meisten Frauen keine ausreichende Erklärung. Sie sind meist sehr erschrocken ob der Heftigkeit dieser Intervention. Der Kristeller-Handgriff ist zudem geburtshilflich ein sehr umstrittener Eingriff. Auch die Durchführung wird bisweilen unterschiedlich ausgelegt. In manchen Kliniken wird der Druck mittels des Unterarmes ausgeübt, der quer auf der Gebärmutterkante liegt. Da sich so der Druck nicht gut genug dosieren lässt, ist die Handhabung nicht korrekt.
Wie häufig der Kristeller-Handgriff zur Anwendung kommt, ist von Klinik zu Klinik beziehungsweise von Geburtshelfer zu Geburtshelfer sehr verschieden. Definitiv ist es aber kein „nur ein bisschen Mitdrücken“. Der Kristeller-Handgriff birgt zudem Verletzungsrisiken für Mutter und Kind. Es muss also eine klare Indikation für die Anwendung bestehen, zum Beispiel Hinweise auf eine Sauerstoffunterversorgung des Kindes (Hypoxie). Und es darf auch keine Kontraindikation bestehen wie etwa der Umstand, dass sich das Kind noch zu weit oben im Becken befindet. Wie bei allen Eingriffen in das Geburtsgeschehen muss auch hier mit größter Sorgfalt vorgegangen werden.
Die Eltern müssen verständlich informiert werden. Auch in Notsituation bleibt Zeit für eine kurze Erklärung. Ganz wichtig ist auch, dass jede Intervention hinterher mit den Eltern nachbesprochen werden. Dass genau dies bisweilen nicht geschehen ist, hört man an den Geschichten, die Frauen nach der Geburt erzählen. Bei manchen bleibt sogar der Eindruck zurück, dass sie ihr Baby gar nicht selbst geboren haben, sondern es von den Geburtshelfern aus ihnen heraus geschoben wurde. Darum darf der Kristeller-Handgriff, wenn überhaupt – und wie jegliche andere Intervention ins Geburtsgeschehen – nur streng indiziert eingesetzt werden. Er darf keinesfalls zur geburtshilflichen Routine werden.
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